Aber die schlimmsten Erinnerungen sind mit dem Umkleideraum verbunden.
Wie oft habe ich, ein schmaler, blasser Knirps, in Pyjama, braunem Kamelhaarmorgenrock und Pantoffeln an der Tür dieses riesigen Raumes gestanden. Eine helle elektrische Birne hing an einer Schnur von der Decke herab. Auf die Garderobenhaken an den Wänden waren schwarze und gelbe Fußballhemden gestülpt, denen ein durchdringender Schweißgeruch entströmte. Und die Stimme, diese scharfe, Endsilben verschluckende, Obstkerne spuckende Stimme sagte: «Na, wie viele sollen es diesmal sein? Sechs im Morgenrock oder vier ohne?»
Ich konnte mich nie überwinden, diese Frage zu beantworten. Ich stand nur da und starrte auf die schmutzigen Dielen, schwindlig vor Furcht, unfähig, an etwas anderes zu denken als daran, dass dieser große Junge gleich anfangen würde, mich mit seinem langen, dünnen weißen Stock methodisch geschickt und mit offensichtlichem Vergnügen zu schlagen, bis ich blutete. Vor fünf Stunden hatte ich mich erfolglos bemüht, das Kaminfeuer in seinem Arbeitszimmer in Gang zu bringen. Ich hatte mein Taschengeld für eine Schachtel Spezialfeueranzünder ausgegeben, ich hatte die Kohlen mit einer Zeitung gefächelt, ich hatte auf den Knien gelegen und aus Leibeskräften geblasen – alles vergebens.
«Wenn du störrischer Bursche nicht antworten willst», sagte die Stimme, «dann muss ich eben für dich entscheiden.»
Ich brachte kein Wort heraus. Und dabei hätte ich so gern geantwortet, weil ich genau wusste, was ich zu wählen hatte. Es ist das Erste, was ein neuer Schüler lernt. Immer den Morgenrock anbehalten und die Extraschläge in Kauf nehmen. Sonst gibt es mit ziemlicher Sicherheit blutige Striemen. Selbst drei mit Morgenrock sind besser als einer ohne.
«Zieh dich aus, geh in die Ecke und bück dich, bis deine Hände die Zehen berühren. Ich werde dir vier geben.»
Langsam zog ich den Morgenrock aus und legte ihn auf den Stiefelschrank. Langsam ging ich in die Ecke, frierend und ungeschützt in meinem Baumwollpyjama. Ich trat leise auf, und alles um mich herum war plötzlich hell und flach und weit entfernt wie das Bild einer Laterna magica, sehr groß, sehr unwirklich und wegen des Wassers in meinen Augen sehr verschwommen.
«Los, bück dich. Tiefer – viel tiefer.»
Nun ging er zum anderen Ende des Umkleideraums, und ich beobachtete ihn durch meine Beine hindurch, bis er die Tür erreicht hatte, die über zwei Stufen in den sogenannten Waschflur führte, einen fliesenbelegten Korridor, an dessen einer Wand Waschbecken angebracht waren. Dahinter befand sich das Badezimmer. Ich konnte Foxley jetzt nicht mehr sehen, aber ich wusste, dass er den Waschflur entlang bis zum Badezimmer ging. Das tat er immer. Dann hörte ich ein fernes, aber laut zwischen den Becken und Röhren widerhallendes Geräusch: Seine Schuhe schlugen auf den Steinfußboden auf, als er zu laufen begann. Durch meine Beine hindurch sah ich, wie er die beiden Stufen zum Umkleideraum hinaufsprang und mit vorgestrecktem Kopf, den Stock hoch erhoben, auf mich zugerast kam. Das war der Moment, in dem ich die Augen schloss, auf den Hieb wartete und mir befahl, mich um alles in der Welt nicht aufzurichten.
Jeder, der schon einmal richtige Prügel bezogen hat, wird Ihnen bestätigen, dass man den Schmerz erst acht bis zehn Sekunden nach dem Schlag fühlt. Den Schlag selbst empfindet man nur als einen derben Stoß gegen das Gesäß, der einen völlig benommen macht. (Ich habe gehört, bei einer Schussverletzung sei es genauso.) Aber später, mein Gott, später ist es, als hätte einem jemand einen glühenden Feuerhaken auf das nackte Gesäß gelegt, und ob man will oder nicht, man muss einfach nach hinten greifen und versuchen, den Schmerz mit den Händen zu dämpfen.
Foxley wusste um diese Verzögerung, und der langsame Rückweg zur Tür des Badezimmers – eine Entfernung von etwa fünfzehn Metern – gab jedem Schlag viel Zeit, den Höhepunkt des Schmerzes zu erreichen, bevor der nächste fiel.
