Das Leben auf meinem Planeten ist etwas anders eingerichtet. Die Zusammensetzung, die unser Atemsystem regelt, enthält weder Eisen noch Kupfer. Deshalb ist unser Blut farblos. Unsere Zusammensetzung enthält gewisse organische Gruppen, die lebensnotwendig für uns sind, und diese Gruppen können nur intakt bleiben, wenn in geringen Mengen konzentriertes Zyanid zugeführt wird. Zweifellos hat sich dieser Proteintyp im Lauf von Millionen Jahren nur auf einer Welt entwickeln können, in deren Atmosphäre wenige Zehntel von einem Prozent Hydrogen-Zyanid natürlich vorkommen. Durch einen biologischen Kreislauf bleibt diese Menge konstant. Viele unserer eingeborenen Mikro-Organismen geben dieses Gas ab.«
»Sie haben das sehr deutlich ausgedrückt, Dr. Tholan, und es ist sehr interessant«, sagte Drake. »Was geschieht aber, wenn Sie das Zyanid nicht einatmen? Ist es dann aus mit Ihnen? Ganz einfach so?« Er schnippte mit den Fingern.
»Nicht ganz. Es ist nicht so schlimm, als wenn Sie mit Zya-nid in Berührung kämen. In unserem Fall bewirkt der Mangel von Zyanid ein Gefühl, als ob wir langsam erdrosselt würden. Es passiert manchmal in schlecht ventilierten Räumen auf meinem Planeten, daß das Zyanid allmählich verbraucht wird, und die Sättigung der Luft mit Zyanid unter den mindestnotwendigen Wert sinkt. Das ist dann sehr schmerzhaft für uns und kaum zu ertragen.«
Rose bat Drake im stillen um Verzeihung. Er schien wirklich interessiert zu sein. Und dem Fremden machte die Fragerei Gott sei Dank nichts aus.
Drake saß mit gekreuzten Beinen da und stützte das Kinn auf die gefalteten Hände. Angespannt beobachtete er den Hawkin-Bewohner. Tholan betrachtete ihn und stand immer noch auf seinen vier Beinen am Tisch.«
»Es ist sehr schwierig für mich, Sie mir als Arzt vorzustellen.«
Der Hawkin-Bewohner lachte blinzelnd.
»Ich weiß, was Sie meinen«, sagte er. »Und mir fällt es schwer, daß ich Sie mir als Polizist vorstelle. In meiner Welt sind die Polizeibeamten sehr gut ausgebildete Männer mit Spezialkenntnissen.«
»Tatsächlich?« sagte Drake trocken und wechselte dann das Thema. »Ich nehme an, Sie sind nicht nur zu Ihrem Vergnügen auf der Erde.«
»Im Gegenteil. Ich habe hier beruflich zu tun. Ich habe vor, diesen sonderbaren Planeten, den Sie Erde nennen, so genau zu studieren, wie dies noch kein Hawkin-Bewohner vor mir getan hat.«
»Sonderbar?« fragte Drake. »In welcher Beziehung?«
Der Hawkin-Doktor sah Rose an.
»Weiß er über die tödliche Hemmung Bescheid?«
»Seine Arbeit nimmt ihn sehr in Anspruch«, erwiderte Rose leicht verwirrt. »Ich fürchte, mein Mann hat wenig Zeit, um sich mit Details aus meinem Fachgebiet zu befassen.« Sie wußte, daß das nicht ganz stimmte, und sie fühlte wieder einmal, wie schwierig es war, die Emotionen des Hawkin-Bewohners zu interpretieren.
Die außerirdische Kreatur wandte sich wieder Drake zu.
»Es erstaunt mich immer wieder, wie wenig ihr Erdenmenschen über eure eigenen ungewöhnlichen Eigenschaften wißt. Sehen Sie, da gibt es fünf intelligente Rassen in der Galaxis. Sie alle haben sich unabhängig voneinander entwickelt, aber sie konvergieren doch in bemerkenswerter Weise. Intelligente Rassen brauchen eine gewisse körperliche Beschaffenheit, um gedeihen zu können. Dieses Problem möchte ich aber lieber den Philosophen überlassen. Aber ich muß den Hauptpunkt wohl nicht genau umreißen, da er Ihnen geläufig sein wird.
Als man nun die Unterschiede zwischen den intelligenten Rassen immer wieder untersuchte, entdeckte man, daß die Erdenbewohner eine Sonderstellung einnehmen. Zum Beispiel baut sich nur auf der Erde das Atemsystem auf metallhaltigen Enzymen auf. Ihr Erdenmenschen seid die einzigen, auf die
Hydrogen-Zyanid giftig wirkt. Ihr seid die einzige intelligente Rasse, deren Nahrung auch Fleisch enthält. Ihre Lebensform ist die einzige, die sich nicht aus grasenden Tieren entwickelt hat. Und das Interessanteste ist, daß Sie die einzige Rasse sind, die zu wachsen aufhört, wenn sie die geistige Reife erlangt hat.«
Drake grinste ihn an, und Rose fühlte, wie ihr Herz plötzlich heftiger schlug. Das war das Netteste an ihm, dieses Grinsen. Er wirkte völlig natürlich, offen und ungezwungen. Er stellte sich auf diese fremde Kreatur ein, er war freundlich zu ihr -und sie war sicher, daß er das ihr zuliebe tat. Dieser Gedanke gefiel ihr, und sie wiederholte ihn im Geist. Er tat es für sie, ihr zuliebe war er nett zu diesem Hawkin-Bewohner.
