Er fuhr herum.
»Nein, warten Sie!« Er hob die Hand. »Sie sollen Ihre Story haben.«
Der Reporter, der noch keine Anstalten gemacht hatte, das Zimmer zu verlassen, ging langsam auf den alten Mann zu. Aton deutete zum Fenster hinaus.
»Von den sechs Sonnen steht nur mehr Beta am Himmel. Sehen Sie es?«
Die Frage war unnötig. Beta stand fast im Zenit. Ihr rötliches Licht tauchte das Land in ein ungewöhnliches Orange, als die hellen Strahlen der gesunkenen Gamma erstarb en. Beta stand im Aphelium. Sie war klein, kleiner, als Theremon sie jemals gesehen hatte, und in diesem Augenblick war sie die unumstrittene Königin am Himmel von Lagash.
Lagashs eigene Sonne Alpha, um die der Planet sich drehte, beschien die Antipoden. Der rote Zwerg Beta, Alphas unmittelbarer Gefährte, stand allein am Himmel, schrecklich allein.
Atons Gesicht leuchtete rot im Sonnenschein.
»In weniger als vier Stunden wird unsere Zivilisation untergehen. Und das wird geschehen, weil Beta als einzige Sonne am Himmel steht, wie Sie selbst sehen.« Er lächelte grimmig.
»Drucken Sie das! Es wird niemand mehr da sein, der Ihren Artikel liest.«
»Aber nehmen wir einmal an, es vergehen vier Stunden und noch einmal vier Stunden, ohne daß etwas passiert. Was dann?« fragte Theremon sanft.
»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Es wird genug passieren.«
»Und wenn trotzdem nichts passiert?«
Ein zweites Mal mischte sich Beenay 25 ein.
»Sir, ich glaube, Sie sollten auf ihn hören.«
»Lassen Sie doch unter Ihren Mitarbeitern abstimmen, Direktor Aton«, sagte Theremon. Bewegung entstand unter den fünf noch verbliebenen Mitarbeitern des Direktors, die bis jetzt eine vorsichtig neutrale Haltung eingenommen hatten.
»Das ist nicht nötig«, sagte Aton, und seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Er zog seine Uhr aus der Tasche. »Da Ihrem guten Freund Beenay so viel daran liegt, gebe ich Ihnen noch fünf Minuten. Reden Sie.«
»Vielen Dank. Sehen Sie, würde es irgendeinen Unterschied machen, wenn ich mich mit eigenen Augen von der Richtigkeit Ihrer Behauptungen überzeugen könnte? Wenn Ihre Prophezeiung eintrifft, würde meine Gegenwart niemandem schaden, und in diesem Fall könnte ich meinen Artikel nie mehr schreiben. Und wenn nichts passiert, so machen Sie sich lächerlich. Es wäre sehr klug von Ihnen, die Beschreibung Ihrer Lächerlichkeit einem freundlich gesinnten Reporter zu überlassen.«
Aton schnaubte.
»Freundlich gesinnt! Meinen Sie damit sich selbst?«
»Sicher.« Theremon setzte sich und schlug die Beine übereinander. »Meine Artikel klingen vielleicht manchmal ein wenig rauh, aber ich habe nie etwas dagegen gehabt, wenn man sie in Zweifel zieht. Außerdem, in diesem Jahrhundert hat es keinen Sinn, Lagash den Weltuntergang zu predigen. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Leute dem Buch der
Offenbarung keinen Glauben mehr schenken. Und es ärgert sie, wenn plötzlich Wissenschaftler auftreten und ihnen weismachen wollen, daß die Kultisten letzten Endes doch recht behalten sollen .«
»So dürfen Sie das nicht betrachten, junger Mann«, unterbrach ihn Aton. »Wenn unsere Forschungsergebnisse zum Teil auch von kultistischen Erkenntnissen ergänzt wurden, so enthalten unsere Resultate doch keinerlei Mystizismus. Fakten sind Fakten, und auch hinter dem Kult stehen gewisse Fakten. Wir haben sie freigelegt und entmystifiziert. Ich versichere Ihnen, daß die Kultisten uns jetzt noch mehr hassen als Sie.«
»Ich hasse Sie nicht. Ich versuche nur, Ihnen klarzumachen, daß die Öffentlichkeit verärgert ist.«
Aton zog verächtlich die Mundwinkel herab.
»Soll sie doch verärgert sein.«
»Sicher. Aber was wird morgen sein?«
»Es wird kein Morgen geben.«
»Und wenn doch? Sagen wir, es wird ein Morgen geben, nur damit wir sehen können, was passiert. Dann wird der Ärger der Öffentlichkeit sich noch in etwas viel Schlimmeres verwandeln. Die Geschäfte haben sich in den letzten zwei Monaten rückläufig entwickelt. Die Leute glauben zwar nicht wirklich, daß die Welt untergehen wird, aber sie investieren doch etwas vorsichtiger. Und der Normalverbraucher wartet mit seiner neuen Wohnungseinrichtung noch ein paar Monate. Um sicherzugehen.
