Выбрать главу

Der Ehrwürdige Ionas verzog peinlich berührt das Gesicht, doch sie spürte sofort, wie seine dunklen, durchdringenden Augen sie prüfend musterten. »Pax tecum, Schwester. Ich bin nur einer von vielen Gelehrten in unserer Gemeinschaft. Magister Ado gebührt eine ebenso große Anerkennung.«

»Der Ehrwürdige Ionas hat ein vielgerühmtes Werk über das Leben unseres Gründervaters geschrieben«, erläuterte Abt Servillius.

Fidelma gab sich alle Mühe, unbekümmert zu wirken, doch dem Ehrwürdigen Ionas entging nicht, dass sie mit den Gedanken woanders war. »Dich bedrückt doch etwas?«, fragte er.

»Ich komme gerade von Bruder Ruadán. Er war mein Lehrer, als ich noch Kind war.«

»Ich habe dich vorgewarnt«, versuchte der Abt sich zu verteidigen.

»Nach den Worten von Bruder Hnikar zu urteilen, wird unser armer Bruder Ruadán nicht mehr lange unter uns weilen.« Der der Ehrwürdige Ionas seufzte. »In welchem Zustand hast du ihn vorgefunden?«

»In einem denkbar schlechten«, erwiderte sie und ließ sich auf einen Stuhl sinken, den ihr der Abt wies.

»Ich werde nachher bei ihm vorbeischauen«, sagte Magister Ado. »Ich möchte ihn noch einmal sehen, ehe es zu spät ist.«

In Fidelma bäumte sich alles auf, jeder hier schien den bevorstehenden Tod von Bruder Ruadán als gegeben hinzunehmen. »Vielleicht sollten wir nicht so tun, als stünden wir schon an seinem Grab«, sagte sie.

»Nichts liegt uns ferner als das«, entgegnete der Abt rasch. »Aber wir dürfen die Augen nicht vor den Tatsachen verschließen.«

»Vor welchen Tatsachen?«, fragte Fidelma.

»Außerhalb der Klostermauern braut sich einiges zusammen«, gab der Abt zur Antwort. »Deshalb haben wir im Augenblick den jungen Prinzen Romuald hier zu Gast.«

Magister Ado war verblüfft. »Du wolltest uns gerade Näheres zu seiner Ankunft berichten.«

»Man hat ihn zu seiner Sicherheit hergebracht. Von Tag zu Tag verdichten sich die Gerüchte, dass Perctarit aus dem Exil zurückgekehrt sei und sich die Abwesenheit des Königs zunutze macht.« Abt Servillius lächelte Fidelma entschuldigend an. »Unser König Grimoald hat Perctarit in die Verbannung getrieben und …«

»Ich bin über den Machtwechsel in eurem Königtum unterrichtet«, fiel sie ihm ins Wort.

»Grimoald hält sich im Süden auf. Für die Dauer seiner Abwesenheit hat er Herzog Lupus von Friuli zum Regenten hier im Norden bestimmt. Romuald, der Sohn des Königs, wurde in die Obhut einer Amme gegeben und unter den Schutz von Lupus gestellt.«

»Und weshalb ist er nun hier?«, drängte Magister Ado.

»Der Freifrau Gunora, der Amme des Knaben, sind wohl an der treuen Ergebenheit von Lupus Zweifel gekommen. Sie nahm den Jungen und verließ im Schutze der Nacht die Festung von Lupus und eilte hierher, wo sie wusste, dass die Bruderschaft Prinz Romuald Zuflucht gewähren würde. Auf den Schultern des Knaben lastet eine schwere Bürde.«

»Dann ist Perctarit offenbar aus dem Exil zurückgekehrt, weil sich der König gerade im Süden des Landes aufhält?«, überlegte Magister Ado laut.

»Ich würde das auch so sehen«, bestätigte Abt Servillius.

Magister Ado runzelte die Stirn. »Wenn es an dem ist, befindet sich dann nicht die Abtei in Gefahr, Vater Abt? Wenn der Junge in Gefahr ist, ist es doch gewiss auch die Abtei?«

Der Ehrwürdige Ionas beugte sich auf seinem Stuhl vor. Ernst blickte er den Abt an. »Magister Ado trifft die Feststellung zu Recht, mein alter Freund. Wer weiß außerhalb der Klostermauern, dass Prinz Romuald sich hier aufhält?«

Der Abt brauchte einen Moment, ehe er antwortete. »Außer Seigneur Radoald niemand sonst, denn der Knabe erreichte die Abtei mit seiner Begleiterin erst vor zwei Nächten. Und da der Lord von Trebbia unser Freund und Beschützer ist, musste man ihn in Kenntnis setzen.«

»Die Sache ist schwerlich geheim zu halten«, gab Magister Ado zu bedenken. »Hast du dir Gedanken gemacht, wie wir uns verhalten sollen, falls Lupus von Friuli über die Abtei herfällt?«

