Выбрать главу

Sie hatten sich schnuckelig eingerichtet da in Wien. Sie besaßen ein gutes Hauptquartier hinter dem Reisebüro, eine erstaunliche Anzahl von Agenten und fünf Autos, in die gleichfalls Sender eingebaut worden waren. Alle Sender hatten Zerhacker und Entzerrer, für jeden Dritten war der Sprechverkehr nur unverständliches Gestammel. Der Wagen, den sie Clairon geben wollten, besaß ebenfalls eine solche Anlage.

»Und der Schlüsselbund?« hatte jener, der gerade den Sender der Zentrale bediente, aufgeregt gefragt. Es waren fünf Männer in dem fensterlosen Raum versammelt gewesen, auch der Chef, Jean Mercier, der das Reisebüro leitete, und er, Clairon. Mit Ausnahme von Clairon, der nicht wußte, um welchen Schlüsselbund es ging, hatten alle rechte Nervosität erkennen lassen.

»Der ist im Karton.«

»Idiot! Wo ist der Karton?«

»Na, im Leichenschauhaus natürlich … in diesem Institut meine ich.«

»Seid ihr ganz sicher?«

Der Chef persönlich sprach jetzt ins Mikrophon. Jean Mercier war ein großer Mann mit blassem Gesicht, umschatteten Augen, langen Wimpern und graumeliertem Haar. Er führte die Wiener Zentrale seit fünf Jahren. Sein Hobby waren schöne Frauen, und was Clairon so gehört hatte in der kurzen Zeit, bekam der Fünfundfünfzigjährige immer noch jede, die er wollte.

»Vollkommen sicher. Aranda hat sich bei Nummer Null eben noch darüber beschwert, daß sie den Karton nicht freigegeben haben. Er bekommt ihn nur zusammen mit dem Leichnam, und den Leichnam bekommt er erst morgen um zehn.« Die Männerstimme klang deutlich und klar aus dem Lautsprecher, in dem es leise knisterte. Komplizierter geht es nicht, dachte Clairon. Nummer Null, vermutlich ein Portier, kann nicht von seinem Arbeitsplatz fort. Also muß er alles, was er über Aranda erfährt, einem anderen Mann im Hotel sagen, der sich frei zu bewegen vermag. Wer ist das? Clairon wußte es nicht. Sie machten ein Mysterium aus allem. Dieser zweite Mann jedenfalls durfte nicht wagen, das Reisebüro einfach anzurufen. Er mußte in eine öffentliche Telefonzelle gehen und von dort einen dritten Mann verständigen. Der besaß einen Sender in seiner Wohnung und trat dann mit der Zentrale in Verbindung, die anders zu informieren strengstens verboten war.

»Aranda kann nicht Verdacht geschöpft und Nummer Null belogen haben?«

»Chef! Aranda wurde den ganzen Tag verfolgt. Jede Minute! Er kam ohne Karton aus dem Institut!«

»Und daß er den Schlüsselbund allein mitnahm und in der Tasche hat?«

»Unmöglich!«

»Sie wissen, was davon abhängt! Wenn er jetzt mit dem Schlüssel auftaucht, ist alles verloren.«

»Beruhigen Sie sich endlich, Chef. Bitte! Wir haben uns doch erkundigt! Die arbeiten nach Vorschrift dort. Nicht ein Stück, nicht einen Schnürsenkel hat Aranda mitnehmen dürfen. Schließlich basiert der ganze Plan auf dieser Vorschrift, oder?«

»Ja, das stimmt.« Mercier hatte seine Krawatte herabgezerrt.

»Also! Aranda erhält den Schlüsselbund morgen vormittag, aber danach muß er gleich zur Luftfracht-Expedition, damit die Leiche endlich verschwindet. Das dauert bestimmt bis Mittag, hat er gesagt. Er will ins Hotel zurückkommen, essen und zum Grab fahren.«

»Und wenn er nicht fährt? Dann hat er den Schlüssel! Wenn er dann sagt, los, aufmachen?«

»Nummer Null behauptet, Aranda will wirklich zum Friedhof. An den Schlüsselbund denkt er überhaupt nicht. Den hat er kaum zur Kenntnis genommen. Er weiß doch gar nichts! Nummer Null ist davon überzeugt, daß Aranda den Karton in sein Appartement bringen läßt und gar nicht anschaut. Jedenfalls nicht, bevor er zum Friedhof fährt. Das ist doch das Risiko, mit dem Sie von Anfang an gerechnet haben – die kurze Zeit zwischen dem Punkt, wo Aranda den Schlüsselbund erhält, und dem, wo er liquidiert wird.« Ich möchte wissen, was für Schlüssel das sind, die dieser Aranda hat oder nicht hat, war es Clairon durch den Kopf gegangen. Ach was, ich will es gar nicht wissen! Er war Merciers Blick begegnet. Der hatte gesagt: »Also muß es der Zentralfriedhof sein, klar?«

»Klar.«

»Von ihm darf Ihr Mann nicht zurückkehren.«

Clairon hatte nur genickt, Mercier hatte weiter in das Mikrophon gesprochen.

