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«Und nun eine Stuhl.» Der kleine Mann ergriff einen Stuhl und stellte ihn neben den Tisch. Er war sehr munter, sehr aufgekratzt, wie jemand, der bei einer Kindergesellschaft Spiele organisiert. «Und nun die Nägel. Ich muss einschlagen die Nägel.» Er holte die Tüte und den Hammer vom Bett.

Wir standen mit unseren Martinis hinter ihm und sahen zu, wie er zwei Nägel in den Tisch schlug, etwa fünfzehn Zentimeter voneinander entfernt. Er schlug sie nicht ganz ein, sondern ließ sie etwas herausstehen. Dann prüfte er sie auf ihre Festigkeit.

Ich möchte schwören, dass der Kerl das nicht zum ersten Mal macht, sagte ich mir. Bei ihm gibt’s kein Zögern, kein Überlegen, Tisch, Nägel, Hammer, Hackbeil. Er weiß genau, was er braucht, und wie alles geordnet werden muss.

«Und jetzt», verkündete er, «jetzt fehlt nur noch Schnur.» Auch ein Stück Schnur fand sich. «Gut, endlich wir sind fertig. Wollen Sie, bittäh, hier an Tisch Platz nehmen?», wandte er sich an den Jungen.

Der Junge stellte sein Glas ab und setzte sich.

«Nun, bittäh, linke Hand zwischen diese zwei Nägel. Die Nägel sind nur, dass ich festbinden kann Ihre Hand. Gut, schön. Jetzt ich binde Ihre Hand fest an Tisch – so.»

Er knüpfte die Schnur um das Handgelenk des Jungen, wickelte sie mehrmals um den breiten Teil der Hand und befestigte sie dann an den Nägeln. Er machte das sehr geschickt, und als er den letzten Knoten geschlungen hatte, war es dem Jungen unmöglich, die Hand wegzuziehen. Aber er konnte die Finger bewegen.

«Nun, bittäh, Sie schließen alle Finger bis auf die kleine zu Faust. Die kleine Finger muss ganz gerade auf Tisch liegen … Aus-gezeichnet! Aus–gezeichnet! Jetzt wir sind fertig. Mit Ihre rechte Hand Sie bedienen Feuerzeug. Aber eine Moment bittäh.»

Er lief zum Bett, ergriff das Hackbeil, kam zurück und stellte sich mit dem Beil in der Hand neben den Tisch.

«Wir sind alle bereit?», erkundigte er sich. «Herr Schiedsrichter, Sie müssen sagen zu beginnen.»

Die Engländerin in ihrem hellblauen Badeanzug stand hinter dem Stuhl des Jungen. Sie stand da und sprach kein Wort. Der Junge saß sehr still, hielt das Feuerzeug in der rechten Hand und blickte auf das Hackbeil. Der kleine Mann blickte auf mich.

«Sind Sie bereit?», fragte ich den Jungen.

«Ich bin bereit.»

«Und Sie?», wandte ich mich an den kleinen Mann.

«Ganz bereit», sagte er und hob das Beil in die Luft, sodass es etwa sechzig Zentimeter über dem Finger des Jungen schwebte. Der Junge betrachtete es mit kühler Gelassenheit. Nicht einmal seine Lippen bewegten sich. Er zog nur die Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn.

«In Ordnung», sagte ich. «Fangen Sie an.»

«Würden Sie wohl laut mitzählen, wenn ich zünde?», bat der Junge.

«Ja», erwiderte ich. «Selbstverständlich.»

Mit dem Daumen der rechten Hand öffnete er die Verschlusskappe des Feuerzeugs. Dann rieb er, ebenfalls mit dem Daumen, das Rädchen scharf an. Aus dem Feuerstein sprühte ein Funken, der Docht fing Feuer und brannte mit kleiner gelber Flamme.

«Eins!», rief ich.

Er blies die Flamme nicht aus; er drückte die Kappe des Feuerzeugs herunter und wartete ungefähr fünf Sekunden, bevor er sie zum zweiten Mal öffnete.

Wieder rieb er das Rädchen scharf an, und wieder brannte der Docht mit kleiner Flamme.

«Zwei!» Ich zählte; die anderen schwiegen. Der Junge blickte starr auf das Feuerzeug. Der kleine Mann hielt das Hackbeil in der erhobenen Hand und blickte ebenfalls auf das Feuerzeug.

«Drei!»

«Vier!»

«Fünf!»

«Sechs!»

«Sieben!»

Offensichtlich war es eines jener Feuerzeuge, die immer funktionieren. Der Feuerstein zündete mit einem großen Funken, und der Docht hatte die richtige Länge. Ich beobachtete, wie der Daumen die Verschlusskappe auf die Flamme schnellen ließ. Dann eine Pause. Dann hob der Daumen von neuem die Kappe. Bei diesem Feuerzeug machte der Daumen alles. Ich holte Luft und bereitete mich darauf vor, acht zu sagen. Der Daumen rieb das Rädchen an. Der Feuerstein sprühte Funken. Die kleine Flamme erschien.

