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Am letzten Donnerstag also war ich bei Londoner Freunden zu einer kleinen Abendgesellschaft geladen. Als wir vor dem Dinner im Salon standen, einen Martini tranken und über die Atombombe und Mr. Bevan sprachen, steckte das Mädchen den Kopf herein, um den letzten Gast anzukündigen.

«Lady Turton», meldete sie.

Niemand hörte auf zu reden; dazu waren wir alle zu gut erzogen. Keine Köpfe fuhren herum. Nur unsere Blicke gingen zur Tür und warteten auf ihr Erscheinen.

Sie trat ein, groß und schlank, in einem rotgoldenen glitzernden Kleid, und ging schnell, mit lächelndem Mund und ausgestreckten Händen auf die Gastgeberin zu.

«Mildred, guten Abend!»

«Meine liebe Lady Turton! Wie reizend!»

Ich glaube, jetzt hörten wir tatsächlich auf zu reden und fuhren herum. Wir starrten sie an und warteten ganz bescheiden darauf, ihr vorgestellt zu werden, als wäre sie die Königin oder ein berühmter Filmstar. Aber sie sah besser aus als die Königin oder ein Filmstar. Sie hatte schwarzes Haar und eines jener blassen, ovalen, unschuldigen Gesichter, wie man sie bei den Madonnen flämischer Maler des fünfzehnten Jahrhunderts findet. Ja, sie hätte von Memling oder van Eyck gemalt sein können. Jedenfalls war das mein erster Eindruck. Später, als ich an die Reihe kam, sie zu begrüßen, stellte ich fest, dass ihr Gesicht – bis auf die Konturen und die Farbgebung – keineswegs das einer Madonna war. Ganz im Gegenteil.

So hatte sie beispielsweise sehr merkwürdige Nasenflügel, die überaus stark geschwungen waren und dabei so gebläht, wie ich es nie zuvor gesehen hatte. Die Nase bekam dadurch etwas Witterndes, Schnaubendes, das irgendwie an ein wildes Tier erinnerte – an einen Mustang.

Und ihre Augen waren, aus der Nähe betrachtet, nicht groß und rund, wie die Madonnenmaler sie malten, sondern länglich und schmal, halb lächelnd, halb mürrisch und ein wenig ordinär, sodass sie fast etwas verworfen wirkte. Überdies sah sie einen nie offen an. Der Blick kam langsam von der Seite, mit einer eigenartig gleitenden Bewegung, die mich beunruhigte. Ich versuchte, die Farbe ihrer Augen zu ergründen, hielt sie für hellgrau, war mir aber nicht sicher.

Dann wurde sie zu anderen Gästen geführt, um deren Bekanntschaft zu machen. Ich blickte ihr nach. Offensichtlich war sie sich ihres Erfolges bewusst und genoss es, von diesen Londonern umschmeichelt zu werden. ‹Schaut mich an›, schien sie zu sagen, ‹ich bin erst vor wenigen Jahren hergekommen, aber schon jetzt bin ich reicher und mächtiger als irgendeiner von euch.› In ihrem Gang lag etwas Triumphierendes.

Ein paar Minuten später begaben wir uns ins Speisezimmer, und zu meiner Überraschung saß ich zur Rechten Ihrer Ladyschaft. Vermutlich hatte unsere Gastgeberin das so arrangiert, weil sie mir Gelegenheit geben wollte, Material für die Gesellschaftsspalte zu sammeln, die ich jeden Tag für eine Abendzeitung schreibe. Ich machte mich auf eine anregende Unterhaltung gefasst. Aber die berühmte Dame beachtete mich überhaupt nicht; sie sprach ausschließlich mit ihrem Nachbarn zur Linken, dem Gastgeber. Erst gegen Ende der Mahlzeit – ich war gerade mit meinem Eis fertig – wandte sie sich plötzlich um, streckte die Hand aus, nahm meine Tischkarte und las den Namen. Dann richtete sie ihren Blick mit jener eigenartig gleitenden Bewegung der Augen auf mich. Ich lächelte und deutete eine Verbeugung an. Ohne mein Lächeln zu erwidern, begann sie mit einer seltsam plätschernden Stimme Fragen auf mich abzufeuern, ziemlich persönliche Fragen – Beruf, Alter, Familie und dergleichen –, die ich beantwortete, so gut ich konnte.

