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Faro lehnte sich im Sattel zurück. »Ihr habt gehört, was der Seigneur von Vars bestimmt«, rief er. »Ihr habt die Wahl. Macht die Tore auf, oder wir schießen Brandpfeile in eure Dächer.«

»Öffnet die Tore! Öffnet die Tore!«, ertönte plötzlich eine Stimme auf dem Hof. Es war Bruder Wulfila, der Verwalter, der zum Portal stürmte. Bruder Bladulf, daran gewöhnt, vom Verwalter Befehle zu erhalten, machte sich bereits am Tor zu schaffen und schob den Riegel zurück.

»Unser dritter Verschwörer!«, rief Fidelma. »Ich hätte euch warnen sollen. Gebietet ihm Einhalt!« Aber das Stimmengewirr im Hof schwoll zusehends an, so dass sie niemand hörte. Sie beschwor den Ehrwürdigen Ionas. »Du musst ihm Einhalt gebieten. Wulfila ist Perctarits Mann.«

Der Ehrwürdige Ionas war vollends verwirrt und handlungsunfähig, Wulfoald jedoch sprang von der Mauer, stürzte auf die Tore zu und versuchte den Verwalter zurückzureißen. Der aber hatte bereits eine der schweren Holzstangen gelöst, wandte sich um und holte wie ein geübter Krieger damit aus. Der Schlag traf Wulfoald seitlich am Kopf und brachte ihn zu Fall. Wulfila stürzte durch das entsicherte Tor nach draußen.

Inmitten des Tumults und Lärms erklangen Hörner, lange und eindringliche Kriegssignale. Eine größere Gruppe Berittener galoppierte über den Fluss, Banner wehten und näherten sich eilends Grasulfs raubgieriger Meute. Faro erkannte die drohende Gefahr, setzte den Helm auf und zog das Schwert. Grasulf brach in ein fluchendes Gebrüll aus.

»Radoald!«, rief Aistulf triumphierend.

Fidelma, die kein Auge von Bruder Wulfila ließ, sah, wie er durch das offene Tor nach draußen rannte und der durcheinandergeratenen Truppe von Grasulf entgegenstürzte. Mit ausgestreckter Hand rief er: »Haltet ein! Ich bin es, Wulfila, so wartet doch! Ich … ich …«

Einer von Grasulfs Männern drehte sich mit gespanntem Bogen um – sein Pfeil durchbohrte Wulfilas Kehle. Ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, sank der ehemalige Verwalter der Abtei zu Boden.

Es blieb keine Zeit, weitere Gedanken auf ihn zu verschwenden, denn Radoalds Krieger preschten in die von den Ereignissen überwältigte feindliche Reiterschar. Der Kampf dauerte nicht lange, wenngleich er Fidelma eine Ewigkeit schien. Schon bald jagten die Unterlegenen fliehend ins Tal und ließen Tote und Verwundete zurück. Zu den Toten gehörte auch der Seigneur von Vars.

Schwester Gisa stand tränenüberströmt neben Fidelma und starrte auf die dahingestreckten Leiber. »Er ist entkommen«, stellte sie fest, »ist mit den anderen geflohen.«

Eine Woche später wartete Fidelma am Kai im Hafen von Genua auf das Auslaufen ihres Schiffes. Die Besatzung traf die letzten Vorbereitungen. Schwester Gisa und Wulfoald hatten sie begleitet, und so standen sie zu dritt unten am Laufsteg.

»Ich kann nicht gerade behaupten, dass es mir leid tut, abreisen zu müssen«, erklärte Fidelma.

»Und doch fühlst du dich mit uns verbunden«, meinte Schwester Gisa zaghaft, »wir werden dich vermissen.«

»Alles hat einen guten Ausgang gefunden, und dafür sind wir dir sehr dankbar«, fügte Wulfoald hinzu. »Grimoald hat Perctarit und seine Rebellen ins Land der Franken zurückgedrängt. Die Verschwörung, um Grasulf mit Gold zu bezahlen, dass er sich der wichtigen Verkehrswege des Tals bemächtigt, konnte vereitelt werden, der Seigneur von Vars ist erschlagen, seine Macht gebrochen.«

Fidelma nickte. »Und die Abtei ist durch Perctarits Gold reicher geworden. Aber können wir wirklich sagen ›Ende gut, alles gut‹? So viele Tote. Bruder Ruadán, der kleine Wamba, seine Mutter Hawisa, Freifrau Gunora, Abt Servillius … sie alle haben sterben müssen – und wofür?«

Wulfoald fuhr mit einer Hand an die Stirn – die Stelle, wo der Verwalter ihn mit dem Torriegel getroffen hatte, war verschorft.

