«Gut. Dann hole ich sie also jetzt.»
«Ich komme mit.»
Im nächsten Café kaufte Drioli sechs Flaschen Weißwein und trug sie mit Hilfe des Jungen ins Atelier. Sie stellten sie in zwei Reihen auf den Fußboden. Drioli entkorkte alle sechs, und dann tranken sie weiter.
«Nur die ganz Reichen können es sich leisten, so zu feiern», sagte Drioli.
«So ist es», bestätigte der Junge. «Nicht wahr, Josie?»
«Ja.»
«Wie fühlst du dich, Josie?»
«Gut.»
«Willst du Drioli verlassen und mich heiraten?»
«Nein.»
«Herrlicher Wein», lobte Drioli. «Ein Wein für reiche Leute.»
Langsam und methodisch gingen sie daran, sich zu betrinken. Das war ein stets gleich verlaufender Prozess, bei dem es ein gewisses Zeremoniell zu beachten galt. Man musste Haltung bewahren, musste viele Dinge sagen und nochmals sagen. Sehr wichtig war es zum Beispiel, den Wein zu loben, und man durfte auch nichts übereilen, damit Zeit blieb, die drei köstlichen Stadien des Übergangs zu genießen, von denen Drioli besonders jenes liebte, in dem er zu schweben begann und seine Füße sich vom Körper lösten. Das war das beste Stadium – wenn er auf seine Füße hinabsah und sie so weit weg waren, dass er sich fragte, welchem Idioten sie wohl gehörten und warum sie da unten auf dem Boden herumlagen.
Nach einer Weile erhob er sich, um Licht zu machen. Er war sehr erstaunt, als er feststellte, dass seine Füße mit ihm gingen, denn er fühlte gar nicht, wie sie den Boden berührten. Es war sehr angenehm, durch die Luft zu schweben. Er wanderte im Atelier umher, und sah sich heimlich die Bilder an, die an der Wand standen.
«Hör mal», sagte er plötzlich, «ich hab eine Idee.» Er ging hinüber und baute sich leicht schwankend vor der Couch auf. «Hör mal zu, mein kleiner Kalmück.»
«Was?»
«Ich hab eine großartige Idee. Hörst du auch zu?»
«Ich höre Josie zu.»
«Hör bitte mir zu. Du bist mein Freund, mein hässlicher kleiner Kalmück aus Minsk, und ich halte dich für einen Künstler … für einen so großen Künstler, dass ich dich um ein Bild bitten möchte. Um ein schönes Bild …»
«Nimm sie alle. Nimm dir, was du willst, aber störe mich nicht, wenn ich mit deiner Frau spreche.»
«Nein, nein. Hör doch zu. Ich meine ein Bild, das ich immer bei mir haben kann … immer … wohin ich auch gehe … was auch geschieht … Ein Bild, das du für mich gemalt hast …» Er beugte sich vor und rüttelte den Jungen am Knie. «Bitte, bitte, hör zu.»
«Nun hör ihm schon zu», sagte Josie.
«Es ist so. Ich möchte, dass du mir ein Bild auf die Haut malst, auf den Rücken. Und dann sollst du es eintätowieren, damit es immer dableibt.»
«Du bist ja verrückt.»
«Ich zeige dir, wie man mit dem Tätowierapparat umgeht. Das ist ganz einfach. Jedes Kind kann es lernen.»
«Ich bin kein Kind.»
«Bitte …»
«Du bist völlig übergeschnappt. Was willst du eigentlich von mir?» Der Maler blickte in die dunklen, müden, aber vom Wein glänzenden Augen des anderen. «Zum Teufel, was willst du von mir?»
«Du könntest es leicht machen! Bestimmt, mein kleiner Kalmück, du könntest es!»
«Du meinst, mit dem Tätowierapparat?»
«Ja, mit dem Tätowierapparat! Ich bringe es dir in zwei Minuten bei.»
«Unmöglich!»
«Willst du etwa behaupten, dass ich nicht weiß, wovon ich rede?»
Nein, so etwas konnte niemand von ihm behaupten, denn wenn einer etwas vom Tätowieren verstand, dann war er es – Drioli. Hatte er nicht erst im vorigen Monat den Bauch eines Mannes mit einem wunderbaren, hochkünstlerischen Blumenmuster überzogen? Und war ihm nicht ein Meisterwerk gelungen, als er einem Kunden mit sehr stark behaarter Brust das Bild eines Grizzlybären so eintätowierte, dass die Haare dem Bären als Pelz dienten? Konnte er nicht das Bild einer Dame mit solcher Raffinesse auf einen Männerarm malen, dass jedes Anschwellen des Muskels die Dame zum Leben erweckte und sie einige erstaunliche Verrenkungen vollführen ließ?