Abt Servillius schüttelte den Kopf. »Wir sind ein Gotteshaus und keine kriegerische Festung«, entgegnete er. Völlig unvermutet für die anderen erhob er sich, denn ihm war aufgegangen, dass Fidelma unter ihnen saß und Zeugin ihres Gesprächs geworden war. »Wie konnte ich unsere guten Sitten vergessen? Ich habe unserer Freundin hier, Fidelma von Hibernia, noch nicht die gebührende Gastfreundschaft erwiesen. Ich werde Bruder Wulfila, unseren Verwalter, anweisen, eine Kammer für dich im Gästehaus herrichten zu lassen, auch ausreihend Wasser für deine Waschungen soll er dir bereitstellen. Das Gästehaus besteht aus einer Reihe von Zimmern, die sich über der Apotheke und der Krankenstube befinden. Du warst ja bei Bruder Ruadán, die Gästeräume liegen im Stockwerk darüber. Du hast von dort einen Blick auf unser herbarium, unseren Kräutergarten, auf den wir mit Recht stolz sind und in dem du gern lustwandeln kannst. Da wir dich als Ehrengast betrachten, setze ich gewisse Regeln außer Kraft; du wirst also in der Abtei bleiben und musst nicht in das Haus für die Nonnen in den Ort hinuntergehen. Die gleiche Ausnahmeregelung habe ich für Freifrau Gunora verfügt, denn sie darf nicht von Prinz Romuald getrennt werden. Dennoch muss ich dich bitten, dich an unsere Regeln zu halten, die vorschreiben, dass die Brüder keinen Kontakt zu den Gästen haben. Begib dich also nicht ohne Erlaubnis oder ohne die Begleitung eines eigens dir zugeteilten Bruders weiter fort. Ich bin sicher, du wirst diese Vorgaben achten.«

Abt Servillius griff nach der Schelle und läutete. Sofort ging die Tür auf, und der Verwalter erschien. Schweigend nahm Bruder Wulfila die Anweisungen zur Kenntnis, beglückt war er über die getroffenen Entscheidungen nicht. Dann wandte sich der Abt Fidelma zu.

»Geh, mach dich frisch und ruhe dich aus. Wenn es Zeit zum Abendessen ist, läutet eine Glocke. Am Eingang zum Gästehaus wird dich jemand erwarten, um dich zum refectorium zu begleiten.«

Fidelma blieb keine andere Wahl, als hinzunehmen, dass man sie fortschickte. Sie konnte sich nicht des Gedankens erwehren, dass die Sorge um eine Ruhepause für sie nach der anstrengenden Reise nur ein Vorwand war, um sie nicht länger bei der Erörterung der politischen Situation dabeizuhaben.

Sie folgte Bruder Wulfila, der sie jetzt einen anderen Weg durch die dunklen Korridore führte und schließlich vor einer Tür stehen blieb. Der Geruch verriet ihr sofort, was sich dahinter verbarg, der Verwalter hätte sich den stummen Hinweis auf das Schild in Latein sparen können. Cloaca las sie und wusste, dass sich das Wort von cluo – ich reinige mich – ableitete. Jeder Kommentar erübrigte sich, der Verwalter stieg nun eine Treppenflucht zum oberen Stockwerk empor, wo er erneut vor einer Tür stehen blieb, sich bückte und sie öffnete. Er trat zur Seite, und sie ging hinein.

Das Fenster gewährte einen Blick auf die im hügeligen Gelände angelegten Gärten. Außer der Bettstatt bestand das Mobiliar aus einem Stuhl, einer Truhe und etlichen Kleiderhaken. In einer Ecke befand sich ein Bottich für Wasser, allerdings leer, daneben lagen weiße Leinentücher zum Abtrocknen.

»Ich lasse sogleich dein Gepäck herschaffen und auch heißes Wasser zum Waschen«, verkündete Bruder Wulfila. Für eine Antwort blieb ihr keine Zeit, denn er hatte bereits die Tür hinter sich zugezogen. Sie schaute sich einen Augenblick in ihrer neuen Bleibe um und setzte sich dann auf die Bettkante. Böses ginge in der Abtei um, hatte Bruder Ruadán verstört gerufen. Sie gestand sich ein, dass sie seit dem Moment, da sie Zeugin des feigen Überfalls auf Magister Ado geworden war und das Trebbia-Tal betreten hatte, ein ungutes Gefühl nicht mehr loswurde. Religiöse Spannungen waren ihr nicht fremd. Schließlich war sie schon bei dem großen Konzil von Streonshalh in der Abtei Hilda dabei gewesen, als die Angeln beschlossen hatten, sich von den kirchlichen Auffassungen ihres eigenen Landes loszusagen, um fortan den neuen Regeln aus Rom zu folgen. Aber der Konflikt hier zwischen der Auffassung des Arius und den Festlegungen auf dem Ersten Konzil von Nicäa war mehr als ein Streit und drohte in Blutvergießen zu enden. Über dem Tal lag eine dunkle Wolke. Aber war es das, was Bruder Ruadán mit dem Bösen gemeint hatte und wovor er sie warnen wollte – oder steckte noch etwas anderes dahinter?