Darauf kommt es an. Wenn alles vorüber ist, wird die gesamte Geschäftswelt über Sie herfallen. Und wissen Sie, was Sie sagen werden? Wenn Narren - verzeihen Sie den harten Ausdruck - jederzeit den Wohlstand des Landes bedrohen können, nur weil sie ein paar verrückte Prophezeiungen von sich geben, dann muß der Planet das Volk vor solchen Narren schützen. Die Funken werden fliegen, Sir.«
Der Direktor blickte den Reporter ernst an.
»Und was schlagen Sie in dieser Situation vor?«
»Nun ...« Theremon grinste. »Ich schlage vor, daß man sich um die Öffentlichkeit kümmern soll. Ich werde die lächerliche Seite der Angelegenheit hervorkehren. Das wird natürlich schwer für Sie zu ertragen sein, das gebe ich zu, denn ich muß Sie alle zu Idioten machen. Wenn ich aber die Leute dazu bringe, daß sie über Sie lachen, werden sie ihren Zorn vergessen. Als Gegenleistung erbittet sich mein Herausgeber nur eine exklusive Story.«
Beenay nickte.
»Sir, wir alle glauben, daß er recht hat«, platzte er heraus. »In den letzten zwei Monaten haben wir über alles nachgedacht, nur nicht über die Millionen-zu-eins-Chance, daß irgendwo in unserer Theorie oder in unseren Kalkulationen ein Fehler steckt. Aber wir müssen auch damit rechnen.«
Zustimmendes Gemurmel klang in der Gruppe von Männern auf, die den Schreibtisch umstanden, und Atons Gesicht sah aus, als hätte er etwas Bitteres im Mund und könne es nicht ausspucken.
»Dann bleiben Sie, wenn Sie wollen. Aber Sie werden so freundlich sein, uns nicht an der Ausübung unserer Pflichten zu hindern. Und außerdem werden Sie sich stets daran erinnern, daß ich hier der Chef bin. Wenn Sie also in irgendwelchen Belangen anderer Meinung sein sollten als ich, so können Sie das in Ihrem Artikel zum Ausdruck bringen, aber ansonsten erwarte ich von Ihnen Gehorsam und Respekt .«
Er hatte die Hände hinter seinem Rücken verschränkt, und sein faltiges Gesicht schob sich entschlossen vor, als er weitersprechen wollte. Aber eine helle Tenorstimme hinderte ihn daran.
»Hallo, hallo«, sagte der Neuankömmling, und seine fetten Wangen schwollen in einem breiten Grinsen noch mehr an. »Warum diese Grabesstimmung? Man wird doch nicht etwa die Nerven verlieren? Das will ich aber nicht hoffen.«
Aton starrte den Mann konsterniert an und fragte mürrisch: »Was zum Teufel machen Sie denn hier, Sheerin? Ich dachte, Sie wären im Schutzbunker.«
Sheerin lachte und ließ seinen unförmigen Körper in einen Stuhl fallen.
»Schutzbunker! Das wäre mir viel zu langweilig. Ich will hier sein, im Mittelpunkt der Geschehnisse. Ich will meine Neugierde befriedigen. Ich will die Sterne sehen, von denen die Kultisten immer wieder reden.« Er rieb sich die Hände, und sein Ton wurde ernster. »Es ist kalt draußen. Es hängen einem beinahe schon Eiszapfen aus den Nasenlöchern. Beta scheint überhaupt keine Wärme mehr zu geben, aus dieser Entfernung.«
Der weißhaarige Direktor knirschte in plötzlicher Erbitterung mit den Zähnen.
»Warum müssen Sie sich unbedingt zum Narren machen, Sheerin? Welchen Nutzen sollten wir hier von Ihnen haben?«
»Welchen Nutzen?« Er breitete in komischer Resignation die Arme aus. »Und welchen Nutzen hat man von mir im Schutzbunker? Dort brauchen Sie keinen Psychologen. Dort brauchen sie starke, tatkräftige Männer. Und ich bin hundert Pfund zu schwer, um tatkräftig zu sein. Und ich hätte auch einige Schwierigkeiten, mich fortzupflanzen. Warum sollte ich die Leute also mit mir belasten, ein unnötiges Maul mehr zu stopfen. Hier fühle ich mich besser am Platz.«
»Was hat es mit diesem Schutzbunker auf sich, Sir?« fragte Theremon kurz.
Sheerin schien den Reporter erst jetzt zu bemerken. Er runzelte die Stirn und blies seine dicken Wangen auf.