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Was den Weg von der Cannon Street zu meinem Büro betrifft, so ist er weder zu lang noch zu kurz – ein gesunder kleiner Spaziergang inmitten eines Stromes von Menschen, die ebenso wie ich jeden Morgen in die Stadt fahren und mit zuverlässiger Pünktlichkeit ihrem Arbeitsplatz zustreben. Es gibt mir ein Gefühl der Sicherheit, mich in Gesellschaft so vieler ordentlicher, vertrauenswürdiger Menschen zu wissen, die einen festen Beruf haben und sich nicht in der Welt herumtreiben. Ihr Leben wird wie das meine von dem Minutenzeiger einer genaugehenden Uhr bestimmt, und in vielen Fällen kreuzen sich unsere Wege täglich zur gleichen Zeit und am gleichen Ort.

Wenn ich zum Beispiel in die St. Swithins’s Lane einbiege, kommt mir unweigerlich eine elegante Dame in mittleren Jahren entgegen, die einen silbernen Kneifer trägt und eine schwarze Aktentasche bei sich hat – eine erstklassige Buchhalterin, würde ich sagen, oder eine leitende Angestellte in der Textilindustrie. Überquere ich bei grünem Licht die Threadneedle Street, so treffe ich in neun von zehn Fällen einen Herrn, dessen Knopfloch jeden Tag mit einer anderen Blume geschmückt ist. Seine Hosen sind schwarz, seine Gamaschen grau, und er ist offensichtlich ein pünktlicher und äußerst gewissenhafter Mensch, ein Bankier vielleicht oder ein Anwalt wie ich selbst. Seit fünfundzwanzig Jahren eilen wir morgens aneinander vorbei, und wir haben des Öfteren einen flüchtigen Blick der Achtung und Anerkennung gewechselt.

Mindestens die Hälfte aller Gesichter, denen ich auf diesem kurzen Weg begegne, ist mir seit langem vertraut. Und es sind gute Gesichter, Gesichter, die mir liegen, Menschen, die mir liegen – solide, fleißige Geschäftsleute, ohne jene Unruhe und die glitzernden Augen, die man bei den sogenannten Intellektuellen sieht, bei diesen Typen, die die Welt auf den Kopf stellen wollen mit ihrer Labour-Regierung, ihrer sozialen Gesundheitsfürsorge und allem, was sonst noch dazugehört.

Sie sehen also, dass ich in jeder Beziehung ein zufriedener Mensch bin. Oder vielleicht sollte ich lieber sagen, dass ich ein zufriedener Mensch war. Zu der Zeit, da ich die kleine autobiographische Skizze schrieb, die Sie eben gelesen haben – sie war als Mahnung und Beispiel für die Angestellten meines Büros bestimmt –, gab ich völlig wahrheitsgetreu das wieder, was ich dachte und fühlte. Aber das liegt eine volle Woche zurück, und inzwischen ist etwas sehr Merkwürdiges geschehen. Es begann am letzten Dienstag, gerade an dem Morgen, als ich den Entwurf dieser Skizze in der Tasche trug, und alles traf der Zeit und den Umständen nach so genau zusammen, dass ich darin nur eine Fügung Gottes sehen kann. Ja, Gott hatte meinen kleinen Aufsatz gelesen und sich gesagt: «Dieser Perkins wird mir zu selbstgefällig. Es ist höchste Zeit, ihm eine Lektion zu erteilen.» Ich glaube aufrichtig, dass es so war.

Am letzten Dienstag also, dem Dienstag nach Ostern, einem warmen, sonnigen Frühlingsmorgen, trat ich, die Times unter dem Arm, meine Skizze in der Tasche, auf den Bahnsteig unserer kleinen Station und merkte sofort, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Ich fühlte geradezu die eigenartige kleine Protestwelle, die durch die Reihen meiner Mitreisenden lief.

Ich machte halt und sah mich um.

Der Fremde stand genau in der Mitte des Bahnsteigs, breitbeinig, die Arme über der Brust gekreuzt, als wäre er hier der Herr und Gebieter. Er war ein ziemlich großer, kräftiger Mann, der es fertigbrachte, sogar von hinten unerhört arrogant und geschniegelt zu wirken. Ganz entschieden gehörte er nicht zu uns. Er trug einen Spazierstock statt eines Regenschirms, seine Schuhe waren braun statt schwarz, der graue Hut saß ihm lächerlich schief auf dem Kopf, und irgendwie schien dieser Mensch zu viel Seide und Glanz an sich zu haben. Ich hatte keine Lust, ihn noch länger zu betrachten. Starr in die Luft blickend, ging ich an ihm vorbei und gab, wie ich von Herzen hoffe, der Atmosphäre, die bereits kühl war, einen Anflug von Frost.

