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»Aber Sie können doch nicht sagen, daß die Erde immun gegen diese Krankheit ist. Wir werden sogar zu hundert Prozent davon befallen. Alle Erdenmenschen hören auf zu wachsen, und alle sterben. Wir alle werden von der tödlichen Hemmung befallen.«

»Keineswegs. Die Erdenbewohner leben noch siebzig Jahre nach dem Wachstumsstillstand weiter. Ihr Tod ist anders als unserer. Die gleichwertige Krankheit auf der Erde wird durch unbeschwertes Wachstum hervorgerufen. Sie nennen es Krebs. Aber ich glaube, ich langweile Sie.«

Rose protestierte, und Drake schloß sich ihr mit noch größerer Heftigkeit an. Aber der Hawkin-Bewohner war entschlossen, das Thema zu wechseln. In diesem Augenblick kam Rose zum erstenmal der Verdacht, daß Drake Harg Tholan mit diesem Gespräch einzukreisen versuchte, ihn quälte und anstachelte und immer wieder versuchte, die Unterhaltung zu dem Punkt zurückzuführen, an dem der Hawkin-Bewohner mit seinen Erläuterungen aufgehört hatte. Er machte das nicht plump, nicht ungeschickt, aber Rose kannte ihn, und sie wußte, was er im Schilde führte. Er konnte nur einen beruflichen

Zweck damit verfolgen. Und wie um ihre Gedanken zu beantworten, griff der Hawkin-Bewohner den Satz auf, der sich wie eine gebrochene Schallplatte auf einem ewigkreisenden Plattenteller drehte.

»Sie sagten doch, Sie seien Polizist.«

»Ja«, erwiderte Drake kurz.

»Dann würde ich Sie gern um einen Gefallen bitten. Ich wollte es schon den ganzen Abend lang tun, seit ich erfahren habe, welchem Beruf Sie nachgehen, und trotzdem habe ich immer wieder gezögert. Ich will meinen Gastgebern nicht lästigfallen.«

»Was können wir für Sie tun?«

»Ich bin unsagbar neugierig zu erfahren, wie die Erdenbewohner leben. Im allgemeinen herrscht diese Neugierde auf meinem Heimatplaneten nicht. Ich möchte Sie bitten, ob Sie mir ein Polizeidepartment zeigen könnten.«

»Ich gehöre keinem Polizeidepartment an, wie Sie es sich vielleicht vorstellen«, sagte Drake vorsichtig. »Aber man kennt mich im Polizeidepartment von New York, und ich kann Sie ohne Schwierigkeiten dort herumführen. Sagen wir morgen?«

»Das wäre mir sehr angenehm. Könnten Sie mir auch die Vermißtenabteilung zeigen?«

»Die was?«

Der Hawkin-Bewohner stellte seine vier Beine enger zusammen, und es sah aus, als würde er sich innerlich stark anspannen.

»Das ist ein Hobby von mir, ein wunderliches Interesse, das ich schon lange hege. Ich nehme an, es gibt bei Ihnen einige Polizeibeamte, deren einzige Pflicht darin besteht, nach vermißten Männern zu suchen.«

»Und nach Frauen und Kindern«, fügte Drake hinzu. »Aber warum interessiert Sie das so besonders?«

»Weil die Erdenbewohner auch in dieser Hinsicht einen Einzelfall darstellen. Auf unserem Planeten werden nie Personen vermißt. Ich kann Ihnen das natürlich nicht genau erklären, aber auf anderen Welten sind sich die Bewohner der Gegenwart ihrer Mitbewohner immer bewußt, besonders, wenn eine starke persönliche Neigung zwischen den einzelnen besteht. Wir wissen immer genau, wo die anderen sich gerade befinden, und es spielt keine Rolle, an welchem Ort auf dem Planeten sie sich gerade aufhalten.«

Roses Erregung wuchs immer mehr. Die wissenschaftlichen Expeditionen auf den Hawkin-Planeten hatten immer große Schwierigkeiten, in die Gefühlswelt der Eingeborenen einzudringen, und jetzt saß sie einem Hawkin-Bewohner gegenüber, der ganz offen sprach, der alles erklären konnte. Sie vergaß ihren Verdacht auf Drake und mischte sich in das Gespräch ein.

