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Sie zwang sich, aufzuwachen. Jetzt war es schon ganz dunkel in ihrem Zimmer, und sie knipste die Schreibtischlampe an. Sie blinzelte, dann runzelte sie ein wenig die Stirn. Ein anderer Gedanke mußte ihr in diesem Halbschlaf gekommen sein. Da war doch noch ein anderer Satz, der Drake in Erregung versetzt hatte. Aber welcher? Angestrengt dachte sie nach. Es war nicht am letzten Abend gewesen. Der Satz war nicht in der Tonbandaufzeichnung zu hören gewesen, also mußte er vorher gesagt worden sein. Aber er fiel ihr nicht ein, und sie wurde unruhig.

Sie blickte auf ihre Armbanduhr und erschrak. Es war fast acht Uhr. Sicher wurde sie zu Hause schon erwartet.

Aber sie wollte nicht nach Hause. Sie wollte weder Drake noch Tholan sehen. Langsam zerriß sie das Blatt Papier, auf dem sie die Gedanken des heutigen Nachmittags notiert hatte, in kleine Stücke und ließ sie in den kleinen AtomblitzAschenbecher auf ihrem Schreibtisch flattern. Sie verschwanden in einer Flamme, und nichts blieb von ihnen übrig.

Wenn nur auch von den Gedanken selbst nichts übrigbliebe!

Es nützte nichts. Sie mußte nach Hause.

Sie hatten sie noch nicht erwartet. Gerade als Roses U-BahnKabine aus der Tiefe tauchte, sah sie die beiden aus einem Gyro-Auto steigen. Der Fahrer starrte eine Weile hinter seinen Fahrgästen her, dann glitt der Wagen davon. In schweigendem Einverständnis warteten die drei, bis die Tür des Apartments sich hinter ihnen geschlossen hatte, bevor sie zu sprechen begannen.

»Ich hoffe, Sie waren mit dem heutigen Tag zufrieden, Dr. Tholan«, sagte Rose uninteressiert.

»Sehr. Es war ebenso faszinierend wie ergiebig.«

»Haben Sie gegessen?« Obwohl Rose selbst nichts gegessen hatte, fühlte sie keinen Hunger.

»Ja, sicher.«

»Ich habe uns zu Mittag und zu Abend etwas zu essen bringen lassen«, erklärte Drake. »Sandwiches.« Seine Stimme klang müde.

»Hallo, Drake«, sagte Rose. Es war das erstemal, daß sie sich an ihn wandte.

Er blickte sie kaum an.

»Hallo.«

»Ihre Tomaten sind wirklich ein bemerkenswertes Gemüse«, sagte der Hawkin-Bewohner. »Auf meinem Planeten gibt es nichts, das auch nur so ähnlich schmeckt. Ich habe zwei Dutzend verspeist. Und eine ganze Flasche Tomatenkonzentrat.«

»Ketchup«, erklärte Drake kurz.

»Und Ihr Besuch beim Vermißtensuchdienst?« fragte Rose.

»Hat er sich gelohnt?«

»Ja, das kann man sagen.«

Rose wandte ihm den Rücken zu und ließ sich auf die Couch fallen.

»In welcher Beziehung?«

»Ich fand es sehr interessant, daß die meisten vermißten Personen Männer sind. Am häufigsten erstatten Frauen Anzeige, daß sie ihre Männer vermissen. Der umgekehrte Fall kommt fast nie vor.«

»Oh, das ist nicht schwer zu verstehen, Dr. Tholan«, sagte Rose. »Denken Sie doch nur an die ökonomische Einrichtung auf der Erde. In der Regel ist der Mann das Familienmitglied, der die Familie als ökonomische Einheit erhält. Er arbeitet, und dafür wird er regelmäßig bezahlt. Die Ehefrau versorgt im allgemeinen nur die Kinder und den Haushalt.«

»Das ist natürlich nicht viel.«

»Es gibt aber auch Ausnahmen«, mischte sich Drake ein. »In meiner Frau sehen Sie ein Beispiel für die Minderheit der Frauen, die fähig sind, ihren eigenen Weg zu gehen.«

Rose warf ihm einen schnellen Blick zu. Hatte er das ironisch gemeint?

»Und Sie folgern daraus, Mrs. Smollett«, begann der Haw-kin-Bewohner, »daß die Frauen, die ökonomisch von ihren Ehemännern abhängig sind, es für unrentabel halten, plötzlich zu verschwinden?«

»Das war ziemlich milde ausgedrückt«, erwiderte Rose, »aber es trifft zu.«

»Und würden Sie den Vermißtensuchdienst von New York als ungefähres Muster für ähnliche Ämter in anderen Teilen des Planeten bezeichnen?«

»Warum? Ich denke schon.«

Abrupt fragte der Hawkin-Doktor: »Und haben Sie auch eine ökonomische Erklärung für die Tatsache, daß seit Beginn der interstellaren Reisen der Prozentsatz der jungen Männer unter den Vermißten gestiegen ist?«

Es war Drake der antwortete.

