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Ich vermochte diese subtile Sicht der Dinge nicht sogleich nachzuvollziehen, und fragte, wie lange die gerichtliche Anerkennung des Testaments denn dauern würde.

Das sei immer schwer vorherzusehen, lautete die Antwort. Alles zwischen sechs Monaten und zwei Jahren, je nachdem, wie kompliziert Grevilles Angelegenheiten seien.

«Zwei Jahre!«

Sechs Monate seien wahrscheinlicher, murmelten sie beschwichtigend. Das Tempo werde ganz von den Steuerberatern und Finanzbehörden abhängen, die man aber nur selten zur Eile antreiben könne. Das alles ruhe im Schoße der Götter.

Ich erwähnte, daß hinsichtlich der mit dem Unfall zusammenhängenden Schadensersatzansprüche einiges an Arbeit anfallen könne. Sie würden sich glücklich schätzen, sich darum kümmern zu dürfen, sagten sie und versprachen, sich mit der Polizei in Ipswich in Verbindung zu setzen. Inzwischen: alles Gute!

Ich legte den Hörer mit steigendem Entsetzen auf die Gabel. Das Geschäft würde wohl — wie jedes andere auch

— dank seiner Eigendynamik erst einmal zwei Wochen weitergehen wie bisher, vielleicht auch vier Wochen, aber danach… Danach würde ich wieder auf einem Pferd sitzen und versuchen, mich für die anstehenden Rennen fit zu machen!

Ich würde mir einen Manager holen müssen, dachte ich vage, und hatte keine Ahnung, wo ich mit der Suche nach einem beginnen sollte. Annette Adams erschien mit Sorgenfalten auf der Stirn und fragte, ob es in Ordnung sei, wenn sie sich daran machten, Mr. Franklins Büro aufzuräumen, und ich sagte ja und dachte, daß ihr Mangel an Schwung zum Untergang des ganzen Schiffes führen könnte.

Würde bitte mal jemand so gut sein, bat ich die Welt im allgemeinen, hinunter in den Hof zu gehen und dem Mann in meinem Auto zu sagen, daß ich wohl nicht vor Ablauf von zwei oder drei weiteren Stunden hier fortkäme — und schon raste June mit ihrem strahlenden Gesicht aus der Tür, kehrte wenig später zurück und berichtete, daß mein

Mann das Auto abschließen, zu Fuß zum Mittagessen gehen und rechtzeitig wieder da sein würde, um sodann weiter auf mich zu warten.

«Hat er das alles gesagt?«fragte ich neugierig.

June lachte.»Also, eigentlich hat er nur gesagt >Gut, geh ’n Happen essenc, und ist fortgestapft.«

Sie fragte, ob sie mir ein Sandwich bringen solle, wenn sie selbst zum Mittagessen ginge, und ich nahm dieses Angebot überrascht und dankbar an.

«Ihr Fuß schmerzt stark, nicht wahr?«fragte sie voller Umsicht.

«Mm.«

«Sie sollten ihn hochlegen, auf einen Stuhl.«

Sie holte ohne weitere Umstände einen herbei, stellte ihn vor mich hin und sah mir mit mütterlicher Anerkennung zu, wie ich mein Bein in die gewünschte Position brachte. Sie mußte so Ende zwanzig sein, dachte ich.

Ein Telefon klingelte neben dem Computer auf der anderen Seite des Raumes, und sie ging hinüber, um das Gespräch entgegenzunehmen.

«Ja, Sir, wir haben alles am Lager. Ja, Sir, welche Größe und Anzahl? Einhundert, zwölf mal zehn Millimeter, oval… ja… natürlich, ja.«

Sie tippte die lange Bestellung direkt in den Computer, schrieb sie nicht erst in Langschrift nieder, wie Annette das getan hatte.

«Ja, Sir, das geht noch heute raus. Konditionen wie üblich, Sir, natürlich. «Sie legte auf, ließ sich den Auftrag ausdrucken und legte ihn in einen flachen Drahtkorb. Gleichzeitig lief das Telefax-Gerät an, jaulte vor sich hin und stellte sich mit einem kleinen Schrei wieder ab. Sie riß das herausgekommene Blatt Papier ab und gab die darauf übermittelten Informationen ebenfalls in den Computer ein, druckte sie aus und legte das Blatt in den Drahtkorb.

«Werden alle Aufträge noch am Tag ihres Eingangs erledigt?«fragte ich.