Beim vierten Schlag richtete ich mich unweigerlich auf. Ich konnte nicht anders. Es war die automatische Abwehrreaktion eines Körpers, der nicht fähig ist, mehr zu ertragen, als man ihm bereits zugemutet hat.
«Du hast gezuckt», sagte Foxley. «Der letzte zählt nicht. Los – bück dich.»
Diesmal war ich vorsichtig genug, meine Fußknöchel zu umklammern.
Danach pflegte er mich zu beobachten, wenn ich – sehr steif jetzt und mir die Rückseite reibend – zum Stiefelschrank ging, um meinen Morgenrock anzuziehen. Ich versuchte immer, den Kopf so zu halten, dass er mein Gesicht nicht sah. Und beim Hinausgehen hörte ich jedes Mal sein: «He, du! Komm zurück!»
Ich blieb dann stehen, drehte mich um und wartete.
«Komm her. Na los, komm schon. Hast du nicht etwas vergessen?»
Alles, woran ich in diesem Augenblick denken konnte, war der schreckliche Schmerz im Gesäß.
«Du bist ein unverschämter und schlecht erzogener Bursche.» Er ahmte die Stimme meines Vaters nach. «Bringt man euch in eurer Schule keine besseren Manieren bei?»
«Danke … schön», stammelte ich. «Danke … schön … für die Schläge.»
Und dann schlich ich über die dunklen Treppen zum Schlafsaal, wo mir viel besser wurde, weil jetzt alles vorbei war und der Schmerz nachließ. Die anderen standen um mich herum. Sie behandelten mich mit einem gewissen rauen Mitgefühl, denn ihnen war ja oft genug das Gleiche widerfahren.
«He, Perkins, lass mal sehen.»
«Wie viele hast du bekommen?»
«Fünf, nicht wahr? Wir haben’s von hier deutlich gehört.»
«Na los, Mann, zeig mal die Striemen.»
Ich streifte meine Pyjamahose herunter, damit die Fachleute den Schaden gewissenhaft begutachten konnten.
«Ziemlich weit auseinander, finde ich. Habe schon Besseres von Foxley gesehen.»
«Hier, die beiden sind ganz dicht zusammen. Berühren sich fast. Donnerwetter, das sind zwei Prachtstücke.»
«Der hier unten ist miserabel gezielt.»
«Ist er bis zum Ende des Waschflurs gegangen, um seinen Anlauf zu nehmen?»
«Du hast einen extra bekommen, weil du gezuckt hast, nicht wahr?»
«Weiß der Teufel, der alte Foxley hat wirklich einen Pik auf dich, Perkins.»
«Es blutet ein bisschen. Wasch dich lieber, hörst du?»
Da ging die Tür auf, und Foxley erschien. Alle stoben auseinander, und jeder tat so, als sei er mit Zähneputzen beschäftigt oder spreche sein Gebet, während ich mit heruntergelassener Hose allein in der Mitte des Schlafsaals stand.
«Was ist denn hier los?», fragte Foxley und prüfte mit einem raschen Blick das Werk seiner Hände. «He, Perkins! Zieh dir gefälligst die Hose hoch und mach, dass du ins Bett kommst.»
Und das war das Ende des Tages.
In der Woche hatte ich nie Zeit für mich selbst. Foxley brauchte nur zu sehen, dass ich im Arbeitszimmer nach einem Roman griff oder mein Briefmarkenalbum aufschlug, und schon gab er mir irgendetwas zu tun. Einer seiner Lieblingsaufträge für mich, besonders wenn es draußen regnete, war dieser: «Ach, Perkins, ich glaube, ein paar wilde Schwertlilien würden sich auf meinem Schreibtisch ganz gut ausnehmen, meinst du nicht auch?»
Wilde Lilien wuchsen nur an den Teichen, den Orange Ponds. Um dorthin zu gelangen, musste man drei Kilometer auf der Landstraße und dann einen Kilometer querfeldein gehen. Ich zog den Regenmantel an, setzte den Strohhut auf, nahm meinen Regenschirm und brach zu dieser langen, einsamen Wanderung auf. Laut Vorschrift hatten wir im Freien stets einen Strohhut zu tragen. Stroh verträgt aber bekanntlich keinen Regen, folglich musste zum Schutz des Hutes der Schirm mitgenommen werden. Andererseits kann man sich keinen Schirm über den Kopf halten, wenn man auf dem Waldboden herumkriecht und Lilien sucht. Um den Hut zu schonen, legte ich ihn also am Ufer des Teichs unter den Regenschirm, bis ich die Blumen gepflückt hatte. Auf diese Weise erkältete ich mich sehr oft.