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Was hatte Harg Tholan gestern abend gesagt? Die Todesfälle traten am häufigsten auf dem Hawkin-Planeten auf, der der Erde am nächsten lag, und am seltensten auf der Welt, die am weitesten von der Erde entfernt war. Und wenn man die Tatsache hinzufügte, die Tholan gestern angedeutet und die sie selbst heute in der Bibliothek bestätigt gefunden hatte, daß nämlich die Zahl der Todesfälle enorm angestiegen war, seit die Hawkin-Bewohner in interstellaren Kontakt mit der Erde getreten waren ...

Langsam und widerstrebend gelangte sie zu der einen Schlußfolgerung: Die Bewohner des Hawkin-Planeten glaubten, daß die Erdmenschen irgendwie die Ursache der tödlichen Hemmung entdeckt hatten und absichtlich die anderen Rassen der Galaxis damit infizierten, um vielleicht dereinst die Sterne beherrschen zu können.

Sie wies diesen Gedanken mit fast panischer Angst von sich. Es konnte nicht sein. Es war unmöglich. Erstens würden die Erdenbewohner nie so etwas Entsetzliches tun, zweitens konnten sie es gar nicht.

Wie die Forschung ergeben hatte, waren die Wesen auf dem Hawkin-Planeten den Erdenmenschen gleich. Seit Jahrtausenden hatten sie auf ihrem Stern den Tod mitangesehen, und doch befand sich ihre gesamte medizinische Wissenschaft auf einem Irrweg. Natürlich konnte die Erde in ihren Untersuchungen fremder Biochemie aus so großer Distanz noch nicht allzu große Erfolge aufweisen. Und soviel sie wußte, besaß man auf der Erde noch keine nennenswerten Kenntnisse über die Hawkin-Pathologie.

Die Anzeichen mehrten sich jedenfalls, daß Harg Tholan voll Mißtrauen auf der Erde eingetroffen und hier mit ebensolchem Mißtrauen empfangen worden war. Sorgfältig schrieb sie unter die Frage: »Warum kam Harg Tholan allein auf die Erde?« die Antwort: »Der Hawkin-Planet glaubt, daß die Erde die Ursache für die tödliche Hemmung ist.«

Aber warum interessierte er sich für den Vermißtensuchdienst? Als Wissenschaftlerin war sie sehr genau mit den Theorien, die sie entwickelte. Alle Fakten mußten in eine Theorie passen, nicht nur einige.

Vermißtensuchdienst! Wenn das eine falsche Spur war, auf die der Hawkin-Doktor Drake absichtlich hatte führen wollen, dann war dies sehr plump geschehen. Denn er hatte kaum eine Stunde nach der Diskussion über die tödliche Hemmung davon gesprochen.

Oder suchte er eine Gelegenheit, Drake zu beobachten, indem er sich von ihm durch die Büros des Vermißtensuch-diensts führen ließ? Wenn es so war, warum? War das vielleicht der springende Punkt? Der Hawkin-Bewohner hatte sich über Drake erkundigt, bevor er zu ihnen gekommen war. War er gekommen, weil Drake Polizeibeamter war, der Zugang zu den Räumen des Vermißtensuchdiensts hatte?

Aber warum? Warum?

Sie gab es auf und wandte sich der Spalte zu, die sie mit

»Drake« überschrieben hatte.

Und da war eine Frage, die sich selbst schrieb, nicht mit Bleistift und Tinte auf einem Blatt Papier, sondern in viel sichtbareren Buchstaben in ihren Gedanken. Warum hat er mich geheiratet? Sie bedeckte die Augen mit der Hand, wie um sie vor einem unangenehmen Licht zu schützen.

Sie waren sich ganz zufällig vor mehr als einem Jahr begegnet, als sie das Apartmenthaus betreten hatte, in dem sie damals gewohnt hatte. Zuerst hatten sie sich nur freundlich gegrüßt, dann hatten sie sich miteinander unterhalten, und bald danach lud Drake sie gelegentlich zum Essen in ein Restaurant in der Nachbarschaft ein. Es war alles ganz normal und schön, und für sie war es eine erregende neue Erfahrung: Sie verliebte sich.

Als er sie fragte, ob sie ihn heiraten wolle, war sie hingerissen und geradezu überwältigt. Damals hatte sie viele Gründe für den Antrag angeben können. Er schätzte sicher ihre Intelligenz und ihre Liebenswürdigkeit. Und gewiß dachte er, sie würde eine gute Ehefrau und Gefährtin sein.