«Aber ja doch, wenn es uns irgend möglich ist. Garantiert aber innerhalb von 24 Stunden. Mr. Franklin sagt, Tempo sei die Grundlage eines guten Geschäfts. Ich habe erlebt, wie er ganze Abende allein hier geblieben ist, wenn wir mal unter Wasser waren, und selbst die Pakete gepackt hat.«

Es fiel ihr plötzlich ein, daß er nie wieder hier sein würde. Es brauchte seine Zeit, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Wie schon einmal, stiegen ihr unkontrollierbar Tränen in die Augen, und sie sah mich durch sie hindurch an, was ihre Augen riesengroß aussehen ließ.

«Man mußte ihn einfach gern haben«, sagte sie.»Gern für ihn arbeiten, meine ich.«

Ich verspürte fast so etwas wie Eifersucht bei dem Gedanken, daß sie Greville besser gekannt hatte als ich — obwohl ich ihn durchaus hätte besser kennen können, wenn ich’s nur versucht hätte. Erneut durchbohrte mich Trauer, eine Nadel des Kummers.

Annette erschien und verkündete, daß Mr. Franklins Büro wenigstens teilweise aufgeräumt sei, und so zog ich mich dorthin zurück, um in relativer Ungestörtheit weitere Telefonate zu erledigen. Ich setzte mich auf Grevilles schwarzledernen Luxusdrehstuhl, legte meinen Fuß auf den Sekretärinnenstuhl, den mir June nachgetragen hatte, und ließ meinen Blick über den üppigen Teppich, die schweren Sessel und die wie im Vorraum gerahmten Karten gleiten. Ich fuhr mit leichter Hand sanft über die gemaserte schwarze Fläche des überdimensionalen Schreibtisches und fühlte mich wie ein Jockey — und nicht wie ein Tycoon.

Annette hatte von der Unmenge technischer Apparate ein paar vom Boden aufgesammelt und an einem Ende des Schreibtisches zusammengestellt — die meisten mattschwarz und klein, als ob die Miniaturisierung ein Teil ihrer Attraktivität sei. Sofort zu identifizieren waren batteriebetriebene Dinge wie ein Bleistiftanspitzer, ein Minikopierer, ein kleiner Rechner mit Drucker und ein elektronisches Wörterbuch, aber das meiste bedurfte schon einer gründlicheren Inspektion. Ich streckte die Hand nach dem am nächsten liegenden Gegenstand aus und sah nun, daß es ein Plastikgehäuse mit Zifferblatt war, durch Kabel verbunden mit einem wie ein Mikrophon aussehenden Kopf.

«Was ist denn das?«fragte ich Annette, die gerade die überall am Boden verstreut liegenden Papiere aufsammelte.»Irgendein Meßgerät?«

Sie warf einen schnellen Blick darauf.»Ein Geigerzähler«, sagte sie unbeeindruckt, als ob ein solches Gerät ganz selbstverständlich zu jedermanns Schreibutensilien gehören müsse.

Ich stellte den Schalter von AUS auf EIN, aber außer daß ein paar klickende Töne erklangen, geschah gar nichts.

Annette, die auf dem Boden kniend das verbliebene Durcheinander zu ordnen versuchte, hielt in ihrer Arbeit inne und richtete sich auf.

«Viele Steine verändern, wenn sie einer Gammastrahlung ausgesetzt werden, ihre Farbe, und das zu ihrem Vorteil«, sagte sie.

«Sie sind hinterher nicht radioaktiv, aber Mr. Franklin bekam mal versehentlich ein paar Topase aus Brasilien geschickt, die in einem Atomreaktor bestrahlt worden waren und an der Grenze des Gefährlichen lagen. Einhundert Stück. Es gab einen schrecklichen Ärger, denn abgesehen davon, daß die Steine absolut unverkäuflich waren, waren sie auch ohne die für radioaktive Güter erforderliche Einfuhrgenehmigung oder irgend so was ins Land gekommen, was aber natürlich nicht Mr. Franklins Schuld war. Damals schaffte er sich diesen Geigerzähler an. «Sie machte eine Pause.»Er hat eine erstaunliche Witterung für Steine, wissen Sie. Er spürte einfach, daß mit diesen Topasen etwas nicht stimmte. Sie zeigten ein so schönes tiefes Blau, wo sie doch eigentlich so gut wie farblos hätten sein müssen. Deshalb schickte er ein paar davon zur Untersuchung ins Labor. «Sie machte erneut eine Pause und fuhr dann fort:»Er hatte gerade erst von ein paar alten Diamanten gelesen, die mit Radium in Berührung gekommen und grün geworden waren und dazu nicht schlecht radioaktiv.«