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Weiss schloß die Augen und versuchte sich einzureden, daß es nicht so schlimm sein würde. Es würde keine Krankheiten mehr geben, denn die Bakterien würden sich nicht mehr unbegrenzt vermehren, sondern sich mit einem angemessenen Anteil am Leben zufriedengeben. Es würde keine Übervölkerung mehr geben. Die Menschheit würde sich dem Nahrungspotential anpassen. Es würde keine Kriege mehr geben, keine Verbrechen, keine Habgier.

Aber es würde auch keine Individualität mehr geben.

Die Menschheit würde in absolute Sicherheit eingebettet sein, ein Rad in einer riesigen biologischen Maschine. Der Mensch wurde zum Bruder des Bazillus, der Leberzelle.

Er stand auf. Er mußte mit Captain Loring sprechen. Sie würden ihren Bericht zur Erde durchgeben und das Schiff in Atome zersprengen, genau wie Saybrook.

Dann setzte Weiss sich wieder. Saybrook hatte Beweise gehabt, während er nur über die Mutmaßungen eines geängstigten Verstands verfügte, aufgerüttelt durch den Anblick zweier grüner Punkte auf einem Kieselstein. Konnte er zweihundert Menschen töten, auf einen vagen Verdacht hin?

Er mußte nachdenken.

Er war sehr erregt. Warum sollte er warten? Wenn er doch nur die willkommen heißen könnte, die jetzt an Bord waren. Jetzt!

Aber sein kühl denkender, vernünftiger Teil sagte ihm, daß er das nicht tun konnte. Die kleinen Bakterien würden ihren neuen Status in höchstens fünf Minuten verraten, und die scharfen Denker beobachteten sie ständig. Sogar wenn sie nur noch eine Meile von der Oberfläche ihres Planeten entfernt waren, würde es noch zu früh sein. Dann konnten sie sich mit ihrem Schiff immer noch selbst vernichten.

Er wartete besser, bis die Hauptschleusen sich öffneten, bis die kleinen Bakterien in der Erdenluft heranwirbelten. Dann konnte er jede einzelne von ihnen begrüßen, sie in die Brüder-schaft des vereinten Lebens aufnehmen und sie vorausschik-ken, damit sie die Botschaft verbreiteten.

Dann war das Werk vollbracht! Eine andere Welt war vollständig organisiert!

Er wartete. Dumpf pochten die Motoren, als das Schiff sich langsam zur Erde senkte. Bald wird ein Ruck durch die Riesenmaschine gehen, wenn sie auf der Erdoberfläche landet, und dann ...

Er schaltete den Empfang ein und hörte den Jubel der scharfen Denker, und seine eigenen jubelnden Gedanken antworteten ihnen. Bald würden sie imstande sein, seine Gedanken genauso zu empfangen, wie er die ihren. Vielleicht nicht gerade diese Fragmente, aber die anderen, die aus dem neuen Sein erwachsen würden.

Bald mußten sich die Hauptschleusen öffnen .

Und alles Denken verlöschte.

Verdammt, dachte Jerry Thorn, irgend etwas ist schiefgelaufen.

»Tut mir leid«, sagte er zu Captain Loring. »Eine Betriebsstörung. Die Schleusen öffnen sich nicht.«

»Sind Sie sicher, Thorn? Die Lichter sind an.«

»Ja, Sir. Wir sehen mal nach.«

Er trat neben Roger Oldenn, der neben der Leitungsnetz-Box stand.

»Was ist denn nicht in Ordnung?«

»Augenblick mal«, sagte Oldenn. Er untersuchte die Drähte. »Verdammt, da ist ein sechs Zoll breiter Riß in der Zwanzig-Ampere-Leitung.«

»Was? Das gibt es doch nicht.«

Oldenn hielt die zerschnittenen Drähte hoch, mit ihren scharf und sauber abgesägten Enden.

Dr. Weiss trat hinzu. Er sah müde aus, und sein Atem roch nach Brandy.

»Was ist los?« fragte er mit zitternder Stimme.

Sie sagten es ihm. In einer Ecke des Faches fanden sie den fehlenden Teil des Drahtes.

Weiss beugte sich darüber. Ein schwarzes Etwas lag auf dem Boden des Faches. Er berührte es mit einem Finger, und es hinterließ einen rußigen Fleck auf seiner Haut. Geistesabwesend wischte er ihn weg.

