Nur kurz verzog Bischof Britmund triumphierend das Gesicht. »Vielleicht befürchtete er, du könntest dich bei einer entsprechenden Vorwarnung einem solchen Gespräch entziehen?«
Abt Servillius biss die Zähne zusammen. »Einer Debatte über den wahren Glauben würde ich mich nie entziehen«, erwiderte er entrüstet.
»Dann dürfen ich und mein Gefährte für die Dauer der Gespräche der Gastfreundschaft deiner Abtei gewiss sein.«
Abt Servillius sah zu Bruder Wulfila, der neben Fidelma saß, ehe er dem Bischof antwortete. »Wir sind gerade beim Essen. Selbstverständlich kannst du daran teilhaben. Nach dem Mahl können wir alles Übrige veranlassen.«
Bischof Britmund machte eine leicht spöttische Verbeugung zum Abt hin und tat, als hätte er das Wortgefecht genossen. Dann begab er sich mit Bruder Godomar zu den ihm zugewiesenen leeren Plätzen. Fidelma bemerkte, dass Schwester Gisa aufgestanden war und die Aufmerksamkeit des Verwalters auf sich zu lenken versuchte. Er kam zu ihr, und sie reichte ihm ein Papier. Der Verwalter las es, rügte sie barsch und ging zum Abt. Der warf einen Blick darauf, und sein Gesicht verfinsterte sich. Mit einer heftigen Handbewegung bedeutete Bruder Wulfila dem Mädchen, sich wieder zu setzen.
Während der Abt angelegentlich mit Magister Ado flüsterte, nutzte Fidelma die Gelegenheit, sich an den Ehrwürdigen Ionas zu wenden. »Wer ist dieser Bischof Britmund?« Zwar hatte sie den Namen schon zuvor gehört, wusste aber nicht mehr, in welchem Zusammenhang.
»Er ist Arianer, ein Anhänger des Arius, und ein Feind unserer Abtei«, erläuterte der Gelehrte; er machte einen sichtlich besorgten Eindruck. »Er ist Bischof von Placentia, einer Stadt jenseits des Tales am großen Fluss Padus. Er und unser Abt sind geradezu eingeschworene Feinde. Viele unserer Brüder hat man überfallen, als sie versuchten, in Placentia zu predigen.«
»Auch Bruder Ruadán?«
»Auch Bruder Ruadán.«
Jetzt wandte sich Abt Servillius an den Ehrwürdigen Ionas, wechselte hastig und ernst einige Worte mit ihm, erhob sich dann, ging zu Freifrau Gunora und raunte auch ihr einiges zu. Als Nächstes kam er zu Bruder Wulfila, der sich ehrfürchtig erhob. Fidelma konnte hinter ihrem Rücken ihr Getuschel hören.
»Sieh zu, dass du für den Bischof und seine Begleitung eine Unterkunft findest. Egal wo, aber nicht im Gästehaus.«
»Nicht im Gästehaus?«
»Es scheint geraten, den Bischof und seinen Begleiter so weit wie möglich von Freifrau Gunora und ihrem Schützling entfernt zu halten.«
»In Ordnung, Vater Abt. Ich werde sie im Westturm unterbringen.« Der Verwalter ließ sein Essen stehen und eilte unverzüglich aus dem refectorium, um seiner Aufgabe nachzukommen. Bischof Britmund hatte den Abt nicht aus dem Auge gelassen und seine Absprachen aus der Entfernung nicht ohne Hohn verfolgt. Fidelma beugte sich zum Ehrwürdigen Ionas.
»Hat dieser Bischof Britmund bei den Verletzungen, die Bruder Ruadán erlitten hat, seine Hand mit im Spiele gehabt?«
»Nicht direkt. Britmund ist ein Mann, der vor allem mit Wortgewalt gegen die zu Felde zieht, die sich an das Glaubensbekenntnis von Nicäa halten. Damit schürt er das Feuer in den Köpfen und überlässt anderen den Rest.«
»Der Abt befürchtet offensichtlich, er könnte dem jungen Prinzen Schaden zufügen.«
»Das könnte durchaus sein«, gab der Ehrwürdige Ionas zögernd zu.
»Der Junge ist doch aber der Sohn auch seines Königs!« Fidelma hielt die Vorstellung für absurd.
