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»Ich bringe euch zu ihm«, sagte der Verwalter und fertigte Schwester Gisa brüsk ab. »Du brauchst hier nicht länger zu verweilen.«

Einen Moment schien Schwester Gisa dagegen aufbegehren zu wollen, dass sie derart schroff fortgeschickt wurde, sagte dann aber nur zu Fidelma: »Wir sehen uns also spätestens bei der Abendmahlzeit.« Sie saß auf und ritt durch das Tor hinaus. Bruder Wulfila winkte zwei andere Brüder heran. Einer übernahm die Pferde und den Packesel, der andere brachte einen Eimer, eine Schöpfkelle und ein Tuch. Fidelma hatte fast das Ritual vergessen, bei dem Neuankömmlingen Hände und Füße gewaschen wurden, wenn sie zum ersten Mal eine Abtei betraten.

Danach führte sie Bruder Wulfila über den großen, mit Steinplatten ausgelegten Innenhof zum Hauptgebäude. Die Nachricht von der Rückkehr des Gelehrten, der in der Abtei großes Ansehen genoss, hatte sich rasch verbreitet. Die Klosterbrüder strömten auf den Hof, ihn zu begrüßen. Auf der obersten Stufe einer kurzen Treppenflucht, die zum Haupteingang führte, stand ein großgewachsener brünetter Mann, etwa gleichen Alters wie Magister Ado. Er hatte dunkles Haar und ebenso dunkle Augen. Dichter blau-schwarzer Bartwuchs, der wohl zweimal täglich rasiert werden musste, zeichnete sich auf Kinn und Wangen ab. Seine Gesichtszüge waren nicht unangenehm. Kleidung und Amtssymbole wiesen ihn als Abt aus. Als Magister Ado sich ihm mit Fidelma näherte, kam er die Stufen herunter und begrüßte den Magister mit einer förmlichen Umarmung. Seinen Gesichtsausdruck wusste Fidelma nicht recht zu deuten.

»Sei mir willkommen, alter Freund. Seit du dich auf die Reise begeben hattest, um unser scriptorium zu bereichern, habe ich um deine Sicherheit gebangt.« Der Abt sprach Lateinisch, woraus Fidelma entnahm, dass Latein die Umgangssprache in der Abtei war. »Wurde deine Wanderfahrt von Erfolg gekrönt?«

»In der Tat. Unser scriptorium besitzt nun eine herrliche Abschrift vom Leben des heiligen Märtyrers Saturnin

Der Abt schaute fragend zu Fidelma, und Magister Ado stellte ihm seine Begleiterin vor.

»Das ist Fidelma von Hibernia, Abt Servillius. Sie ist von Genua an unsere Reisegefährtin gewesen.«

»Fidelma von Hibernia?« Der Abt runzelte die Stirn, schien in seinem Gedächtnis zu kramen. Er streckte die Hand aus, damit sie seinen Ring küsste, wie es bei der römischen Geistlichkeit üblich war. Fidelma aber berührte lediglich seine Hand und neigte den Kopf, entsprechend der Sitte bei ihren Landsleuten.

»Sie ist die Tochter eines Königs in ihrer Heimat«, erläuterte Magister Ado.

»Fidelma?«, überlegte der Abt. Den Namen habe ich doch neulich erst gehört … Ah ja! Du bist jetzt von Rom gekommen, nicht wahr?«

»Ja, das stimmt«, bestätigte Fidelma, die schon wusste, was folgen würde.

»Ah, jetzt habe ich es. Einer unserer Brüder, der vor kurzem in Rom war, hat von einer jungen Nonne aus Hibernia erzählt, die selbst den Heiligen Vater in Erstaunen versetzt hätte, weil sie geheimnisvolle Vorgänge um einen angelsächsischen Erzbischof geklärt hat, der im Lateranpalast ermordet wurde. Und die hieß Fidelma.«

»Und genau diese Person hast du nun vor dir, Vater Abt«, versicherte Magister Ado frohgemut.

Fidelma zuckte nur kurz mit den Achseln. »Einen gewissen Anteil hatte ich schon an der Aufklärung des Geheimnisses«, räumte sie ein.

»Dann darf ich dich um so herzlicher begrüßen. So bedeutende Besucher kommen nicht oft in unser abgelegenes Tal, wenngleich …« – er zögerte und warf Magister Ado einen Blick zu –, »… wenngleich gerade in dieser Woche Ausgezeichnete und Adlige unsere Gemeinschaft mit ihrem Besuch beehren. Aber tretet ein.« Der Abt entließ Bruder Wulfila, führte sie in sein Arbeitsgemach und bat sie, sich zu setzen. Der Raum war klein und dunkel, und die Eichenpaneele machten ihn noch dunkler. Ein kleines Fenster ließ gerade so viel Licht herein, dass man auch ohne Lampen auskam.

»Deiner Andeutung entnehme ich, dass du noch andere bedeutende Besucher unter deinem Dach beherbergst », bemerkte Magister Ado und nahm Platz.