Irgend etwas mußte die Stelle des fehlenden Drahtstücks eingenommen haben. Irgend etwas Lebendes, das nur wie ein Stück Draht aussah, irgend etwas, das in der großen Hitze verkohlen würde, wenn man den elektrischen Stromkreis wieder geschlossen hatte.

»Wie steht es mit den Bakterien?« fragte er.

Einer der Männer ging nachsehen, kam zurück und sagte: »Alles in Ordnung, Doc.«

Mittlerweile hatte man die Drähte wieder verbunden, die Schleusen öffneten sich, und dann trat Dr. Weiss wieder hinaus in die anarchistische Erdenwelt.

»Anarchistisch«, sagte er mit triumphierendem Lächeln. »Und so wird es auch bleiben.«

Die Wirtin

Ende 1950 hatten meine Frau und ich uns widerstrebend mit der Tatsache abgefunden, daß wir keine Kinder bekommen könnten. Meine Frau entschloß sich, unser Leben der Kinderlosigkeit anzupassen und bereitete sich darauf vor, eine größere Rolle in meiner schriftstellerischen Laufbahn zu spielen. Es schien uns, daß wir mehr leisten konnten, wenn wir als Team arbeiteten. Ich sollte meine Erzählungen diktieren, und sie würde sie auf der Schreibmaschine tippen.

Ich war etwas skeptisch. In der Theorie hörte sich das zwar gut an, aber ich hatte noch nie zuvor eine Erzählung diktiert. Ich war daran gewöhnt, meine Werke selbst zu tippen und jedes Wort, jeden Satz vor meinen Augen entstehen zu sehen. Deshalb weigerte ich mich auch, sofort ein Diktiergerät zu kaufen. Ich sagte dem Händler, ich wolle es dreißig Tage lang zur Probe haben.

Im Lauf des nächsten Monats diktierte ich drei Erzählungen in das Gerät, deren eine »Die Wirtin« war. Es war eine beängstigende Erfahrung, die mich einiges lehrte. Zum Beispiel entdeckte ich, daß ich an meinen Erzählungen viel stärkeren Anteil nahm, als ich dachte. Meine Frau kam mit dem kleinen Tonband zu mir und sagte: »Das kann ich nicht tippen.«

Ich hörte mir die betreffende Passage an, in der zwei meiner Gestalten in einen immer heftigeren Streit gerieten. Ich merkte, daß ich immer wütender geworden war, je mehr die Erregung der beiden wuchs, und als der Streit auf dem Höhepunkt angelangt war, hatte ich nur noch unzusammenhängende Wutschreie von mir gegeben. Ich mußte diesen Teil nochmals diktieren. Du lieber Himmel! Als ich noch selbst getippt hatte, war mir das nie passiert.

Aber mit der Zeit klappte es ganz gut. Als die Erzählungen getippt waren, klangen sie ganz so, wie wenn ich sie selbst geschrieben hätte. (Wenigstens schien mir das so. Der geneigte Leser kann sich ein eigenes Urteil bilden, wenn er »Die Wirtin« liest.)

Natürlich war ich sehr erfreut. Ich sagte dem Händler, ich würde das Diktiergerät kaufen, und ich bezahlte die ganze hohe Summe auf einmal.

Nach einer Woche stellte sich heraus, daß wir ein Kind bekommen würden. Als jeder Irrtum diesbezüglich ausgeschlossen war, führten wir ein langes Gespräch, zu dem ich nur immer wieder denselben Satz beisteuerte: »Du hast mich hereingelegt.«

Jedenfalls benutzten wir das Diktiergerät nie wieder, obwohl wir es noch immer besitzen. Vier Monate nach dem Erscheinen der »Wirtin« kam mein Sohn David auf die Welt.

Rose Smollett war sehr glücklich. Sie triumphierte beinahe. Sie zog die Handschuhe aus, nahm den Hut ab und sah ihren Ehemann aus glänzenden Augen an.

»Drake, wir werden ihn hier bei uns haben.«

Ärgerlich blickte er sie an.

»Du hast das Abendessen versäumt. Ich dachte, du würdest um sieben Uhr hier sein.«

»Aber das macht doch nichts. Ich habe auf dem Heimweg eine Kleinigkeit gegessen. Drake, er wird hier bei uns sein!«

»Wer? Wovon sprichst du überhaupt?«

»Der Doktor vom Hawkin-Planeten! Weißt du nicht, daß sich die Konferenz heute mit diesem Thema befaßte? Den ganzen Tag lang haben wir davon gesprochen. Es war wahnsinnig aufregend.«