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»Hast du ihn gekannt?«

»Ich kam als junger Mann her, da war er schon drei Jahre tot«, erwiderte der alte Gelehrte mit bedauerndem Kopfschütteln. »Aber ich hatte mit vielen zu tun, die ihn noch gekannt hatten und mir bei meiner Arbeit über sein Leben und Wirken sehr helfen konnten. Als die Zeit nahte, da ich mich für einen Namen als Mönch entscheiden musste, wählte ich die griechische Form des hebräischen Namens Jona, was auch Taube bedeutet.«

Draußen vor dem refectorium war es plötzlich laut geworden, fast im gleichen Moment wurden die Türen aufgerissen. Alle Blicke wanderten in die eine Richtung, und ein erschrockenes Raunen ging durch den Saal. Ein Mönch kam durch den Mittelgang zum Tisch des Abts gehastet, und der reagierte gleichermaßen aufgeschreckt und verärgert. Atemlos und mit hochrotem Gesicht blieb der junge Bruder vor ihm stehen.

»Vater Abt …, ich vermochte sie nicht aufzuhalten, Vater Abt …«

»Du vergisst dich, Bruder Bladulf«, donnerte der Abt los. »Bist du nicht lange genug Torhüter und kennst deine Pflichten und die Regeln unserer Abtei? Während des Abendessens …«

Verzweifelt blickte der junge Mann über die Schulter hinter sich. Zwei Männer hatten soeben das refectorium betreten und schritten schnurstracks und erhobenen Hauptes durch die Reihen der erstaunt, wenn auch schweigend dasitzenden Brüder auf den Tisch an der Stirnseite zu. Gespannt verfolgte Fidelma das Geschehen. Dem Habit und dem Krummstab nach war die vorangehende Person ein Bischof. Der Mann hinter ihm, gleichfalls in religiöser Gewandung, schien nicht von höherem Rang.

Beim Anblick der Eindringlinge hatte sich Abt Servillius entsetzt zurückgelehnt.

»Pax vobiscum«, grüßte der Bischof, blieb vor dem Tisch stehen und musterte feindselig die versteinerten Gesichter vor ihm.

Abt Servillius brachte den traditionellen Willkommensgruß nicht über die Lippen und stieß nur den Namen »Britmund« hervor.

Peinliche Stille.

Der Bischof war klein und stämmig, rotwangig, mit grauem Haar und dunklen Augenbrauen, er hatte Augen wie glänzende, schwarze Murmeln. Die schmalen, blutleeren Lippen waren zu einem boshaften Lächeln verzerrt. Als er neben dem Abt Magister Ado erkannte, verengten sich die Augen, ehe sein Blick weiter zu dem Knaben an dessen Seite wanderte.

»Also ist es wahr.« Er machte eine Andeutung von Verbeugung zu dem Prinzen. »Meine Grüße und Segenswünsche, Prinz Romuald. Deine Freunde von der Festung Friuli vermissen dich.«

Freifrau Gunora entfuhr ein leises Schniefen; mit beschützender Geste zog sie den Jungen an sich.

»Seine Freunde sind hier«, betonte sie.

Bischof Britmund lächelte gereizt.

»Ich fürchte, das ist nicht der Fall.« Er bemerkte Fidelma. »Es ist ungemein aufschlussreich, sehen zu müssen, dass in dieser Ketzerabtei nun sogar Weibern gestattet wird, gemeinsam mit dem Abt zu speisen«, höhnte er. »Schlimm genug, dass du Nonnen erlaubst, ihre Mahlzeiten in ein und derselben Halle mit den Mönchen einzunehmen.«

Abt Servillius beugte sich vor und erklärte in einem Ton, dem seine innere Empörung anzumerken war: »Schwester Fidelma ist unser Gast, sie kommt aus Hibernia und ist Tochter eines Königs in eben dem Lande.«

»Schade, dass du nicht all deinen Gästen den nötigen Respekt erweist«, lautete die spöttische Antwort. »Bruder Godomar und ich haben mehrere Tagesreisen gebraucht, um zur Abtei hier zu gelangen. Aber die Art, wie man uns willkommen heißt, entspricht schwerlich den Gepflogenheiten der Gastfreundschaft.«

»Es ist eher schade, dass dein Verhalten nicht den Gepflogenheiten eines Besuchers entspricht«, erwiderte Abt Servillius, »und du dem Torhüter nicht die Möglichkeit gabst, dich in meine Amtsstube zu geleiten, wo ich dich willkommen geheißen hätte, wie es der Brauch verlangt. Wenn du es vorziehst, unangekündigt in das refectorium einzudringen und in feindseligem Ton daherzureden, darf es dich nicht verwundern, wenn wir etwas Zeit brauchen, uns an unsere guten Sitten zu erinnern.«