»Sie sehen nicht sehr groß aus, Dr. Tholan«, sagte Drake grinsend. »Sie sind vielleicht einen Zoll größer als ich, also messen Sie etwa sechs Fuß und zwei Zoll. Sind Sie noch so jung, oder sind die Leute auf Ihrem Planeten im allgemeinen ziemlich klein?«
»Weder noch«, sagte der Hawkin-Bewohner. »Mit den Jahren wachsen wir immer langsamer. In meinem Alter dauert es fünfzehn Jahre, bis ich um einen Zoll größer werde. Aber, und das ist das Wichtigste, wir hören nie auf, zu wachsen. Und daraus erfolgt, daß wir auch nie ganz sterben.«
Drake schnappte nach Luft, und Rose saß starr da. Das war etwas Neues. Das hatten, soviel sie wußte, die vier Expeditionen auf den Hawkin-Planeten nicht in Erfahrung bringen können. Sie fühlte, wie ihre Muskeln sich erregt anspannten, unterdrückte aber einen erstaunten Ausruf und ließ Drake sprechen.
»Sie sterben nie ganz?« fragte er. »Wollen Sie etwa behaupten, daß die Leute auf den Hawkin-Planeten unsterblich sind?«
»Niemand ist wirklich unsterblich. Wenn man nicht auf natürliche Weise stirbt, geschieht es durch Unfälle oder durch tödliche Langeweile. Wenige Bewohner unseres Planeten leben mehrere Jahrhunderte Ihrer Zeitrechnung. Trotzdem ist es ein sehr unangenehmer Gedanke, unfreiwillig sterben zu müssen. Uns jedenfalls erscheint das entsetzlich. Sogar jetzt, wenn ich daran denke, erschreckt mich der Gedanke, daß gegen meinen Willen und trotz meiner Vorsicht der Tod über mich kommen kann.«
»Nun«, sagte Drake grimmig. »Wir haben uns ganz gut daran gewöhnt.«
»Ihr Erdenmenschen lebt mit diesem Gedanken. Wir nicht. Und deshalb stört es uns, daß die tödliche Hemmung sich innerhalb der letzten Jahren immer stärker verbreitet hat.«
»Sie haben bis jetzt noch nicht erklärt, was diese tödliche Hemmung ist«, sagte Drake. »Handelt es sich vielleicht um einen pathologischen Stillstand des Wachstums?«
»Genau.«
»Und wie lange dauerte es nach dem Stillstand des Wachstums, bis der Tod eintritt?«
»Etwa ein Jahr. Es ist eine sehr tragische, verzehrende Krankheit, und sie ist absolut unheilbar.«
»Wodurch wird sie verursacht?«
Der Hawkin-Doktor schwieg lange, bevor er antwortete, und als er endlich sprach, klang seine Stimme angestrengt und unbehaglich.
»Mr. Smollett, wir wissen nichts über die Ursache dieser Krankheit.«
Drake nickte nachdenklich, und Rose verfolgte die Konversation, als würde sie bei einem Tennismatch zusehen.
»Und warum kommen Sie auf die Erde, um diese Krankheit zu studieren?«
»Weil auch hier die Erdenmenschen wieder einzigartig dastehen. Sie sind die einzigen intelligenten Wesen, die gegen diese Krankheit immun sind. Alle anderen Rassen werden von der tödlichen Hemmung befallen. Wissen das die Biologen auf der Erde, Mrs. Smollett?«
Er hatte sich so abrupt an sie gewandt, daß sie auffuhr.
»Nein, das wissen wir nicht.«
»Das überrascht mich nicht. Es handelt sich dabei um eine verhältnismäßig neue wissenschaftliche Erkenntnis. Die tödliche Hemmung kann leicht falsch diagnostiziert werden, und sie kommt auf den anderen Planeten viel seltener vor. Es ist tatsächlich sehr seltsam, fast ein philosophisches Problem, daß diese Krankheit gerade auf meinem Planeten, der der Erde am nächsten ist, viel häufiger zum Tod führt als auf andern Welten. Und es ist doch sonderbar, daß diese Krankheit auf Tempora, dem Planeten, der am weitesten von der Erde entfernt ist, fast nie auftritt, während die Erde völlig immun gegen die tödliche Hemmung ist. Irgendwo in der Biochemie der Erde liegt das Geheimnis dieser Immunität. Und es wäre höchst interessant, dieses Geheimnis zu entdecken.«