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Sie presste die Lippen zusammen. Warum kam ihr eigentlich immer wieder Eadulf in den Sinn? Er bekannte sich zu den Regeln von Rom. Im Grunde genommen störte sie das nicht, auch wenn sie in einem anderen Glauben aufgewachsen war. Doch irgendwie ließ ihr die Sache keine Ruhe. Wer in dem Glaubensstreit nun recht hatte oder nicht, berührte sie weniger. Die einen glaubten halt an den alleinigen Gott, der den Sohn und den Heiligen Geist erschuf, und die anderen glaubten an die Dreieinigkeit Gottes. Bitteschön, warum nicht? Wegen unterschiedlicher Auffassungen musste man sich nicht gegenseitig umbringen.

Sie fing plötzlich an zu frieren. Es war spät geworden, und sie hatte, völlig in Gedanken versunken, im Hof auf einer Steinbank gesessen. Fast ein wenig schuldbewusst schaute sie sich um. Man hatte etliche Fackeln angezündet, um den Hof zu erhellen, aber der war menschenleer. Sie hatte doch eigentlich Bruder Ruadán aufsuchen wollen. Würde sie den Weg zu seinem Krankenlager wiederfinden? Wahrscheinlich nur von ihrer eigenen Kammer aus.

Kurz entschlossen eilte sie durch die Gänge und die Stufen hinauf, die zu den Räumen im Gästehaus führten, blieb vor ihrer eigenen Tür stehen, atmete tief durch und ging weiter. Sie hatte etwa die Hälfte des dunklen Ganges hinter sich gebracht, als sich rechts neben ihr eine Tür öffnete. Ein Verbergen war unmöglich, denn das Licht aus dem Zimmer fiel unmittelbar auf sie.

Fast gleichzeitig hörte sie von weiter vorn im Gang jemand rufen: »Wer ist da? Ist alles in Ordnung?«

Sie erkannte Bruder Wulfila, der mit einer Lampe in der Hand aus dem Dunkel auftauchte. Sie hatte völlig vergessen, dass er und der Torhüter vor dem Zimmerr von Freifrau Gunora Wache halten wollten.

»Ja. Kein Grund zur Beunruhigung«, hallte die Stimme der Adligen Gunora unmittelbar über Fidelmas Kopf hinweg. Der Verwalter wandte sich wieder ab und kehrte an seinen Posten am Ende des Ganges zurück. Erleichtert atmete Fidelma auf, denn wäre sie bis nach vorn gegangen, wäre sie in Erklärungsnöte geraten.

»Schwester Fidelma – oder sollte ich besser Prinzessin Fidelma sagen? Ich möchte mit dir sprechen.« Im Türrahmen hinter ihr stand Freifrau Gunora.

Fidelma verneigte sich andeutungsweise vor der langobardischen Adligen. »Fidelma genügt«, erklärte sie freundlich lächelnd.

Die Frau warf einen prüfenden Blick nach beiden Seiten des Ganges. »Komm einen Moment herein, damit wir Bruder Wulfila nicht wieder aufscheuchen. Der Abt hält große Stücke auf ihn. Er gehörte zu den Kriegern im Kampf gegen Perctarit und nimmt seine Aufgabe als Wächter sehr ernst.«

Fidelma blieb nichts anderes übrig, als in das Gemach einzutreten. In einem Bett in einer Ecke lag der junge Prinz Romuald und schlief fest. In einer anderen Ecke stand ein weiteres Bett, vermutlich das für Gunora, war aber noch völlig unberührt.

»Kann ich dir irgendwie helfen, edle Dame?« fragte Fidelma leise.

Die Angeredete antwortete nicht sogleich, als müsse sie erst überlegen, wie sie das, was sie auf dem Herzen hatte, am besten zum Ausdruck brachte. »Ich wollte dich nur warnen, Fidelma. Du bist die Tochter eines Königs, und wir aus adligem Geblüt sind einander verpflichtet.«

Fidelma schaute sie überrascht an. »Mich warnen?«

»Du gehörst nicht zu denen hier, Prinzessin. Du solltest das Tal so rasch wie möglich verlassen.«

»Ich verstehe nicht recht. Was die Zugehörigkeit betrifft, so haben meine Landsleute diese Abtei gegründet. Ich bin in erster Linie wegen meines guten Freundes und Mentors, Bruder Ruadán, hier. Er ist hochbetagt und wird, wie man mir sagte, nicht mehr lange auf dieser Welt weilen. Ich werde abreisen, wenn ich es für richtig halte.«

Freifrau Gunora faltete die Hände und versicherte ihr betrübt: »Ich wollte dich nicht verletzen. Aber ich fürchte den heraufziehenden Sturm, der alles hinwegfegen könnte – diese Abtei, das Tal … einfach alles.«

»Ich verstehe immer noch nicht.«

»Es hat in den letzten Jahren in den Bergen und Tälern hier viel Blutvergießen gegeben. Sein Vater« – sie nickte zum schlafenden Romuald hinüber –, »ist kein schlechter König, aber auf seinem Weg zur Macht ist viel Blut geflossen. Gegenwärtig hält er sich im Süden des Landes auf, um unsere Feinde dort zu bändigen. Wie wir hören, ist der frühere Mitkönig Perctarit aus dem Frankenreich über die großen Berge zurückgekehrt und sinnt auf Rache.«

»Magister Ado und andere haben mir davon berichtet«, bestätigte Fidelma.