Aber mit der Zeit begann sie an diesen Gründen zu zweifeln, glaubte nurmehr halb daran. Und ein halber Glaube war nicht genug.

Sie konnte keinen bestimmten Fehler an ihrem Ehemann finden. Drake war aufmerksam und freundlich. Er benahm sich wie ein Gentleman. Ihr Liebesleben verlief nicht sehr leidenschaftlich, aber es konnte die verblassenden Gefühlswellen einer Frau um fünfunddreißig durchaus befriedigen. Sie war nicht mehr neunzehn. Was erwartete sie eigentlich?

Das war es. Sie war nicht mehr neunzehn. Sie war weder schön noch charmant, noch reizvoll. Konnte sie erwarten, daß der gutaussehende, starke Drake, der sich sehr wenig für intellektuelle Probleme interessierte, der sie in all den Monaten ihrer Ehe weder nach ihrer Arbeit gefragt noch mit ihr über die seine gesprochen hatte, konnte sie erwarten, daß er sie so liebte, wie sie es sich wünschte? Aber warum hatte er sie dann geheiratet?

Sie entdeckte, daß die Spitze ihres Bleistifts abgebrochen war, und nahm einen neuen. In die Spalte, die mit »Drake« überschrieben war, trug sie die Frage ein: »Warum mißtraut Drake Harg Tholan?« Und darunter setzte sie einen Pfeil, der in die andere Spalte wies.

Dort hatte sie bereits brauchbare Erklärungen eingetragen. Wenn die Erde die tödliche Hemmung verbreitete oder wenn die Erde wußte, daß sie einer solchen Tat verdächtigt wurde, dann bereitete sie sich sicher auf eventuelle Vergeltungsmaßnahmen von seiten der fremden Rassen vor. Das bedeutete, daß man sich bereits mitten im Vorspiel zum ersten interstellaren Krieg der Geschichte befand. Das war eine angemessene, wenn auch schreckliche Erklärung.

Und dann erhob sich eine zweite Frage, die sie nicht beantworten konnte. Langsam schrieb sie: »Was verursachte Drakes Reaktion auf Tholans Worte: >Sie sind wirklich eine sehr charmante Wirtin<?«

Sie versuchte, sich die Szene genau in die Erinnerung zurückzurufen. Der Hawkin-Bewohner hatte das ganz harmlos, beiläufig und höflich gesagt. Und Drake war erstarrt. Immer wieder hatte sie diese Worte auf dem Tonband abgehört. Ein Erdenmann könnte das in genau demselben Ton gesagt haben, nachdem er routinemäßig eine Cocktailparty absolviert hatte. Das Tonband zeigte ihr Drakes Gesicht nicht. Sie konnte sich lediglich daran erinnern. Drakes Augen waren voll Furcht und Haß gewesen. Und er war doch ein Mann, der sich vor nichts fürchtete. Was lag so Schreckliches in dem Satz: »Sie sind wirklich eine charmante Wirtin«? Was konnte ihn so in Erregung versetzt haben? Eifersucht? Das war absurd. Oder das Gefühl, Tholan könnte es sarkastisch gemeint haben? Vielleicht, aber das war unwahrscheinlich. Sie war sicher, daß Tholan es ernst gemeint hatte.

Sie gab es auf und setzte ein großes Fragezeichen unter diese zweite Frage. Jetzt standen zwei solcher Fragezeichen auf dem Blatt Papier, eines in der Spalte »Harg Tholan«, eines in der Spalte »Drake«. Gab es eine Verbindung zwischen Tholans Interesse für den Vermißtensuchdienst und Drakes Reaktion auf Tholans höfliche Phrase? Sie konnte es sich nicht vorstellen.

Sie legte den Kopf auf die Arme. Es wurde dunkel in ihrem Arbeitszimmer, und sie war sehr müde. Eine Zeitlang mußte sie in dem wunderlichen Land zwischen Wachen und Schlaf umhergetappt sein. Die Gedanken verloren die Kontrolle des Bewußtseins und irrten ziellos und unwirklich durch den Kopf. Aber gleichgültig, wohin sie auch tanzten, sie kehrten immer wieder zu dem einen Satz zurück: »Sie sind wirklich eine charmante Wirtin.« Manchmal hörte sie die Worte von der kultivierten, leblosen Stimme Tholans ausgesprochen, manchmal sagte sie Drake, zart und einschmeichelnd. Wenn Drake den Satz aussprach, dann klang er sehr liebevoll. Noch nie hatte er so liebevoll mit ihr gesprochen. Lächelnd lauschte sie, und sie mochte den Klang seiner Stimme.