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Theremon verzog die Lippen.

»Nun, ich glaube nicht, daß ich davongerannt wäre.«

Der Psychologe betrachtete den jungen Mann mit verärgertem Stirnrunzeln.

»Reden Sie nicht so groß daher. Ziehen Sie lieber den Vorhang zu.«

Theremon blickte ihn überrascht an und fragte: »Warum? Wenn vier oder fünf Sonnen da draußen stünden, dann würde ich noch verstehen, daß Sie das Licht hier drinnen angenehmer machen wollen. Aber jetzt?«

»Ziehen Sie den Vorhang vor, und setzen Sie sich hierher.«

»Wie Sie wünschen.« Theremon griff nach der Vorhangschnur, und der rote Stoff glitt über das große Fenster. Die Messingringe rasselten über die Vorhangstange, und düsterer roter Schatten kroch in den Raum.

Hohl klangen Theremons Schritte durch die Stille. Er ging zum Tisch und blieb auf halbem Weg stehen.

»Ich kann Sie nicht mehr sehen, Sir«, flüsterte er.

»Tasten Sie sich vor«, befahl Sheerin mit gepreßter Stimme.

»Aber ich kann Sie nicht sehen.« Der Reporter atmete schwer. »Ich kann überhaupt nichts mehr sehen.«

»Haben Sie etwas anderes erwartet?« lautete die grimmige Antwort. »Kommen Sie her, und setzen Sie sich.«

Wieder wurden Schritte hörbar, näherten sich langsam und unentschlossen. Dann ertönte ein Geräusch, wie wenn jemand gegen einen Stuhl stößt. Theremons Stimme klang dünn.

»Da bin ich. Ich fühle mich - eh - ganz gut.«

»Es gefällt Ihnen, nicht wahr?«

»N-nein. Es ist grauenhaft. Die Wände scheinen zu ...« Er brach ab. »Sie scheinen mich zu umzingeln. Und ich will sie zurückstoßen. Aber ich spüre nicht, daß ich wahnsinnig werde. Tatsächlich, das Gefühl, das ich im Augenblick habe, ist gar nicht so schlimm.«

»Gut. Ziehen Sie die Vorhänge wieder zurück.«

Vorsichtige Schritte tappten durch die Dunkelheit, There-mons Körper streifte den Vorhang, als er nach der Schnur suchte. Mit triumphierendem Klirren rollten die Ringe über die Vorhangstange, und rotes Licht durchflutete den Raum. Mit einem Freudenschrei blickte Theremon zur Sonne auf.

Sheerin wischte mit dem Handrücken den Schweiß von sei-ner Stirn und sagte zitternd: »Dabei war das nur ganz einfach ein dunkles Zimmer.«

»Man kann es ertragen«, sagte Theremon fröhlich.

»Ja, ein dunkles Zimmer. Aber waren Sie auf der hundertjährigen Ausstellung in Jonglor vor zwei Jahren?«

»Nein. Es hätte sich für mich nicht gelohnt, deshalb sechstausend Meilen weit zu reisen.«

»Aber ich war da. Sie haben doch sicher von dem mysteriösen Tunnel< gehört, der im ersten Monat im Vergnügungszentrum alle Rekorde brach.«

»Ja. Da gab es doch einen Skandal, nicht wahr?«

»Nun ja, aber es wurde alles vertuscht. Sehen Sie, dieser >mysteriöse Tunnel< war nichts anderes als ein Tunnel von einer Meile Länge, ohne jedes Licht. Man bestieg ein kleines offenes Auto und ratterte fünfzehn Minuten lang durch die Dunkelheit. Dieses Vergnügen war sehr beliebt.«

»Beliebt?«

»Sicher. Es liegt eine gewisse Faszination darin, sich zu fürchten, wenn man die Furcht als Spiel betrachtet. Ein Baby kommt mit drei instinktiven Ängsten auf die Welt: es fürchtet sich vor Lärm, vor dem Fallen und vor der Dunkelheit. Deshalb ist es auch so unerhört lustig, jemanden anzuspringen und >Buh< zu schreien. Deshalb macht es so viel Spaß, auf einem schwankenden Schiff zu fahren. Und deshalb hatte der >myste-riöse Tunnel< auch so viel Erfolg. Atemlos und zitternd kamen die Leute aus dem Tunnel, halbtot vor Angst, und trotzdem strömten sie immer wieder zur Kasse, um durch den Tunnel fahren zu können.«

»Warten Sie, ich erinnere mich jetzt. Manche Leute waren doch tot, als sie den Tunnel verließen, nicht wahr? Es gab einige Gerüchte, und dann wurde der Tunnel geschlossen.«

Der Psychologe schnaufte verächtlich.

