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Johannes Mario Simmel

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Roman

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Dieser Roman beruht auf wahren Begebenheiten, die sich zwischen 1934 und 1965 in einer westdeutschen Großstadt zugetragen haben.

Um Unschuldige zu schützen, wurde die Handlung in einen anderen Zeitraum (1938–1969) und in eine andere, weit entfernte Stadt (Wien) verlegt. Es versteht sich deshalb von selbst, daß die im Buch vorkommenden Präsidien, Gerichte, Ämter, Behörden, geheimen oder legalen Verbindungen und alle sonstigen geistlichen oder weltlichen Institutionen zwar ihre richtigen Bezeichnungen tragen, jedoch in keiner Weise jemals mit den tatsächlichen Geschehnissen befaßt gewesen sind. In diesem Zusammenhang stellen ihre Vertreter ausnahmslos reine Produkte der Phantasie des Verfassers dar.

Gesetze, Paragraphen, Erlasse, Schriftsätze, Gutachten, Reden sowie Teile von Sendungen der British Broadcasting Corporation wurden im Wortlaut wiedergegeben.

Die wahren Begebenheiten, Personen und Namen sind in solcher Weise verändert worden, daß niemand sie wiederzuerkennen vermag.

Seinen aufrichtigen Dank spricht der Verfasser all denen aus, die ihm bei der Rekonstruktion jener Begebenheiten geholfen haben.

Dieses Baums Blatt, der von Osten

Meinem Garten anvertraut,

Gibt geheimen Sinn zu kosten,

Wie’s den Wissenden erbaut.

 

Ist es ein lebendig Wesen,

Das sich in sich selbst getrennt?

Sind es zwei, die sich erlesen,

Daß man sie als eines kennt?

 

Solche Frage zu erwidern,

Fand ich wohl den rechten Sinn:

Fühlst du nicht an meinen Liedern,

Daß ich eins und doppelt bin?

 

Goethe: Ginkgo biloba, aus dem ›Westöstlichen Diwan‹.

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Vers eins

Das Geheimnis

Dieses Baums Blatt, der von Osten

Meinem Garten anvertraut,

Gibt geheimen Sinn zu kosten,

Wie’s den Wissenden erbaut.

1

Sie wollten unbedingt einen Kopfschuß. Deshalb hatten sie Clairon kommen lassen. Er war Spezialist für Kopfschüsse.

Ich weiß nicht, was Manuel Aranda getan hat, dachte Clairon. Das sagen sie einem ja nie. Ich weiß nur, daß sie Manuel Aranda tot haben wollen, und zwar schnell. Sobald das erledigt ist, darf ich wieder heim zu Janine. Janine war Clairons fünfjährige Tochter. Er liebte sie mehr als alles andere auf der Welt. Vor zwei Jahren war seine Frau gestorben. Er hatte auch seine Frau geliebt, aber nicht so sehr wie Janine. Bei dem kleinen Mädchen war er völlig von Sinnen. Tags zuvor hatte er in einem Spielwarengeschäft einen niedlichen scharlachroten Fuchs mit schwarz-weißer Schnauze gekauft, der eine Schnur besaß. Zog man an ihr, dann ertönte silberhell die Melodie einer kleinen eingebauten Spieluhr: ›Fuchs, du hast die Gans gestohlen!‹

Clairon brachte Janine stets Stofftiere oder Puppen mit, wenn er zurückkam. Sie besaß schon eine ganze Sammlung. Er dachte an das Kind und lächelte.

Sie hatten ihm Manuel Aranda gezeigt, als dieser das Hotel ›Ritz‹ am Kärntner-Ring verließ und in den gemieteten blauen Mercedes stieg; als er das Gerichtsmedizinische Institut in der Sensengasse betrat; auf verschiedenen Straßen; vor dem Sicherheitsbüro der Polizeidirektion in der Berggasse. Sie hatten ihm Fotografien und mit versteckten Kameras aufgenommene farbige 8-Millimeter-Filme gezeigt, denn er sollte in aller Ruhe Wuchs und Gestalt, Kopfform, Gangart, Bewegungen und Eigentümlichkeiten seines Mannes studieren. Die Bilder und die Filme waren mit dem gleichen Flugzeug eingetroffen wie Manuel Aranda. Derartiges Tempo, derartige Hektik und Nervosität hatte Clairon noch bei keiner seiner Missionen erlebt. Jede Stunde, die Manuel Aranda lebte, schien eine tödliche Gefahr darzustellen. Muß eine schlimme Sache sein, dachte Clairon. So verrückt haben sie noch nie gespielt.