»Können Sie auch von der Erde aus feststellen, wo Ihre Gefährten sich gerade befinden?«

»Über den Raum hinweg? Ich fürchte, nein. Aber Sie verstehen, wie wichtig diese Sache ist. Alle Besonderheiten der Erde müssen miteinander in Verbindung gebracht werden. Wenn das Fehlen dieses Wissens um den Aufenthaltsort der Mitbewohner erklärt werden kann, kann vielleicht auch die Immunität gegenüber der tödlichen Hemmung geklärt werden. Außerdem kommt es mir sehr seltsam vor, daß ein Gemeinschaftsleben zwischen intelligenten Wesen entstehen kann, die nicht über diesen ganz besonderen Gemeinschaftssinn verfügen, der auf den anderen Planeten herrscht. Wie kann ein Erdenbewohner feststellen, daß er sich eine ideale Familie geschaffen hat? Wie können Sie beide wissen, daß ein wirklich festes Band zwischen Ihnen besteht?«

Rose nickte. Wie sehr vermißte sie einen solchen Gemeinschaftssinn!

Aber Drake lächelte nur.

»Wir haben eben unsere eigenen Gefühle. Es ist wohl genauso schwer, Ihnen zu erklären, was wir unter dem Begriff >Liebe< verstehen wie für Sie, uns die Bedeutung Ihres speziellen Gemeinschaftssinns auseinanderzusetzen.«

»Ich nehme es an. Aber sagen Sie mir ehrlich, Mr. Smollett -wenn Mrs. Smollett diesen Raum verläßt und einen anderen betritt, ohne daß Sie es sehen, würden Sie wirklich nicht fühlen, wo sie sich befindet?«

»Nein. Wirklich nicht.«

»Erstaunlich«, sagte der Hawkin-Bewohner. Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Bitte, fühlen Sie sich nicht durch die Feststellung beleidigt, daß ich das abstoßend finde.«

Nachdem sie das Licht im Schlafzimmer gelöscht hatte, ging Rose dreimal zur Tür, öffnete sie einen Spalt und starrte hinaus. Sie fühlte, daß Drake sie beobachtete. Mühsam unterdrückte Heiterkeit schwang in seiner Stimme mit, als er fragte: »Was ist los?«

»Ich möchte mit dir sprechen«, flüsterte sie.

»Hast du Angst, daß unser Freund uns belauscht?«

Rose kehrte ins Bett zurück, legte den Kopf auf sein Kissen und wisperte ihm ins Ohr: »Warum hast du Dr. Tholan über die tödliche Hemmung ausgefragt?«

»Ich interessiere mich für dein Fachgebiet, Rose. Das hast du dir doch immer gewünscht.«

»Sei nicht so sarkastisch«, zischte sie wütend und senkte dann ihre Stimme wieder zu einem Flüstern herab. »Ich weiß genau, daß es da irgend etwas gibt, was dich als Polizist interessiert. Was ist es?«

»Ich sage es dir morgen«, erwiderte er.

»Nein, jetzt.«

Er legte seine Hand unter ihren Kopf und hob ihn an. Sekundenlang dachte sie, er würde sie küssen, sie so leidenschaftlich küssen, wie das andere Ehemänner manchmal taten. Zumindest stellte sie sich vor, daß sie das manchmal taten. Aber Drake tat das nie, und er tat es auch jetzt nicht.

Er hielt ihren Kopf nur ganz nahe an den seinen und flüsterte: »Warum interessiert dich das so?«

Fast brutal umspannte seine Hand ihren Nacken. Sie versteifte sich und versuchte, sich ihm zu entziehen. Ihre Stimme wurde lauter.

»Hör auf, Drake.«

»Ich will nicht, daß du Fragen stellst und dich in meine Angelegenheiten einmischst. Du hast deinen Job und ich meinen.«

»Aber mein Job birgt keine Geheimnisse.«

»Mein Job schon«, gab er zurück. »Aber eines sage ich dir. Unser sechsbeiniger Freund ist aus einem ganz bestimmten Grund in diesem Haus. Es ist kein Zufall, daß man ausgerechnet eine Biologin gewählt hat. Weißt du, daß er vor zwei Tagen bei der Kommission Informationen über mich eingeholt hat?«

»Soll das ein Witz sein?«

»Keineswegs. Es gibt Abgründe, von denen du keine Ahnung hast. Aber das ist mein Job, und ich diskutiere mit dir nicht weiter darüber. Verstehst du das?«

»Nein, aber ich werde keine Fragen mehr stellen, wenn du es nicht willst.«

»Dann wollen wir schlafen.«

Es war bereits Mittag, als Rose sich an den Schreibtisch setzte. Sie hatte gewartet, bis Drake und Tholan das Haus verlassen hatten, denn in ihrer Gegenwart konnte sie das Tonbandgerät nicht entfernen, das am gestrigen Abend an der Rückseite von Drakes Lehnstuhl die Unterhaltung aufgezeichnet hatte. Sie hatte ursprünglich nicht vorgehabt, es ihm zu verheimlichen, aber er war so spät gekommen, und in Tholans Gegenwart konnte sie natürlich nichts sagen. Und dann hatten sich die Dinge verändert ...