»Das ist keineswegs mysteriös. Heutzutage haben die Ausreißer den ganzen Weltraum zur Verfügung, um darin zu verschwinden. Jeder, der seinen irdischen Sorgen entgehen will, muß nur an Bord des nächsten Raumschiffs gehen. Es werden immer wieder Leute für die Besatzungen gesucht. Dabei werden keine Fragen gestellt, und es ist ziemlich unmöglich, den Aufenthaltsort eines Ausreißers festzustellen, wenn er die Erde verlassen hat.«

»Und fast immer verschwinden junge Männer in ihrem ersten Ehejahr.«

Rose lachte plötzlich auf.

»Weil sich in den Flitterwochen die größten Schwierigkeiten ergeben. Wenn ein junger Mann das erste Ehejahr überstanden hat, ist es in der Regel nicht mehr notwendig, daß er entflieht.«

Drake amüsierte dieses Thema offensichtlich weniger. Wieder fiel es Rose auf, daß er müde und unglücklich wirkte. Warum nur bestand er darauf, allein mit seinen Sorgen fertig zu werden? Und dann dachte sie, daß er vielleicht nicht anders konnte.

Plötzlich fragte Tholan: »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich für kurze Zeit zurückziehe?«

»Aber keineswegs. Ich hoffe, der Tag war nicht zu anstrengend für Sie. Da Sie von einem Planeten kommen, dessen Schwerkraft größer ist als die der Erde, haben wir vielleicht zu leichtsinnig vermutet, daß Sie ausdauernder sind als wir.«

»Ich bin nicht müde im physischen Sinn.« Er blickte kurz auf ihre Beine und blinzelte rasch, zum Zeichen, daß er sich amüsierte. »Wissen Sie, ich denke immer noch, die Erdenmenschen müssen jeden Augenblick entweder nach vorn oder nach rückwärts fallen, weil sie so dürftig mit Standbeinen ausgerüstet sind. Verzeihen Sie, wenn meine Bemerkung etwas zu vertraulich klingen sollte, aber Ihre Erwähnung von der gerin-geren Schwerkraft der Erde brachte mich auf den Gedanken. Auf meinem Planeten würden zwei Beine ganz einfach nicht genügen. Aber das alles tut jetzt nichts zur Sache. Sehen Sie, weil ich heute so viel Neues in mich aufgenommen habe, sehne ich mich nach einer kleinen Ruhepause.«

Rose zuckte in Gedanken die Schultern. Sie konnte den Fremden gut verstehen. Wie sie aus den Forschungsberichten der Hawkin-Expedition wußte, hatten die Einwohner dieses Planeten die Fähigkeit, ihr Bewußtsein völlig von allen körperlichen Funktionen loszulösen und ungestört in eine meditative Periode zu versinken, die mehrere Tage dauerte. Die Hawkin-Bewohner empfanden diese Periode als sehr angenehm, manchmal geradezu als notwendig. Bis jetzt konnte leider kein Erdenmensch sagen, wie diese Meditation zustande kam.

Auf der anderen Seite war es bisher auch noch nicht möglich gewesen, den Hawkin-Bewohnern oder anderen extraterrestrischen Wesen zu erklären, was Schlaf ist. Was die Erdenmenschen Schlaf oder Traum nennen, würden die Hawkin-Bewohner als ein alarmierendes Vorzeichen geistigen Verfalls betrachten.

Wieder ein Beispiel für die Einzigartigkeit der Erdenmenschen, dachte Rose unbehaglich.

Tholan trat zurück, dann ließ er seinen Körper nach vorn sinken, so daß seine oberen Gliedmaßen zum höflichen Abschiedsgruß den Boden streiften. Drake nickte ihm kurz zu, und der Hawkin-Bewohner verschwand um die Biegung des Korridors. Sie hörten, wie die Tür seines Zimmers sich öffnete und wieder schloß, dann herrschte Stille.

Nach Minuten, in denen das Schweigen zwischen ihnen immer dichter wurde, knarrte Drakes Stuhl, als er nervös die Beine übereinanderschlug. Mit leisem Schrecken sah Rose, daß seine Lippen blutiggebissen waren. Er hat Sorgen, dachte sie. Ich muß mit ihm sprechen. Ich kann nicht zulassen, daß das so weitergeht.

»Drake!« sagte sie.

Drake sah sie an, und er schien aus weiter Ferne zurückzukehren.

»Was ist? Bist du auch schon müde?«

»Nein, ich fange erst an. Gestern hast du von morgen gesprochen. Willst du nicht jetzt mit mir reden?«