Jetzt, im Januar, herrschte mörderische Hitze in Buenos Aires. Die Filme zeigten Manuel Aranda auf den Straßen seiner Heimatstadt stets mit Panama-Hüten. Auf den Straßen Wiens lief er stets mit einer Pelzmütze herum. Gewiß fror er ebenso wie Clairon. Der hatte sich auch eine Pelzmütze gekauft, gleich nach der Ankunft.

Kopfschuß bei bedecktem Kopf also. Mir soll’s recht sein, dachte Clairon. Ich hatte schon andere Kunden mit Mützen. Auch solche mit Hüten oder Kappen, einen sogar mit Stahlhelm. Es klappte noch immer. Man muß ein wenig genauer arbeiten, das ist alles.

Als der blaue Mercedes in die vereiste Allee einbog, benötigte Clairon knappe eineinhalb Sekunden, dann hatte er die vordere Nummerntafel des Wagens im Fadenkreuz. Das Kennzeichen stimmte. Clairon las es bedächtig. Er war ein sehr bedächtiger Mann geworden, seit sie ihn zum Tod verurteilt hatten. Bedächtig und konservativ. Sieben Jahre schon bewohnte er dasselbe Haus in Anfa, einem der eleganten Villenviertel von Casablanca, die westlich des Parc Lyautey liegen und sich bis zum Meer hinunter ausdehnen. Sieben Jahre schon besuchte er die gleichen Restaurants, Friseursalons und immer das gleiche türkische Bad in dem noch von hohen Mauern umgebenen arabischen Altstadtteil Medina; hielt er dem gleichen Schneider, dem gleichen Hemdenmacher und dem gleichen Briefmarkenhändler die Treue; dem gleichen Zahnarzt, der gleichen Kirche und der gleichen Waffe – dem deutschen Modell 98 k, System Mauser, Kaliber 7,9 Millimeter, Patronenlänge 75 Millimeter, Gewehrlänge 1110 Millimeter, Ladestreifen mit fünf Schuß, aufgesetztes Zielfernrohr. Dieses inklusive wog die Waffe nur 4,2 Kilogramm, der Rückstoß war leicht, sanft konnte man fast schon sagen, das Repetieren ging blitzschnell, und Clairon hatte seine 98 k auf eine Entfernung von 150 Metern eingestellt. Der Lauf des Gewehrs ruhte neben dem linken Fuß eines weinenden Engels.

2

Zu diesem Zeitpunkt, um 14 Uhr 43 am 16. Januar 1969, einem Donnerstag, gab es in dem 1874 von der Gemeinde Wien eröffneten Zentralfriedhof auf einer Fläche von 2 459 508 Quadratmetern 329 627 Grabstätten. Clairon hatte die Verwaltung angerufen und sich erkundigt; er wollte wissen, wie groß der Ort war, an dem es geschehen sollte. Eine enorme Zahl von Gräbern hatte man seit der Jahrhundertwende bereits mehrfach wieder aufgelassen und zum zweiten-, dritten- oder viertenmal neu belegt. In einer Stunde würden es 329 629 Gräber sein, denn an diesem Nachmittag fanden, wie Clairon einer Informationstafel beim Hauptportal entnehmen konnte, noch zwei Beerdigungen statt, darunter die eines hohen Offiziers des österreichischen Bundesheeres. So hartgefroren war die Erde, daß man beim Ausschachten neuer Grabstätten Preßluftbohrer einsetzte.

Obwohl zum erstenmal hier, wußte Clairon praktisch alles über die phantastische Anlage. Er hatte sich mit Hilfe einer Broschüre und eines Taschenplans des Friedhofs, des geschwätzigen Verkäufers der beiden, nach Hinweisschildern und vor allem durch persönliche Inspektion informiert. Da er seinen eitlen, ins eigene Genie verliebten Auftraggebern stets mißtraute, informierte er sich vor jedem Unternehmen persönlich so genau wie möglich. Früher war Clairon Lehrer (Mathematik und Latein) gewesen. Er besaß ein ausgezeichnetes Gedächtnis für Menschen, Namen und Zahlen.

Daß Manuel Aranda an diesem Nachmittag das Grab besuchen wollte, wußte Clairon schon seit gestern. Um 16 Uhr 55 war da der Lautsprecher des Kurzwellensenders munter geworden, der sich in einem der zahlreichen Hinterzimmer des französischen Reisebüros ›Bon Voyage‹ befand. Das französische Reisebüro befand sich am unteren Ende des Schwarzenbergplatzes.

»J’appelle Olymp … j’appelle Olymp … Ici le numéro onze …«

»Je vous entends, numéro onze. Parlez!«

Also hatte Nummer Elf zu sprechen begonnen, der Funkverkehr lief ausgezeichnet: »Aranda ist in das Hotel zurückgekommen. Er hat Nummer Null gesagt, daß er morgen zum Zentralfriedhof fahren will, und gebeten, ihm den Weg zu erklären.«