«Ich behaupte nichts weiter», sagte der Junge, «als dass du betrunken bist und dass dies eine Schnapsidee ist.»
«Wir könnten Josie als Modell nehmen. Eine Skizze von Josie auf meinem Rücken. Habe ich nicht das Recht, ein Bild meiner Frau auf dem Rücken zu tragen?»
«Von Josi?»
«Ja.» Drioli wusste, dass er nur den Namen seiner Frau zu nennen brauchte, damit die dicken braunen Lippen des Jungen sich leicht öffneten und zu zittern begannen.
«Nein», sagte Josie.
«Liebling, Josie, bitte. Nimm diese Flasche und trink sie aus, dann wirst du großzügiger werden. Es ist eine phantastische Idee. Noch nie in meinem Leben habe ich eine so geniale Idee gehabt.»
«Was für eine Idee?»
«Dass er mir dein Bild auf den Rücken malt. Habe ich etwa kein Recht, das zu verlangen?»
«Mein Bild?»
«Eine Aktstudie», sagte der Junge. «Gar keine schlechte Idee.»
«Keine Aktstudie», rief Josie.
«Es ist eine phantastische Idee», wiederholte Drioli.
«Eine völlig verrückte Idee», erklärte Josie.
«Auf jeden Fall ist es eine Idee», meinte der Junge. «Es ist eine Idee, die gefeiert werden muss.»
Sie leerten eine weitere Flasche. Dann sagte der Junge: «Es hat keinen Zweck, weil ich mit dem Apparat bestimmt nicht zurechtkomme. Aber ich werde dir ein Bild auf den Rücken malen. Das kannst du so lange behalten, bis du es beim Baden abwäschst. Wenn du nie mehr badest, behältst du es, solange du lebst.»
«Nein», sagte Drioli.
«Doch. Und wenn du dich eines Tages entschließt, in die Badewanne zu steigen, werde ich wissen, dass du mein Bild nicht mehr magst. Auf diese Weise kann ich herausfinden, wie groß deine Bewunderung für meine Kunst ist.»
«Um Himmels willen», wehrte Josie ab. «Seine Bewunderung für deine Kunst ist so groß, dass er sich nie mehr waschen wird. Mach lieber die Tätowierung. Aber keinen Akt.»
«Dann eben nur den Kopf», sagte Drioli.
«Ich kann doch nicht tätowieren.»
«Es ist wirklich ganz einfach. Ich bringe es dir im Handumdrehen bei. Du wirst sehen. Ich gehe jetzt und hole mein Werkzeug. Die Nadeln und die Tuschen. Ich habe Tuschen in allen Farben – in Farben, die noch viel schöner als deine sind …»
«Es ist unmöglich.»
«Ich habe eine Menge Tuschen. Habe ich nicht eine Menge Tuschen in allen Farben, Josie?»
«Ja.»
«Du wirst sehen», wiederholte Drioli. «Ich gehe jetzt und hole sie.» Er stand auf und verließ mit unsicherem, aber entschlossenem Schritt das Zimmer.
Eine halbe Stunde später kam er zurück. «Ich habe alles mitgebracht», rief er und schwenkte einen braunen Koffer. «Hier ist alles drin, was man zum Tätowieren braucht.»
Er stellte den Koffer auf den Tisch, öffnete ihn und nahm die elektrischen Nadeln und die Fläschchen mit farbiger Tusche heraus. Nachdem er eine Nadel in den Tätowierapparat gesteckt hatte, ergriff er ihn und drückte auf einen Schalter. Ein leises Summen ertönte, und die Nadel, die etwa einen halben Zentimeter vorstand, sprang schnell auf und ab. Drioli zog sich die Jacke aus und streifte den linken Hemdsärmel hoch. «Nun pass auf. Ich zeige dir, wie einfach es ist. Hier, ich zeichne mir ein Muster auf den Arm.»
Sein Unterarm war bereits mit blauen Musterungen bedeckt, aber er fand eine Stelle, die noch frei war.
«Zuerst suche ich mir die Tusche aus – in diesem Fall werde ich Blau nehmen – und tauche die Nadelspitze in die Tusche … so … Ich halte die Nadel senkrecht und lasse sie leicht über die Haut gleiten … siehst du … Durch den elektrischen Antrieb springt die Nadel auf und ab. Sie punktiert die Haut, die Tusche dringt ein, und das ist alles. Na, ist das nicht ein Kinderspiel? Schau her, jetzt zeichne ich einen Windhund …»