«Acht!», rief ich, und im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür. Wir alle drehten uns um und sahen, dass eine Frau auf der Schwelle stand, eine kleine, schwarzhaarige, ziemlich alte Frau. Sie blieb etwa zwei Sekunden wie erstarrt stehen, dann schrie sie: «Carlos! Carlos!» und stürzte auf den kleinen Mann zu. Sie umklammerte sein Handgelenk, entriss ihm das Beil, warf es auf das Bett, packte ihn an den Aufschlägen seines weißen Jacketts und schüttelte ihn sehr heftig, während sie in einer spanisch klingenden Sprache laut und zornig auf ihn einredete. Sie schüttelte ihn so stark, dass man ihn gar nicht mehr sehen konnte. Seine Umrisse verschwammen nebelhaft wie die Speichen eines kreisenden Rades.

Schließlich beruhigte sie sich, und der kleine Mann wurde wieder sichtbar. Sie zerrte ihn durch das Zimmer und beförderte ihn mit einem Stoß auf eines der Betten. Dort hockte er nun, blinzelte verstört, betastete seinen Kopf und überzeugte sich, dass er ihn noch bewegen konnte.

«Es tut mir so leid», sagte die Frau. «Es tut mir so schrecklich leid, dass dies passieren musste.» Sie sprach ein fast akzentfreies Englisch.

«Ich mache mir solche Vorwürfe», fuhr sie fort. «Wenn ich nicht zum Friseur gegangen wäre … Nur für zehn Minuten, um mir das Haar waschen zu lassen, und kaum habe ich den Rücken gekehrt, da ist er schon wieder dabei.» Sie war sichtlich bekümmert, und ihre Stimme klang sehr verzweifelt.

Der Junge band seine Hand vom Tisch los. Das englische Mädchen und ich standen neben ihm und schwiegen.

«Er ist eine öffentliche Gefahr», erklärte die Frau. «Dort, wo wir wohnen, hat er allen möglichen Leuten insgesamt siebenundvierzig Finger abgenommen, und er hat elf Wagen verloren. Schließlich drohte man, ihn in eine Anstalt zu bringen. Deswegen bin ich mit ihm hierhergekommen.»

«Wir haben nur kleine Wette gemacht», murmelte der Mann vom Bett her.

«Hat er Ihnen einen Wagen versprochen?», fragte die Frau.

«Ja», antwortete der Junge. «Einen Cadillac.»

«Er hat keinen Wagen. Der Cadillac gehört mir. Und das ist ja das Schlimmste», fügte sie hinzu, «dass er mit Ihnen wettet, obgleich er gar nichts zum Wetten hat. Ich schäme mich, und es tut mir so schrecklich leid.» Sie schien eine sehr nette Frau zu sein.

«Nun ja», sagte ich, «hier ist dann also Ihr Wagenschlüssel.» Ich legte ihn auf den Tisch.

«Wir haben nur kleine Wette gemacht», murmelte der Mann.

«Er hat überhaupt nichts zum Wetten», wiederholte die Frau. «Er hat nichts mehr auf der Welt. Gar nichts. Weil ich ihm nämlich schon längst alles abgewonnen habe. Es dauerte lange, sehr lange, und es war ein hartes Stück Arbeit, aber schließlich habe ich ihm alles abgewonnen.» Sie blickte den Jungen an und lächelte – ein leises trauriges Lächeln. Dann kam sie näher und streckte die Hand aus, um den Schlüssel vom Tisch zu nehmen.

Ich sehe sie jetzt noch vor mir, diese Hand; sie hatte nur einen Finger und den Daumen.

Der Soldat

Es war eine jener schwarzen Nächte, in denen er zu wissen glaubte, wie einem Blinden zumute ist. Nichts war zu erkennen, nicht einmal die Umrisse der Bäume hoben sich vom Himmel ab.

Aus der Dunkelheit drangen leise Geräusche an sein Ohr: Ein Rascheln in der Hecke, das Schnauben eines Pferdes irgendwo auf dem Feld, ein dumpfer Hufschlag, als das Tier den Fuß bewegte, und einmal hörte er, wie ein Vogel dicht über ihn hinwegstrich.

«Jock», sagte er laut. «Wir gehen nach Hause.»

Er machte kehrt und ging zurück, den leicht ansteigenden Pfad hinauf. Der Hund zerrte an der Leine und zeigte ihm in der Dunkelheit den Weg.

Es muss fast Mitternacht sein, dachte er. Das hieß, dass es bald morgen sein würde. Morgen war schlechter als heute. Morgen war am allerschlechtesten, weil es heute werden würde – und heute war jetzt.