»So ist es. Bei uns weilt gerade der junge Prinz Romuald, Sohn unseres gnädigen Königs Grimoald, der zur Zeit im Süden in Kämpfe verwickelt ist.«

»Prinz Romuald?«, rief Magister Ado erstaunt aus.

Die Frage bedurfte keiner Antwort, und so wandte sich der Abt an Fidelma. »Nun, Fidelma von Hibernia, lass mich wissen, warum du ausgerechnet unsere bescheidene Abtei mit deiner Anwesenheit beehrst. Ich vermute, es ist wegen der Geschichte, die unsere Abtei mit deinem Land verbindet.«

Noch ehe sich Fidelma äußern konnte, ergriff Magister Ado das Wort. »Wegen Bruder Ruadán ist sie gekommen. Er war in ihrer Kindheit und Jugend ihr Mentor und Lehrer. Als sie hörte, dass er in unserer Abtei lebt, stand für sie fest, ihn aufzusuchen, bevor sie ihre Heimreise nach Hibernia fortsetzt.«

Über das freundliche Gesicht von Abt Servillius glitt ein Schatten, und mitfühlend schaute er Fidelma an. »Eine ehemalige Schülerin unseres lieben Bruder Ruadán bist du also. Dann ist es Gottes Wille, der deine Schritte in unser Tal zu diesem geheiligten Ort gelenkt hat. Erfahren hast du wohl bereits, dass es schlimm um ihn steht? Natürlich sollst du ihn am Krankenbett aufsuchen. Nur muss ich dich leider warnen, sein Zustand hat sich in den letzten Tagen arg verschlechtert.«

»Kannst du mir Genaueres sagen, was ihm zugestoßen ist?«, erkundigte sich Fidelma.

»Ich weiß nur wenig. Man fand ihn eines Morgens vor den Toren der Abtei, jemand hatte ihm einen Pergamentstreifen mit der Aufschrift ›Ketzer‹ an die Kutte geheftet. Wir wissen, dass er oft vor Anhängern des Arius gepredigt hat, um sie von ihren irrigen Auffassungen abzubringen. Vermutlich hat er einige sehr verärgert, und sie haben ihn ihre Wut spüren lassen. Vor drei Wochen ist er aus Placentia von einer Predigtfahrt heimgekehrt. Man hatte ihn dort so übel zugerichtet, dass er nur mit Mühe zurückkam. Doch er ließ sich nicht abschrecken. Er verließ erneut die Abtei, um in Travo zu predigen, weiter unten im Tal. Danach haben wir ihn schwer verwundet vor den Toren der Abtei aufgefunden. Er wurde zu Bett gebracht und liegt seitdem fest. Aber vielleicht wird der Anblick einer jungen Freundin seinen Geist wieder beleben. Eine solche unerwartete Verbindung mit seinem Heimatland mag wie ein Stärkungsmittel wirken, wie Balsam für seine Seele.«

»Er wird doch gewiss von einem guten Arzt versorgt?«, fragte Fidelma.

»Bruder Hnikar ist der beste Apotheker weit und breit in unserem Tal. Er kümmert sich täglich um ihn. Doch wenn das Fleisch alt und schwach ist …« Der Abt hob hilflos die Schultern, um anzudeuten, mit dem Schicksal kann man nicht rechten. »Ich muss dich darauf hinweisen, wir sind keine gemischte klösterliche Gemeinschaft, deshalb sind deine Möglichkeiten, dich in der Abtei zu bewegen, begrenzt. Du solltest darauf achten, stets einen Bruder an der Seite zu haben, der dich begleitet.« Er beugte sich vor und klingelte mit einer kleinen Handglocke. Sofort erschien Bruder Wulfila in der Tür.

»Die Schwester hier …«, er hielt inne, schüttelte den Kopf und begann erneut: »Begleite die Edle Fidelma von Hibernia zu Bruder Hnikar. Ihr ist ohne jede Einschränkung gestattet, ihren Landsmann, Bruder Ruadán, zu besuchen und sich mit ihm zu unterhalten.«

Der Verwalter unterdrückte seine Überraschung und verneigte sich vor seinem Vorgesetzten. Wortlos forderte er Fidelma auf, ihm zu folgen.

»Komm nachher bitte zu uns zurück, wir legen dann fest, wo du untergebracht wirst und unter welchen Bedingungen du dich bei uns aufhalten kannst«, rief der Abt ihr nach.

Der Apotheker, mit dem sie bekannt gemacht wurde, war ein Mann von gedrungener, rundlicher Statur. Sein Gesicht glänzte rosig, wie das eines Kleinkinds. Die Augen waren so hellblau, dass sie beinahe farblos wirkten. Fidelma war sich nicht sicher, ob seine kahle Kopfmitte naturgegeben war oder ob er eine Tonsur trug. Rundherum umgab sie langes, nicht sehr ordentlich geschnittenes Silberhaar. Er begrüßte sie wie ein gütiger Alter.