»Hast du es so erledigen können, wie ich sagte?«
Er war mit den Gedanken woanders, und sie musste ein zweites Mal fragen, bevor er es ihr bestätigte.
»Ist alles fortgeschafft und das Schloss wieder an Ort und Stelle?«
»Deine Anweisungen wurden exakt befolgt.«
»Und niemand anders hat etwas davon erfahren?«
»Niemand hat uns gesehen, und ich habe die Helfer zum Schweigen verpflichtet, genau, wie du es gesagt hast.«
Erregte Menschen, unter ihnen auch die Nonnen, drängten durch die Tore in die Abtei. Über allem Lärm schallten aus dem Tal die Jagdhörner der anrückenden Belagerer herauf.
»Sie kommen!«, rief der Ehrwürdige Ionas. »Wir sind verloren!«
»Das sind wir nicht!«, schrie Wulfoald energisch dazwischen.«Wir müssen hier die Stellung halten, bis Radoald eintrifft. Lass sofort die Tore schließen!«
Der Ehrwürdige Ionas starrte ihn an. An den Toren rang ein Knäuel von Menschen um Einlass, einige mit gackernden Hühnern auf dem Arm, andere zerrten Ziegen oder sich sträubende Schweine hinter sich her. Fidelma glaubte schon, der Geistliche würde den Befehl verweigern, aber er schien zu begreifen, dass ihm keine andere Wahl blieb. Mit verbissenem Gesicht griff er einen der gerade vorbeigehenden Brüder. Es war Waldipert, der beleibte Koch.
»Schließ die Tore. Geh, nimm dir andere zur Hilfe und unterstützt Bruder Bladulf. Sag denen, die nicht mehr in die Abtei gelangen können, sie sollen fortlaufen und sich verbergen, so gut sie können. Wir bringen einfach nicht mehr unter. Wir müssen die Tore jetzt zumachen. »Der Koch rannte los, um den Auftrag zu erledigen, und rief anderen Brüdern zu, ihm zum Tor zu folgen. Der Ehrwürdige Ionas aber ging hinüber zu Magister Ado; gemeinsam bewegten sie die Brüder dazu, die Pferde in die Stallungen zu bringen.
Fidelma folgte Wulfoald, der eine kurze steinerne Treppenflucht hinaufgegangen war, von der aus man auf einen Wehrgang oberhalb der Tore gelangte. Aistulf hatte bereits dafür gesorgt, dass die Krieger mit gespannten Bogen verteidigungsbereit standen. Lange würden die wenigen Bogenschützen einem ernsthaften Angriff nicht standhalten können, das war auch Fidelma klar.
Inzwischen hatten Bruder Bladulf und Bruder Waldipert mit Unterstützung etlicher Brüder gegen den Druck der verzweifelten Menschen draußen die Tore schließen können. Jammernd und schreiend zerstreute sich die Menge in alle Richtungen. Die anderen, die auf dem Hof Zuflucht gefunden hatten, erhöhten nur noch die Panik, die ohnehin unter den Mönchen herrschte. Mit Erleichterung entdeckte Fidelma Schwester Gisa in dem Gewühle. Sie hatte es also heil zurück geschafft. Sie tat ihr leid, es musste schwer für das arme Mädchen sein, sich mit der grässlichen Wahrheit über den Mann, den sie liebte, abzufinden. Doch schon wenige Minuten später war sie zusammen mit Magister Ado und dem Ehrwürdigen Ionas zu den Verteidigern nach oben gekommen, von wo sie über die Tore hinweg in die Weite schauen konnten.
Angstvoll spähten sie in das Trebbia-Tal, erneut hörten sie die Hörner blasen, nur klang es diesmal bedrohlich nahe. Schon bald vernahmen sie das Stampfen von Pferden, ihre Hufe donnerten über den steinigen Untergrund, und wo sie durch seichtes Wasser galoppierten, platschte es laut. Und dann war sie da – eine kriegerische Meute mit wehenden Fahnen kam zügig heraufgeritten und machte vor den Toren der Abtei halt. Die Menschen aus der Siedlung, die nicht mehr Einlass gefunden hatten, hatten sich ins Waldesdickicht retten können und waren wie durch ein Wunder verschwunden.
»Es sind weniger, als ich befürchtet habe«, brummte Wulfoald zufrieden.
»Sie sind zahlreich genug, um sich Zugang zur Abtei zu verschaffen und uns zu vernichten«, entgegnete der Ehrwürdige Ionas skeptisch.
Fidelma blickte prüfend auf die gegnerischen Krieger hinunter. Sie hatten vor den Toren Stellung bezogen und warteten auf die Befehle ihrer Anführer. Den schwarzbärtigen Seigneur von Vars hatte sie bereits erkannt, und neben ihm entdeckte sie Kakko, den massigen Verwalter, der ein Kriegsbeil schwang, als wäre es eine Haselrute.
»Oh, seht nur! Seht nur dort!«, rief Schwester Gisa.