»Es geht das Gerücht um, Bischof Britmund würde Perctarit, Grimoalds Feind, unterstützen.«
»Dann glaubst du also, er ist in Wirklichkeit nicht hier, um Fragen des Glaubens zu erörtern?«
Der Gelehrte lächelte traurig. »Genau das befürchte ich. Ich glaube, er wollte nur in Erfahrung bringen, ob der Prinz hier tatsächlich Schutz und Zuflucht gefunden hat.«
»Daraus würde sich aber ergeben, dass Seigneur Radoald da irgendwie mit drinsteckt.« Fidelma dachte an die Begegnung, deren Zeuge sie in der Nacht auf Radoalds Festung geworden war. »Es ist doch seltsam, dass man den Abt nicht zuvor von diesem Treffen verständigt hat, zu dem Bischof Britmund eigens geladen wurde.«
Der Ehrwürdige Ionas nickte. »Er hätte davon erfahren müssen. Augenscheinlich hatte Seigneur Radoald ihm eine diesbezügliche Notiz geschrieben, die er Schwester Gisa anvertraut hatte mit dem Auftrag, sie ihm zu übergeben. Leider hat sie versäumt, das zu tun, erst Britmunds Eintreffen hier hat sie wieder daran erinnert. Eine Unterlassungssünde, die nicht ungestraft bleiben wird. Auf Radoald ist Verlass. Seine Familie hat stets Grimoald und unsere Abtei nach Kräften unterstützt. Radoald selbst ist erst seit einigen Jahren Seigneur von Trebbia. In Grimoalds Kriegen zog er gemeinsam mit seinem Vater, Seigneur Billo, aus, um zu kämpfen. Sein Vater kehrte nicht mehr zurück, und so wurde Radoald hier der Landesherr. Billo zu verlieren, war für uns ein herber Schicksalsschlag. Er war ein äußerst kultivierter Mann, belesen und musikalisch. Wie auch immer, der junge Radoald ist bestrebt, dem Tal ein ebenso guter Herrscher wie sein Vater zu sein.«
Fidelma überlegte kurz. »Der Bischof hat mit einer merkwürdigen Genugtuung die Anwesenheit von Magister Ado in der Abtei wahrgenommen,« bemerkte sie dann.
»Magister Ado zählt nicht gerade zu seinen Freunden«, entgegnete der Ehrwürdige Ionas. »Grund genug für uns und die Klostergemeinde, vor dem Wolf im Bischofsgewand auf der Hut zu sein.«
Abt Servillius hatte den letzten Teil ihrer Unterhaltung mitgehört und mischte sich mit ernstem Lächeln ein. »Es gibt viele Dinge, die ich Britmund zutrauen würde. Er ist ein Fanatiker. Wiederum schürt er nur mit Worten Hass und Gewalt – nie würde er sich zu tätlicher Gewalt hinreißen lassen. Zumindest sind wir vorgewarnt und werden die unliebsamen Gäste nicht aus den Augen lassen.«
Fidelma schaute zu Bischof Britmund und seinem Begleiter hinüber, die ungeachtet der Unruhe, die sie verbreitet hatten, mit herzhaftem Appetit dem Essen zusprachen. Auch sie machte sich daran, ihr Mahl zu beenden. Als sie so weit war, tauchte Bruder Wulfila wieder auf. Er ging zum Abt, und sie hörte ihn leise sagen: »Es ist alles erledigt, Vater Abt. Für den Bischof wurde ein Gemach hergerichtet, und sein Begleiter kann sich im Hauptschlafsaal zur Ruhe betten.«
»Und …?« Der Abt sah ihn erwartungsvoll an.
»Ich habe dafür Sorge getragen, dass der Bischof und seine Begleitung weit genug von Freifrau Gunora und dem Prinzen untergebracht sind. Darüber hinaus werden Bruder Bladulf und ich die Nacht über vor ihrem Zimmer abwechselnd Wache halten.«
»Gut. Gottes Segen sei mit dir«, murmelte der Abt.
Bruder Wulfila eilte fort, und Fidelma blickte ihm mit sorgenvollem Gesicht hinterher. Der Ehrwürdige Ionas war bemüht, ihre Bedenken zu zerstreuen. »Bruder Wulfila ist ein guter Mann, auch wenn er erst seit kurzem bei uns ist. Er hat früher im Heer gedient und kann sich immer noch nicht von der soldatischen Denkweise lösen, aber vielleicht kommt ihm die sogar in seinem Amt als Verwalter der Abtei zugute.«
»Es klingt bedrohlich«, meinte Fidelma.
»Du bist fremd hier, Prinzessin, und mit den hiesigen Gegebenheiten nicht vertraut. Abt Servillius ist gegenüber dem König, dem Vater des Prinzen, für die Sicherheit des Knaben verantwortlich.«
»Ihr nehmt also die Bedrohung sehr ernst?«, hakte sie nach.
»Wir müssen auf alles gefasst sein«, erwiderte der Gelehrte.
Ohne jede Zeremonie stand der Abt auf und erhob die Hand. Die Mönche verstummten. Abt Servillius erklärte das Mahl für beendet, ein zweimaliges Läuten der Glocke bekräftigte seine Worte.
An sich erwartete man von Fidelma, dass sie die frommen Brüder in die Kapelle zur Abendandacht begleitete. Sie zögerte ein wenig, weil es vielleicht der ideale Zeitpunkt gewesen wäre, Bruder Ruadán ein weiteres Mal aufzusuchen und mit ihm ungestört ohne die Anwesenheit von Bruder Hnikar zu sprechen. Zu gern hätte sie herausgefunden, was er mit seiner Warnung vor dem Bösen gemeint und warum er sie inständig gebeten hatte, die Abtei so rasch wie möglich zu verlassen. Aber man würde ihr Fehlen sofort bemerken und sich darüber Gedanken machen. Zudem gesellte sich Schwester Gisa zu ihr und wollte sie unbedingt zu dem Teil der Kapelle führen, der den Schwestern der Gemeinschaft zugewiesen war. Das Mädchen war sichtlich bedrückt, dass ihr ihre Vergesslichkeit einen so bösen Streich gespielt hatte.