»Weshalb sollte ich warten, wo ich doch wusste, dass es die Stunde eures abendlichen Mahls ist, und mein Gefährte und ich nach der beschwerlichen Reise geradezu ausgehungert sind?«

»Wenn das die Gastfreundschaft ist, die du erwartest, Britmund von Placentia, dann sind wir nicht so ketzerisch, sie dir zu verweigern. Am Tisch dort drüben ist Platz für euch.« Der Abt wies auf einen Tisch rechts in der Halle. »Setzt euch. Einer der Brüder wird dich und deinen Gefährten mit Speis und Trank versorgen.«

Herausfordernd blieb Bischof Britmund noch einen Moment vor dem Abt stehen. Natürlich hatte er erwartet, einen Platz an dem Tisch des Abts angeboten zu bekommen. Aber der Klosterherr hatte sich bislang weder erhoben noch dem Eindringling einen förmlichen Gruß entboten, wie er einem Geistlichen von Rang und Würden zugekommen wäre, was Fidelma verwundert zur Kenntnis nahm. Ganz offensichtlich hegten der Abt und der Bischof keinerlei Sympathie füreinander.

»Oder geht es dir um etwas anderes, Britmund?«, fragte der Abt gelassen. »Könnte es sein, du wolltest dich nach dem Befinden von Bruder Ruadán erkundigen?«

»Der alte Tor!«, schimpfte der Bischof. »Lebt er tatsächlich noch?«

Fidelma glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Wie konnte ein Bischof so etwas sagen! Sie verkrampfte die Hände unter dem Tisch und spürte, wie ihr Zornesröte in die Wangen stieg.

Doch noch ehe sie sich vergaß, nahm der Abt das Wort. »Deo favente, er lebt – allen Umständen zum Trotz. Denen, die du mit deinem fanatischen Eifer aufgehetzt hast, über ihn herzufallen, hat er das nicht zu verdanken.« Er klang beherrscht und ruhig, dennoch zeugte seine Wortwahl von seinem Zorn.

»Ich nenne die Dinge beim Namen«, entgegnete der Bischof gleichmütig. »Der alte Starrkopf hat mit seinem Predigen den Überfall selbst provoziert. Warum muss er sich des Langen und Breiten über Vorstellungen äußern, die uns in Plancentia mit Abscheu erfüllen und die wir verwerfen? Er hätte sich unserer Stadt fernhalten sollen.«

»Wenn du sein Predigen so abscheulich findest, Britmund, warum betrittst du dann überhaupt diese Abtei, die in deinen Augen so ketzerisch ist?«

»Nur widerwillig bin ich hier, und das auf Einladung von Seigneur Radoald.«

Alle in der Halle hielten überrascht die Luft an.

»Auf Einladung von Seigneur Radoald von Trebbia?«, fragte Magister Ado unvermittelt.

Bischof Britmund bedachte ihn mit einem höhnischen Lächeln. »Ich kenne nur diesen einen Seigneur hier im Tal … bisher jedenfalls.«

»Und warum sollte Seigneur Radoald dich bitten herzukommen?«, wollte der Abt wissen.

Noch ehe der Bischof antworten konnte, erklärte Magister Ado: »Wir haben erst heute Morgen seine Festung verlassen, haben für die Nacht seine Gastfreundschaft genossen. Er hat mir gegenüber nichts von einer solchen Einladung gesagt.«

»Ich bin nicht in der Lage, Seigneur Radoalds Gedanken zu lesen, und kenne die Beweggründe nicht, die ihn veranlassten, dir nichts davon zu sagen. Ado«, erwiderte Bischof Britmund. »Vielleicht weiß er, wie bestrebt du bist, keine Möglichkeit ungenutzt zu lassen, Anhänger meines Glaubens zu attackieren. Aber als Herrscher dieses Tales betont er immer wieder, dass es ihm um den Frieden zwischen den Menschen beider Glaubensrichtungen geht. Er hat mich hierher gebeten, damit du, Servillius, und ich uns unter ihm als Mittler auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Meines Wissens will er morgen bei Tagesanbruch hier sein, damit die nötigen Gespräche zustande kommen.«

»Er hätte uns von deiner bevorstehenden Ankunft und dem Anliegen in Kenntnis setzen sollen«, murmelte Abt Servillius.