«Louise! Bitte! Die Sache ist so: Richard hat uns eine ernstgemeinte Wette angeboten. Er ist es, der darauf besteht, nicht ich. Und wenn er verliert, geht ein beträchtliches Vermögen in deinen Besitz über. Nein, warte einen Augenblick, Kindchen, unterbrich mich nicht. Jetzt kommt nämlich das Wichtigste: Er kann unmöglich gewinnen.»
«Er scheint es aber zu glauben.»
«Nun hör doch schon zu. Schließlich weiß ich, wovon ich rede. Ein Fachmann, der einen französischen Rotwein kostet – sofern es sich nicht um einen der berühmten großen Weine wie Lafitte oder Latour handelt –, ist keinesfalls imstande, genaue Angaben über das Weingut zu machen. Er kann dir natürlich sagen, aus welchem Bordeaux-Gebiet der Wein stammt, ob er aus Saint-Émilion, Pomerol, Graves oder Médoc kommt. Aber jedes Gebiet hat mehrere Gemarkungen, und jede Gemarkung hat viele, viele kleine Weingüter. Es ist unmöglich, sie nur vom Geschmack und Geruch her zu unterscheiden. Auch wenn ich sage, dass der Wein, den ich hier habe, von einem kleinen Weingut stammt, das inmitten vieler anderer kleiner Weingüter liegt, wird Richard den Namen nie erraten. Es ist unmöglich.»
«Das kannst du nicht wissen», widersprach Louise.
«O doch, verlass dich drauf. Ich will mich ja nicht selbst loben, aber was Weine betrifft, da weiß ich so ziemlich Bescheid. Und dann, bedenke doch, Kind, ich bin dein Vater. Glaubst du etwa, ich würde dich in etwas hineinmanövrieren, was du nicht willst? Ich versuche nur, dir Geld zu verschaffen.»
«Mike!», rief seine Frau scharf. «Hör jetzt auf, Mike, bitte!»
Wieder beachtete er sie nicht. «Wenn diese Wette zustande kommt», sagte er zu seiner Tochter, «bist du in zehn Minuten die Besitzerin von zwei großen Häusern.»
«Aber ich brauche keine zwei großen Häuser, Daddy.»
«Dann verkauf sie. Verkauf sie ihm auf der Stelle zurück. Ich arrangiere das für dich. Und dann, stell dir das nur einmal vor, mein Kind, dann bist du reich! Unabhängig für den Rest deines Lebens!»
«Daddy, mir gefällt das nicht. Ich finde es leichtfertig.»
«Ich auch», erklärte die Mutter energisch und nickte dabei mit dem Kopf wie ein pickendes Huhn. «Du solltest dich schämen, Michael, überhaupt so einen Vorschlag zu machen! Noch dazu deiner eigenen Tochter!»
Mike hatte nicht einmal einen Blick für sie. «Sag ja!», drängte er, die Augen fest auf das Mädchen gerichtet. «Sag schnell ja! Ich garantiere dir, dass du nicht verlierst.»
«Aber mir gefällt es nicht, Daddy.»
«Los, Kind, sag doch ja!»
Mike setzte seiner Tochter schwer zu. Er beugte sich zu ihr, sah sie unverwandt mit seinen harten, hellen Augen an, und es war nicht leicht für Louise, ihm zu widerstehen.
«Und wenn ich nun verliere?»
«Begreife doch endlich, dass du nicht verlieren kannst. Ich garantiere es dir.»
«Ach, Daddy …»
«Ich verschaffe dir ein Vermögen. Also los jetzt. Was sagst du, Louise? Ja?»
Ein letztes Zögern. Dann zuckte sie hilflos mit den Schultern. «Na gut. Aber nur, wenn du schwörst, dass ich auf keinen Fall verliere.»
«Großartig!», rief Mike. «Dann ist ja alles in Ordnung. Die Wette gilt.»
«Ja», bestätigte Richard Pratt und sah das Mädchen an. «Die Wette gilt.»
Sofort griff Mike nach dem Wein, goss ein Schlückchen in sein Glas und lief dann aufgeregt von einem zum anderen, um die Gläser zu füllen. Wir alle beobachteten nun Richard Pratt, beobachteten gespannt sein Gesicht, als er langsam die rechte Hand nach dem Glas ausstreckte. Der Mann war etwa fünfzig Jahre alt, und er hatte kein angenehmes Gesicht. Es schien nur aus Mund zu bestehen, aus Mund und Lippen – den fleischigen, feuchten Lippen des professionellen Gourmets. Die Unterlippe hing leicht nach unten, eine weiche, vorgewölbte Feinschmeckerlippe, die ständig auf den Rand eines Glases oder auf einen Leckerbissen zu warten schien. Wie ein Schlüsselloch, dachte ich, als ich ihn betrachtete; sein Mund gleicht einem großen Schlüsselloch.