Der Zug fuhr ein. Und nun stellen Sie sich, sofern Ihre Phantasie dazu ausreicht, mein Entsetzen vor, als der Neue mir ungeniert in mein Abteil folgte! Das hatte mir in den letzten fünfzehn Jahren niemand zu bieten gewagt. Mein Privileg wurde von jeher respektiert. Eines meiner speziellen kleinen Vergnügen besteht nämlich darin, das Abteil bis zur nächsten, manchmal sogar bis zur zweiten oder dritten Station für mich allein zu haben. Aber hier, bitte schön, flegelte sich dieser Kerl, dieser Fremde, auf dem Platz mir gegenüber, schnäuzte sich, raschelte mit der Daily Mail und zündete sich eine abscheuliche Pfeife an.

Ich senkte die Times ein wenig und musterte ihn verstohlen. Er mochte etwa in meinem Alter sein – so um dreiundsechzig herum –, aber er hatte eines dieser grässlich gut aussehenden braunen, von Wind und Wetter gegerbten Gesichter, die man heutzutage in allen Reklameanzeigen für Herrenhemden findet – Löwenjäger, Polospieler, Everest-Bezwinger, Urwaldforscher und Sportsegler in einer Person. Stahlgraue Augen, dunkle Brauen, kräftige weiße Zähne, die fest auf das Mundstück der Pfeife bissen. Ich misstraue allen gutaussehenden Männern. Die oberflächlichen Freuden dieser Welt sind ihnen zu leicht erreichbar, und sie treten auf, als verdankten sie ihr gutes Aussehen einzig und allein sich selbst. Wohlgemerkt, gegen hübsche Frauen habe ich gar nichts. Das ist etwas anderes. Aber bei einem Mann – nein, es tut mir leid, bei einem Mann finde ich so etwas geradezu anstößig. Nun, wie dem auch sei, der Kerl saß mir jedenfalls genau gegenüber, und ich musterte ihn über den Rand meiner Zeitung hinweg, als er plötzlich den Kopf hob und unsere Blicke sich trafen.

«Stört sie die Pfeife?», fragte er und hielt das Ding hoch. Das war alles, was er sagte. Aber der Klang seiner Stimme hatte eine ungeahnte und außerordentliche Wirkung auf mich. Tatsächlich, ich glaube, ich fuhr zusammen. Dann erstarrte ich gleichsam und sah ihn mindestens eine Minute an, bevor ich mich so weit in der Gewalt hatte, dass ich ihm antworten konnte.

«Dies ist ein Raucherabteil», sagte ich. «Tun Sie, was Ihnen beliebt.»

«Ich wollte mich nur vergewissern.»

Da war sie wieder, diese vertraute, eigenartig scharfe Stimme, die die Endsilben verschluckte und die Worte hart und schnell hervorspie wie ein Maschinengewehr, das Obstkerne verschießt. Woher kannte ich diese Stimme? Und wie kam es, dass jedes Wort einen winzigen empfindlichen Punkt weit hinten in meiner Erinnerung traf? Du meine Güte, dachte ich, nimm dich zusammen. Was ist denn das für ein Unsinn?

Der Fremde wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Ich gab vor, das Gleiche zu tun. Mittlerweile war ich jedoch so aufgewühlt, dass ich mich nicht mehr zu konzentrieren vermochte. Ich beobachtete ihn also weiterhin verstohlen über den Rand der Leitartikelseite hinweg. Ja, er hatte ein unerträgliches Gesicht, gut aussehend, aber mit einem Stich ins Vulgäre, fast ins Laszive. Und dieser ekelhaft ölige Schimmer auf der Haut … Hatte ich dieses Gesicht wirklich schon einmal gesehen? Ich zweifelte jetzt kaum noch daran, denn ich brauchte es nur anzuschauen, um sofort ein seltsames Unbehagen zu empfinden, das ich nicht definieren konnte – ich wusste nur, dass es mit Schmerz, mit Gewalt, vielleicht sogar mit Furcht zu tun hatte.

Wir wechselten kein Wort mehr während der Fahrt, aber Sie dürfen mir glauben, dass mein gewohntes Gleichmaß durch diese Begegnung empfindlich gestört wurde. Der Tag war für mich verdorben. Mehr als einer meiner Angestellten bekam eine scharfe Antwort von mir, vor allem nach dem Mittagessen, als ich auch noch Schwierigkeiten mit meiner Verdauung hatte.

Am nächsten Morgen stand er wieder da, in der Mitte des Bahnsteigs, mit seinem Spazierstock, seiner Pfeife, seinem seidenen Schal und seinem widerlich gut aussehenden Gesicht. Ich ging an ihm vorbei und trat auf einen gewissen Mr. Grummitt zu, einen Börsenmakler, der schon seit achtundzwanzig Jahren mit mir fährt. Normalerweise hätte ich nie eine Unterhaltung mit ihm angefangen – wir sind alle ziemlich zurückhaltend –, aber eine solche Krise bricht eben das Eis.