»Pah! Zwei oder drei sind gestorben. Das war gar nichts. Sie haben den Familien der Toten Geld gegeben und den Stadtrat von Jonglor bewegen, die Sache zu vergessen. Sie sagten, daß Leute, die ein schwaches Herz haben und trotzdem durch den Tunnel fahren, selbst für die Gefahr verantwortlich gemacht werden müssen. Und außerdem, so etwas würde nicht mehr vorkommen. Ein Doktor wurde in den Kassenraum gesetzt, und jeder Kunde mußte sich vor Antritt der Fahrt untersuchen lassen. Das war natürlich eine ausgezeichnete Reklame für den Tunnel.«

»Und weiter?«

»Da war noch etwas anderes. Manche Leute kamen aus dem Tunnel und waren völlig in Ordnung. Sie weigerten sich nur, irgendwelche Gebäude zu betreten, seien es nun Paläste, Villen, Wohnblöcke, Mietskasernen, Sommerhäuschen, Hütten, Bretterbuden oder Zelte.«

Theremon blickte erschrocken auf.

»Sie meinen, daß sie sich nur noch im Freien aufhalten wollten? Aber wo schliefen sie?«

»Im Freien.«

»Man hätte sie doch mit Gewalt in ein Gebäude bringen können.«

»Das hat man auch getan. Aber dann wurden diese Leute zu rasenden Hysterikern und rannten mit dem Kopf gegen die Wand. Wenn man sie in einen geschlossenen Raum gebracht hatte, mußte man sie entweder in eine Zwangsjacke stecken oder ihnen ein starkes Betäubungsmittel geben.«

»Sie waren also wahnsinnig.«

»Allerdings. Von zehn Personen, die den Tunnel verließen, befand sich eine in diesem sonderbaren Zustand. Man rief Psychologen zu Hilfe, aber das nützte nichts. Die Ausstellung mußte geschlossen werden.« Er breitete die Arme aus.

»Aber was war denn los mit diesen Leuten?«

»Dasselbe wie mit Ihnen, als Sie das Gefühl hatten, die Wände würden Sie umzingeln, wenn der Raum im Dunkeln liegt. Es gibt einen psychologischen Ausdruck für die instinktive

Furcht des Menschen vor der Dunkelheit. Wir nennen es Klaustrophobie, denn das Fehlen von Licht steht fast immer im Zusammenhang mit geschlossenen Räumen, so daß die Furcht vor dem einen mit der vor dem anderen identisch ist. Verstehen Sie?«

»Und die Leute, die krank aus dem Tunnel kamen?«

»Diese Leute hatten unglücklicherweise nicht genug geistige Widerstandskraft, um die Klaustrophobie, die sie im finsteren Tunnel befiel, zu überwinden. Fünfzehn Minuten ohne Licht ist eine lange Zeit. Sie befanden sich nur zwei oder drei Minuten lang im Dunkeln, und ich glaube, es hat Sie ganz schön aufgeregt.

Die Leute, die aus dem Tunnel kamen, hatten eine sogenannte klaustrophobische Fixierung. Ihre latente Furcht vor der Dunkelheit oder vor geschlossenen Räumen war aktiv geworden und, soweit wir es jetzt beurteilen können, permanent. Das können fünfzehn Minuten in absoluter Dunkelheit bewirken.«

Langes Schweigen herrschte nach diesen Worten, und langsam zog sich Theremons Stirn in Falten.

»Ich kann nicht glauben, daß es so schlimm ist.«

»Sie wollen es nicht glauben«, sagte Sheerin ärgerlich. »Schauen Sie doch aus dem Fenster!«

Theremon gehorchte, und der Psychologe sprach weiter.

»Stellen Sie sich das vor - Dunkelheit, überall. Kein Licht, so weit Ihr Auge reicht. Die Häuser, die Bäume, die Felder, die Erde, der Himmel - schwarz! Und dann brechen Sterne herein, soviel ich weiß, was für Sterne das auch immer sein mögen. Können Sie sich das vorstellen?«

»Ja, das kann ich«, stellte Theremon zornig fest.

Sheerin hieb mit plötzlicher Wut die Faust auf den Tisch.

»Sie lügen. Sie können es sich nicht vorstellen. Ihr Gehirn ist dazu nicht fähig. Und ebensowenig kann es die Unendlichkeit oder die Ewigkeit begreifen. Sie können nur darüber reden. Alles, was von der Wirklichkeit, wie Sie sie verstehen, ab-weicht, versetzt Sie in Aufregung. Und wenn die Wirklichkeit dann hereinbricht, wird ihr Gehirn mit den Phänomenen konfrontiert, die außerhalb seines Fassungsvermögens liegen. Sie werden wahnsinnig werden, völlig und für immer! Da steht ganz außer Frage.«