»Wulfila … Das ist einer, um den es mir nicht leid tut. Den Hieb, den er mir versetzt hat, spüre ich immer noch. Sag, wusstest du, dass er der Dritte in der Verschwörerbande war, ehe er sich selbst verriet?«

»Ich hatte ihn im Verdacht und habe es törichterweise nicht rechtzeitig genug gesagt. Eine Tatsache fügte sich an die andere. Ich hätte ihn zur Rede stellen müssen, konnte aber meine Beschuldigung nicht in Gegenwart des Ehrwürdigen Ionas und des Magisters äußern. Als ich das erste Mal in die Abtei kam, wurde ich Zeuge einer Szene zwischen Bruder Faro und Wulfila, und die spielte sich nicht so ab, wie es zwischen dem Verwalter einer Abtei und einem Mitglied der Bruderschaft üblich ist. Als Wulfila sah, dass Bruder Faro verwundet war, rannte er wie ein untertäniger Diener auf ihn zu und wurde von Faro scharf gerügt. Ich erfuhr später, dass beide vor zwei Jahren in die Abtei gekommen waren, und das war, nachdem man Perctarit ins Exil geschickt hatte. Beide waren zuvor Krieger gewesen.«

»Faro hat daraus keinen Hehl gemacht«, bestätigte Wulfoald.

»Aber niemand wusste, dass Wulfila unter Faro gedient hatte, denn der war einer von Perctarits Befehlshabern. Aistulf hat mir später Näheres über den Seigneur von Turbigo berichtet; während der kriegerischen Auseinandersetzungen damals hatte er gehört, dass Faro ein brillanter Truppenführer und blendender Stratege war. Faro und Wulfila haben sich in Mailand mit Eolann zusammengetan und kamen nach Bobium, um Perctarits Rückkehr vorzubereiten und gegen Grimoald vorzugehen.«

»Dann hat also Wulfila den armen Bruder Ruadán umgebracht?«, fragte Schwester Gisa.

»Ja. Wulfila hörte mich sagen, dass ich Bruder Ruadán bei klarem Verstand vorgefunden hätte und dass ich ein weiteres Mal zu ihm gehen würde. Von seiner Warte aus gesehen durfte das nicht geschehen, und so erstickte er ihn mit einem Kissen. Es war ihm jedoch entgangen, dass ich kurz zuvor noch einmal mit Bruder Ruadán gesprochen hatte. Bruder Hnikar erklärte dann, Wulfila hätte ihm mitgeteilt, Bruder Ruadán wäre in der Nacht entschlafen. Ich wusste, dass das nicht stimmen konnte. Wulfila hatte auch vor dem Zimmer von Freifrau Gunora Wache halten sollen, er muss also gesehen haben, wie sie mit dem Prinzen die Abtei verließ. Er steckte es Faro, seinem Herrn, der ihr nachjagte und sie tötete. Und schließlich hat Wulfila mich belogen, als er behauptete, Abt Servillius wäre in seinem Zimmer und wünschte niemanden zu sehen. Er hatte ihn zu dem Zeitpunkt bereits ermordet.«

»Aber warum?«

»Er riet Eolan, eine Verwundung vorzutäuschen, damit er mich nicht zu Hawisa begleiten konnte, wo herausgekommen wäre, dass er mir etwas übersetzt hatte, was sie nie gesagt hatte. Es war eine Vorsichtsmaßnahme, falls Faro die alte Frau nicht rechtzeitig genug umbringen konnte, denn das musste geschehen, ehe wir ihre Hütte erreichten. Der Schwachpunkt in der Verschwörung war Eolann. Er war Gelehrter und in Übereinstimmung mit seinem Glauben bereit, gegen die vorzugehen, die er als Anhänger des Arius betrachtete. Ein kaltblütiger Mörder wie seine im Kriegswesen geübten Mitverschwörer war er jedoch nicht. Die Tatsache, dass er mich am Pénas nicht in den Abgrund stürzen ließ, beweist, dass er noch so etwas wie Skrupel hatte. Dass so viele sterben mussten, ließ ihm keine Ruhe. Er konnte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, und so trieb es ihn zu Abt Servillius, um seine Sünden zu beichten. Wie Wulfila davon erfuhr, wird uns verborgen bleiben, vielleicht hat ihm Eolann sogar selbst gesagt, was er vorhatte. Jedenfalls war das der Punkt, da Wulfila entschied, dass beide – Eolann und Abt Servillius – sterben müssten. Faro und die Verschwörung mussten geheim gehalten werden, bis die Zeit reif war.«