Freifrau Gunora lächelte kurz. »Magister Ado? Viel Gutes wird über ihn gesagt. Aber traue niemandem. Nicht dem Abt, nicht Ado, auch nicht Ionas. Überall lauert hier Böses, Prinzessin. Und davor wollte ich dich warnen, dich inständig bitten, umgehend abzureisen.«

Fidelma schwieg einen Moment. Was die Frau ihr offenbarte, war mehr oder weniger das, was auch der arme Bruder Ruadán gesagt hatte. Sie musste dahinterkommen, was hier wirklich vor sich ging.

»Kennst du Bruder Ruadán?«, fragte sie unvermittelt.

Gunora nickte. »Die meisten von hier und bis Placentia kennen ihn, denn trotz seines Alters ist er viel umhergewandert, um den wahren Glauben zu verkünden.«

»Du bist also keine Anhängerin des Arius?«

»Du weißt von dieser Zwietracht?« Wieder blickte sie zu dem schlafenden Knaben. »Sein Vater, Grimoald, glaubt an die Lehre, die Arius aus Alexandria vertritt. Er hat aber eine Frau geheiratet, die zu dem Glaubensbekenntnis von Nicäa und zu der Autorität des Heiligen Vaters in Rom steht. Grimoald regiert mit liberaler Hand. Unter seiner Regentschaft bleibt es jedem Einzelnen überlassen, welchem Glauben er folgt. Es wäre für den Jungen gut, wenn er nicht in die Hände von Perctarit fällt.«

»Du befürchtest, dass die Arianer, wenn sie des Knaben habhaft werden, ihn Perctarit ausliefern? Was hat das für einen Sinn, wenn sein Vater selbst ein Anhänger ihres Glaubens ist.«

»Ich weiß, Prinzessin. Aber Religion hat damit nichts zu tun. Es geht hier nur um Macht. Britmund und sein Lakai Godomar sind zu allem imstande, wenn sie nur Perctarit gefällig sein können und so seine Gunst erwerben. Grimoald hat bereits erklärt, er werde weder die eine noch die andere Seite in diesem theologischen Streit unterstützen. Hüte dich vor Bischof Britmund. Er ist von Ehrgeiz besessen.«

»Aber er ist doch ein Mann des Glaubens und hat geschworen, Christus zu folgen, das heißt, Frieden zu halten.«

Gunora lachte böse auf, und Fidelma erschrak.

»Frieden? Ich frage mich oft, wieso wir nichts mehr von den alten Göttern und Göttinnen wissen wollen. Hat nicht Christus, wie es bei Matthäus heißt, selbst gesagt: ›Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter und die Schwiegertochter wider ihre Schwiegermutter. … Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist meiner nicht wert.‹ Frieden? Sind das die Worte eines Friedensstifters? Das sind Worte, die Männer wie Britmund in die Welt schreien und damit Menschen aufhetzen, gegeneinander zu kämpfen.«

Fidelma zögerte. Diese Bibelstelle war ihr bislang nicht bewusst gewesen, und sie nahm sich vor, den Text bei Gelegenheit zu überprüfen.

»Fühlst du dich hier nicht sicher?«, fragte sie

»Ich fürchte um den Prinzen. Seine Mutter hat ihn mir überantwortet, als sie ihn zurückließ, um Grimoald im Süden beizustehen. Ich fürchte um seine Sicherheit, denn ich fühle den blutrünstigen Sturm nahen. Ich wollte dich wirklich nur warnen, Fidelma aus Hibernia, verlasse diesen Ort, so rasch du kannst.«

Arg verstimmt fand sich Fidelma draußen im Gang wieder. Sie hatte das Gefühl, dass sie jedermann warnen wollte. Doch sie war aus gutem Grund hier, vielleicht würde das Anliegen, das sie verfolgte, der Schlüssel zu ihren Fragen sein. Sie spähte in den Gang. An seinem Ende saß Bruder Wulfila auf einem Schemel, die flackernde Laterne zu seinen Füßen. Er hatte die Hände vor dem Bauch gefaltet, der Kopf sackte schläfrig herab. Selbst wenn er fest schlief, würde sie nicht unbemerkt an ihm vorbeikommen. Verärgert presste sie die Lippen zusammen und überlegte. Ihr Vorhaben ließ sich jetzt nicht verwirklichen. Sie würde bis zum Morgengrauen warten müssen in der Hoffnung, dass Bruder Wulfila seinen Wachposten einigermaßen zeitig aufgab.