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Es blieb ihr nicht viel Zeit. Fidelma hatte sich gerade frisch gemacht und war in saubere Kleidung geschlüpft, da läutete auch schon die Glocke, was sie als Aufforderung zum Abendessen deutete. Sie wartete nur kurz und entschied, sich einigen Mönchen anzuschließen, die an ihrer Kammer vorbeigingen. Aus den wenigen wurden viele, alle hasteten schweigend die Treppe hinunter auf den Haupthof. Dort erblickte Fidelma etwa ein Dutzend Nonnen, die dem Hauptgebäude zustrebten. Sie erkannte Schwester Gisa unter ihnen und ging auf sie zu.

»Hast du Bruder Faro gesehen?«, war deren erste Frage. »Ich hoffe, er ist vorsichtig und pflegt seine Wunde.«

Das Mädchen tat Fidelma leid, denn ihre Gefühle für den jungen Mann waren offenkundig. Sie wusste sehr wohl, dass die Gruppe von Asketen, die Rom bedrängte, ein Edikt zugunsten des Zölibats zu erlassen, sich zunehmend Gehör verschaffte, auch wenn das noch nicht allzu lautstark geschah. Selbst Abt Servillius schien ihren Argumenten erlegen. Noch hatte der Heilige Vater nichts Verbindliches verfügt, noch blieb es offensichtlich den einzelnen Äbten überlassen, wie sie die Sache handhabten.

Wiederum hatte Papst Siricius, nachdem er in Rom auf den Heiligen Stuhl berufen worden war, seine Frau und seine Kinder verstoßen. Er schien durchsetzen zu wollen, dass Priester und andere Geistliche nicht länger mit ihren Ehefrauen das Bett teilten. Schon ein Jahrhundert zuvor hatte auf dem Konzil zu Tours der gleiche Gedanke zur Debatte gestanden, auch da hatte man sich für eine Regelung ausgesprochen, dass Priestern, die zusammen mit ihren Frauen schliefen, nicht erlaubt sein sollte, Gottesdienste abzuhalten. Der Vorschlag hatte sich damals nicht durchsetzen können.

»Du und Bruder Faro, seid ihr …?« Fidelma hielt mitten im Satz inne, denn das Mädchen war hochrot geworden.

»Wir sind Freunde«, sagte sie bestimmt, doch die Errötung strafte sie Lügen. »Das hier ist kein gemischtes Haus, wie es offensichtlich anderswo der Fall ist. Abt Servillius hält es mit denen, die unter den frommen Brüdern und Schwestern das Zölibat predigen. Aber Mönche und Nonnen nehmen bei uns gemeinsam die Speisen ein, und auch die Andachten in der Kapelle finden für alle gemeinsam statt.«

Sie gelangten an eine große Flügeltür aus glänzendem Kastanienholz, in der die Mönche verschwanden. Neben ihr stand Bruder Wulfila, der Fidelma verärgert erwartete.

»Ich habe jemand zu deiner Kammer geschickt, er sollte dich abholen und herbringen«, empfing er sie in vorwurfsvollem Ton. »Du wurdest ausdrücklich gebeten, nicht ohne Begleitung in der Abtei umherzuwandern.« Ohne eine Antwort abzuwarten, forderte er sie auf, ihr zu folgen. Schwester Gisa schwenkte mit den anderen Nonnen zur einen Seite der Halle, wo ihnen in einer Ecke ein gesonderter Tisch abseits von den Mönchen zugedacht war. Bei ihrem Gang durch den Saal kam Fidelma an einem Tisch vorbei, an dem Bruder Faro saß, und an einem anderen erkannte sie Bruder Hnikar. Etliche Mönche starrten sie teils überrascht, teils neugierig an. Am Ende der Halle, den Tischreihen zugewandt, stand ein auffallend langer Tisch, an dem Abt Servillius Platz genommen hatte, links und rechts von ihm Magister Ado und der Ehrwürdige Ionas. Links neben Magister Ado saß ein Junge, vielleicht zehn oder elf Jahre alt, und neben ihm eine etwas matronenhaft wirkende Frau.

Der Abt erhob sich, als er Bruder Wulfila erblickte, und winkte Fidelma mit einer kleinen Handbewegung zu sich heran.

»Ich darf dich einem besonderen Gast vorstellen – Prinz Romuald der Langobarden.« Dann wandte er sich an den Jungen. »Eure Hoheit, das ist Fidelma von Hibernia, die Tochter eines Königs ihres Landes.«

Der Knabe stand auf und machte eine tiefe Verbeugung. Fidelma musste sich eines Lächelns erwehren, weil sein Verhalten so wenig kindgemäß war.