Langsam hob er das Glas an die Nase. Die Nasenspitze tauchte ins Glas und bewegte sich leicht schnüffelnd über die Oberfläche des Weines. Er schwenkte den Wein sacht im Glas, damit das Bouquet zu ihm aufstieg. Die Augen hatte er geschlossen. Er war völlig konzentriert. Die obere Hälfte seines Körpers, der Kopf, der Hals und die Brust, schien sich in eine große, sensible Riechmaschine zu verwandeln, in der die Botschaft der schnüffelnden Nase aufgefangen, gefiltert und analysiert wurde.
Mike hatte sich, wie ich feststellte, bequem zurückgelehnt, scheinbar unbeteiligt, obgleich er alles genau verfolgte. Mrs. Schofield saß starr und steif am anderen Ende des Tisches und blickte missbilligend geradeaus. Louise hatte ihren Stuhl ein wenig herumgerückt, sodass sie dem Gourmet das Gesicht zuwandte, und wie ihr Vater ließ sie ihn nicht aus den Augen.
Die Riechprobe dauerte mindestens eine Minute; dann senkte Pratt das Glas, ohne die Augen zu öffnen oder den Kopf zu bewegen und kippte sich fast die Hälfte des Inhalts in den Mund. Er wartete, den Mund voller Wein, und empfing den ersten Geschmack. Darauf ließ er etwas Wein die Kehle hinunterrinnen, und ich sah, wie sich sein Adamsapfel beim Schlucken bewegte. Das meiste behielt er jedoch im Mund. Und nun, ohne noch einmal zu schlucken, sog er durch die Lippen ein wenig Luft ein, die sich im Mund mit den Düften des Weines vermischte und in die Lungen drang. Nach einer Weile stieß er den Atem durch die Nase aus und begann, den Wein unter der Zunge herumzurollen und zu kauen. Er kaute ihn buchstäblich mit den Zähnen, wie ein Stück Brot.
Es war eine feierliche, eindrucksvolle Darbietung, und ich muss sagen, er machte seine Sache gut.
«Hm», meinte er, als er das Glas absetzte und sich mit seiner rosa Zunge über die Lippen fuhr. «Hm – ja. Ein sehr interessantes Weinchen – sanft und gefällig, fast weiblich im Nachgeschmack.»
Er hatte zu viel Speichel im Mund, und während er sprach, sprühte gelegentlich ein helles Tröpfchen auf den Tisch.
«Nun können wir anfangen zu eliminieren», sagte er. «Sie müssen entschuldigen, wenn ich dabei mit größter Sorgfalt vorgehe – schließlich steht ja viel auf dem Spiel. Normalerweise würde ich vielleicht etwas riskieren, schnell vorpreschen und mitten im Weingut meiner Wahl landen. Aber diesmal – ich muss diesmal sehr vorsichtig sein, nicht wahr?» Er blickte Mike an und lächelte ein dicklippiges, feuchtlippiges Lächeln. Mike verzog keine Miene.
«Zuerst also, aus welchem Gebiet in Bordeaux stammt dieser Wein? Das ist nicht schwer zu erraten. Er ist viel zu leicht in der Substanz, als dass er ein Saint-Émilion oder ein Graves sein könnte. Offensichtlich ein Médoc. Ja, darüber besteht kein Zweifel … Nun die zweite Frage: Aus welcher Gemarkung in Médoc kommt er? Das dürfte, wenn wir eliminieren, auch nicht schwer zu bestimmen sein. Margaux? Nein, ganz gewiss kein Margaux. Er hat nicht das feurige Bouquet eines Margaux. Pauillac? Nein, auch kein Pauillac. Dafür ist er zu zart, zu mild und schmachtend. Der Wein aus Pauillac hat einen Geschmack, der fast herrisch in seinem Charakter ist. Und bei einem Pauillac schmecke ich auch immer ein gewisses Aroma heraus, ein eigenartig erdiges, kerniges Aroma, das die Rebe aus dem Boden jener Gegend annimmt. Nein, nein. Dies – dies ist ein sehr zarter Wein, zurückhaltend und keusch, der sich beim zweiten Schmecken zaghaft, aber sehr anmutig entfaltet. Ein bisschen schelmisch vielleicht beim zweiten Schmecken und auch ein bisschen unartig, da er die Zunge mit einer Spur, einer winzigen Spur von Gerbsäure neckt. Und im Nachgeschmack ist er köstlich – besänftigend und weiblich, mit einer gewissen heiteren Freigebigkeit, die man nur bei Weinen der Gemarkung Saint-Julien findet. Ohne Frage, dies ist ein Saint-Julien.»
Richard Pratt lehnte sich zurück, hielt die Hände in Brusthöhe und legte die Fingerspitzen sorgfältig gegeneinander. Er benahm sich lächerlich anmaßend, aber das war wohl Absicht – er wollte seinen Gastgeber verspotten. Ich war ziemlich gespannt, wie es weitergehen würde. Louise zündete sich eine Zigarette an. Pratt hörte das Zischen des aufflammenden Streichholzes und fuhr herum, plötzlich von Wut gepackt. «Bitte!», rief er. «Bitte, unterlassen Sie das! Es ist eine widerliche Angewohnheit, bei Tisch zu rauchen.»