Ein junger Krieger hatte sich von Grasulfs Seite gelöst und kam weiter vorgeritten. Trotz seiner kriegerischen Aufmachung mit glänzendem Brustharnisch, Helm und allem, was zu einer Rüstung gehörte, waren ihnen seine Bewegungen vertraut. Er brachte sein fahles Ross zum Stehen, nahm den Helm ab und sah verächtlich nach oben.
»Bruder Faro!«, stöhnte Magister Ado mit zusammengebissenen Zähnen.
Fidelma nickte traurig. »Da haben wir den Anführer der Verschwörung, die so viele Tote gefordert hat. ›Siehe, ein fahles Pferd; und der darauf saß, des Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach‹, heißt es in der Offenbarung des Johannes.«
Fassungslos murmelte Magister Ado: »Bruder Faro war doch mein Schüler. Wie konnte er sich auf Verrat und Schreckenstaten einlassen?«
Bruder Faro hatte die Gestalten oben erspäht und brachte sein Pferd noch etwas näher heran.
»Wir sind gekommen, um etwas zu holen, das Grasulf, dem Seigneur von Vars, gehört, und der bald auch Seigneur von Trebbia sein wird«, verkündete er mit triumphalem Lächeln. Er drehte sich um und wies auf die Nekropole. Zwei von Grasulfs Kriegern verließen den Rest und ritten geschwind in die Totenstadt. Ungerührt lenkten sie die Pferde über die Gräber zu den Mausoleen der Äbte. Alles wartete schweigend, selbst, als man Stein auf hartes Metall schlagen hörte. Faro gab sich auf seinem Pferd gelassen, blickte aber unbewegt zu ihnen nach oben.
»Ich empfehle euch, öffnet die Tore. Wir würden die Abtei lieber friedlich einnehmen, als mit Waffen und Feuer gegen euch vorzugehen.«
Der Ehrwürdige Ionas schaute nervös zu Wulfoald, der ihm standfest zu bleiben gebot. »Nicht wankelmütig werden! Radoald rückt bald an. Er kommt bestimmt.« Der Gelehrte nickte und rief voller Verachtung zu Bruder Faro hinunter: »Du weißt, dass du dich gegen ein Gotteshaus wendest, Bruder Faro. Was ist aus deinem Gelübde geworden, dass du uns verrätst und deinen eigenen Brüdern mit Waffengewalt drohst?«
»Ich habe ein weitaus strengeres Gelübde vor meinem König abgelegt, und das war lange, bevor ich mir zum Schein die grobe wollene Kutte überzog«, bekam er zur Antwort. »Ich bin Faro, Seigneur von Turbigo.« Der junge Mann entdeckte unter den Obenstehenden Schwester Gisa, und seine Gesichtszüge wurden weicher. »Gisa, es tut mir leid, dass du erst jetzt und unter leidigen Umständen mit dem wahren Sachverhalt konfrontiert wirst. Glaube mir, was zwischen uns gewesen ist, war nicht gespielt, war aufrichtig. Ich biete dir auch jetzt meinen Schutz an und meine Hand, meine Liebe. Lass ab von deinen frommen Schwestern und komm mit mir.«
Sie hatte, am ganzen Leib zitternd, dagestanden. Doch plötzlich ging ein Ruck durch sie, da sie die volle Wahrheit begriff, und empört schrie sie zu ihm hinab: »Deine Hand und deine Liebe?« Tränen schossen ihr in die Augen. »Die Hand eines Mörders?«
»Die Hand des Seigneurs von Turbigo, Befehlshabers im Heere Perctarits, des rechtmäßigen Königs der Langobarden«, entgegnete er.
Von der Nekropole schallte ein wütender Ruf herüber. Einer der Männer kam im Galopp zurück. Was er Faro mitzuteilen hatte, konnte die kleine Gruppe auf der Mauer nicht verstehen. Faro schaute hoch.
»So, ihr habt also genommen, was rechtmäßig Grasulf gehört! Ich befehle euch, uns den Fund umgehend auszuhändigen.«
Grasulf hatte den Wortwechsel mitbekommen und sich mit seinem Ross nach vorn an Faros Seite gedrängt.
»Das Gold habt ihr gestohlen?«, fragte er laut und voller Hohn. »Egal, wir brennen euch nieder und schlagen euch so oder so zusammen!« Dann bemerkte er Fidelma. »Sieh mal einer an, da haben wir ja alle Vögelchen beieinander, und sogar die Prinzessin aus Hibernia. Kannst dich schon freuen, sollten wir deiner lebend habhaft werden – eine Prinzessin bringt ein schönes Lösgeld, besonders bei Sklavenhändlern.« Und mit einem Blick zu Faro fuhr er fort: »Los, Faro, wir sollten uns weitere Worte sparen. Sie haben unser Ultimatum. Die Tore sind auf der Stelle zu öffnen, oder wir beginnen mit dem Angriff und legen hier alles in Schutt und Asche, wenn sie sich nicht ergeben.«