»Ich heiße dich in unserem Land willkommen, edle Dame. Mein Volk und meine Familie schätzen von jeher deine Landsleute wegen ihres Wissens und ihrer Lehren. Gedenkst du in dieser Abtei zu bleiben?«

»Ich weile hier, um meinen alten Mentor zu besuchen, der die Abtei zu seiner Heimstatt gemacht hat. Sobald wie möglich begebe ich mich auf die Rückreise in mein Land«, erwiderte sie höflich.

Der Abt stellte ihr die neben dem Jungen sitzende Frau als Freifrau Gunora vor, die Begleiterin des Prinzen. Die Frau lächelte zurückhaltend und neigte leicht den Kopf.

Nach den Begrüßungsformalitäten setzte man sich. Fidelma wurde ein Platz neben dem Ehrwürdigen Ionas zugewiesen, während Bruder Wulfila sich auf der anderen Seite von ihr niederließ. Eine Glocke läutete, woraufhin der Abt aufstand und ein Dankgebet anstimmte. Kaum hatte er wieder seinen Platz eingenommen, erklang abermals eine Glocke, und die im refectorium Versammelten durften mit dem Essen beginnen. Fidelma war nicht wenig erstaunt ob des munteren Stimmengewirrs im Saal. In den vorangegangenen Wochen in Rom, wo sie auch gemeinsam mit Mitgliedern der Bruderschaft die Mahlzeiten eingenommen hatte, war es während des Essens meist schweigsam zugegangen. In manchen Abteien las ein Mönch, ein recitator, laut aus dem Neuen Testament oder den Psalmen vor, während die anderen aßen.

Der Ehrwürdige Ionas riss sie aus ihren Betrachtungen; er hatte sie angesprochen.

»Verzeihung, was hast du gesagt?«, fragte sie.

»Ich hatte eine Frage zu Columbanus gestellt«, wiederholte er verlegen. »Sowie jemand aus Hibernia kommt, frage ich nach ihm, könnte ja sein, ich erfahre Neues und könnte es ergänzend in mein Werk über unseren Begründer einfügen.«

»Ich fürchte, ich kann nur wenig dazu beitragen. Er stammte aus dem Königreich Laighin und ging zur Ausbildung in den Norden«, erwiderte Fidelma. »Das Königreich, aus dem ich komme, ist Muman, und das liegt im Südwesten von Hibernia.«

»Hibernia besteht demnach nicht aus nur einem Königreich?«

»Wir haben fünf Königreiche, das fünfte heißt Midhe, was soviel wie das mittlere Königreich heißt, und dort lebt der Hochkönig. Er gebietet über alle Königreiche. Er wird aus einer der führenden Sippen gewählt. Derzeit sind es die Ui Néill aus dem Norden, die die Thronfolge entscheiden.«

»So etwas Ähnliches habe ich schon von anderen deiner Landsleute erfahren, aber so recht verstehe ich das nicht«, meinte der Ehrwürdige Ionas ungläubig. »Wie auch immer, was kannst du mir über Columbanus erzählen?«

»In unserer Sprache lautet sein Name Colm Bán, und das bedeutet ›weiße Taube‹. Ich weiß nur, dass er Abt von Beannchar wurde, einer berühmten Abtei im Norden von Hibernia. Dann soll er die Abtei verlassen haben, um jenseits der Meere unter den Franken und Burgunden Glaubenszentren zu begründen. Das ist alles. Von der Abtei hier wusste ich nichts.«

Der Ehrwürdige Ionas nickte bedächtig, ein zaghaftes Lächeln umspielte die Lippen.

»Es war so, wie du sagst, meine Tochter. Er machte sich viele Feinde unter den fränkischen Adligen, und es kam der Tag, da sie anordneten, Columbanus mitsamt seinen Mönchen aus Hibernia in ihr Heimatland zurückzuschaffen. Doch statt nach Hibernia zurückzukehren, kam Columbanus hierher in den Süden, überwand die Bergpässe und brachte seine Getreuen ins Land der Langobarden. Agilulf, der damalige König, gab ihm das Stück Land hier. So begründete er Bobium und unsere Bruderschaft. Bald konnte er die Mönche aus vielen Ländern für sich gewinnen. Er blieb seinen alten Grundsätzen aus Hibernia treu und legte sich sogar mit dem Heiligen Vater, Gregor dem Großen, an, denn er beharrte darauf, dass es die Hibernianer waren, die sich an das wahre Datum des Osterfestes hielten. Er war ein wahrhaft großer Mann, ein bedeutender Lehrer.«