»Wo ist Aranda jetzt?«

»In seinem Appartement. Zum Friedhof kann er heute nicht mehr. Die lassen ab halb fünf niemanden hinein. Um fünf machen sie zu. Außerdem will er noch zu seiner Botschaft. Er braucht auch von dort Papiere für den Sarg.«

»Hallo, Nummer Drei … Nummer Drei, melden!«

»Hier ist Nummer Drei, Olymp.« Eine andere Männerstimme kam aus dem Lautsprecher.

»Habt ihr zugehört?«

»Ja, Chef.«

»Ihr könnt den Eingang des Hotels gut sehen?«

»Ja.«

»Kaffeehauseingang auch?«

»Auch, Chef.«

Das Hotel besaß ein großes Café.

»Wenn Aranda zur Botschaft fährt, folgt ihr ihm. Danach wohin immer. Und meldet es sofort. Die Arbeit geht weiter rund um die Uhr. In zwei Stunden löst euch Nummer Neun ab …«

Clairon hatte das Reisebüro verlassen und einen Taschenplan und eine Broschüre über den Zentralfriedhof gekauft. Er bewohnte während seines Wiener Aufenthalts jenes Hinterzimmer des ›Bon Voyage‹, in dem sie die Filme vorführten. Der Raum hatte auch kein Fenster, bloß eine Luke, und anstatt eines richtigen Bettes nur eine aufklappbare Armeepritsche. Clairon machte das nichts. Er war abgehärtet. Auf der Pritsche hatte er abends den Friedhofsplan und die Broschüre studiert und danach lange gebetet, wobei er Gott beteuerte, wie sehr er den Mord bereue, den er begehen werde, und innig um ein erfolgreiches Gelingen des Unternehmens bat. Das tat er immer. Er war ein Mörder mitten im Herzen des Christentums. Niemand, so hatte er bei Péguy gelesen, wisse um Dinge des Christentums besser Bescheid als ein Sünder.

Am nächsten Mittag, um zwölf Uhr bereits, war Clairon losgefahren. Er hatte sich über Funk gemeldet.

»Hallo, Olymp, ich bin jetzt am Rennweg, unterwegs zum Friedhof.«

»Sie haben massig Zeit, Nummer Eins. Aranda kam eben ins Hotel. Er hat noch nicht einmal gegessen.«

»Muß mir die Gegend da draußen ansehen«, antwortete Clairon.

Er sah sich die Gegend an, gründlich. Zuerst umkreiste er den riesigen Komplex des Zentralfriedhofs im Süden von Wien. Von der Simmeringer Hauptstraße bog er in den Weichseltalweg ein und fuhr diesen bis zur Station der Aspang-Bahn empor. Hier wandte er sich nach links, folgte den Gleisen der Ostbahn, die in einem mächtigen Bogen an der Rückseite des Friedhofs entlangführen, und kehrte zur Simmeringer Hauptstraße zurück.

Insgesamt, stellte Clairon fest, besitzt der Zentralfriedhof elf Tore. Acht von ihnen kommen allerdings nur kleineren, bewachten Eingängen rund um das Areal gleich. Die drei großen Portale befinden sich an der Vorderfront. Durch das mittlere, größte, gelangt man ins Zentrum der Katholischen Abteilung, die nahe dem Eingang zwei Aussegnungshallen und weiter entfernt eine dritte besitzt. Eine breite Auffahrt führt zur Dr. Karl Lueger-Kirche. Von ihr laufen nach einem geometrisch exakten Plan sternförmig die Hauptalleen mit alten Bäumen auseinander. Clairon bekreuzigte sich, während er an dem geöffneten Riesentor des Gotteshauses vorüberfuhr, dann meldete er sich wieder und gab seinen Standort bekannt.

Die Hauptalleen besitzen in großen Abständen Rondells, aus denen Chauseen in alle Richtungen streben. Am Rand der Rondells und vieler Chausseen stehen weiße kleine Gebäude. Clairon besichtigte zwei von ihnen. Es gibt eine Unmenge Bedürfnisanstalten auf dem Zentralfriedhof. Die Sternbahnen der Alleen und Chausseen werden geschnitten von einem komplizierten Netz quadratisch angelegter Straßen. Große Quadrate sind in kleinere unterteilt, in die ›Gruppen‹, durch welche, wieder in rechten Winkeln zueinander, unzählige Wege laufen. Die Gruppen hatte man stets mit einem Buchstaben und einer Zahl gekennzeichnet, die Unterteilungen desgleichen.