Bei diesem Verhör erfuhr sie unter anderem von meinem Interesse für Malerei und Bildhauerkunst.

«Dann sollten Sie uns einmal auf dem Land besuchen und sich die Sammlung meines Mannes ansehen.» Sie sagte das nur als Gesprächsfloskel, aber ich kann es mir in meinem Beruf nicht erlauben, eine solche Chance ungenutzt zu lassen.

«Ich wüsste nicht, was ich lieber täte, Lady Turton. Sehr freundlich von Ihnen. Wann darf ich kommen?»

Ihr Kopf fuhr hoch. Sie zögerte, runzelte die Stirn, zuckte die Achseln. «Ach, das ist mir gleich. Irgendwann.»

«Wie wär’s mit diesem Wochenende? Würde Ihnen das passen?» Der Blick ihrer länglichen, schmalen Augen heftete sich für eine Sekunde auf mein Gesicht und glitt dann weiter. «Warum nicht? Wenn Sie wollen … Mir ist es gleich.»

So packte ich denn am nächsten Sonnabendnachmittag meinen Koffer und fuhr im Wagen nach Wooton. Vielleicht sind Sie der Meinung, ich hätte die Einladung ein wenig forciert – nun ja, anders wäre ich nie dazu gekommen. Und mir lag nicht nur aus beruflichen Gründen sehr viel daran, das Haus zu besichtigen. Bekanntlich zählt Wooton zu den wirklich bedeutenden Steinhäusern der frühen englischen Renaissance. Wie seine Gegenstücke Longleat, Wollaton und Montacute wurde es in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts erbaut, als die großen Herren zum ersten Mal auf die festen Burgen verzichten und sich behagliche Wohnsitze schaffen konnten. Damals hat eine neue Schule von Architekten, unter ihnen John Thorpe und die Smithsons, in ganz England wahre Wunderwerke erstehen lassen. Wooton liegt südlich von Oxford in der Nähe eines Städtchens namens Princes Risborough. Als ich in das Portal einbog, verdunkelte sich bereits der Himmel, und der frühe Winterabend brach an.

Ich fuhr jetzt sehr langsam und versuchte, so viel wie möglich von dem Park zu beiden Seiten des Weges zu sehen. Besonders interessierten mich die berühmten Figurenbäume, von denen ich schon viel gehört hatte. Und ich muss sagen, es war wirklich ein eindrucksvoller Anblick. Überall standen kräftige Eiben, die so beschnitten und zurechtgestutzt waren, dass sie seltsame Formen und Figuren bildeten: Hühner, Tauben, Flaschen, Stiefel, Lehnstühle, Burgen, Eierbecher, Laternen, alte Frauen mit bauschigen Röcken, hohe Säulen, einige von einer Kugel gekrönt, andere von großen, runden Dächern oder Pilzhüten. In der Dämmerung hatte sich das Grün in Schwarz verwandelt, sodass die Bäume wie dunkle, glatte Skulpturen wirkten. An einer Stelle sah ich eine Rasenfläche mit riesigen Schachfiguren, jede eine lebende Eibe, wunderbar gestaltet. Ich hielt den Wagen an und stieg aus. Die Figuren waren doppelt so groß wie ich. Ein vollständiges Schachspiel. Die Könige, die Damen, die Läufer, Springer, Türme und Bauern – alle standen sie da, als sollte die Partie gleich eröffnet werden.

Hinter der nächsten Wegbiegung erblickte ich das große graue Haus, dessen Vorhof von einer hohen Balustrade umgeben war und zu beiden Seiten von säulenverzierten Pavillons flankiert wurde. Auf den Pfeilern der Balustrade erhoben sich Obelisken – der italienische Einfluss auf den Tudor-Geschmack. Eine mindestens dreißig Meter breite Freitreppe führte zum Haus hinauf.

In der Mitte des Vorhofs stand, wie ich zu meinem Entsetzen sah, ein Brunnenbecken mit einer großen Statue von Epstein. Zweifellos ein wunderbares Stück, aber in dieser Umgebung einigermaßen fehl am Platze. Als ich die Treppe hinaufstieg und mich noch einmal umschaute, entdeckte ich, dass auch auf den kleinen Rasenplätzen und Terrassen ringsum moderne Statuen und seltsam geformte Skulpturen standen. Ich glaubte einen Gaudier Breska, einen Brancusi, einen Saint-Gaudens, einen Henry Moore und noch einen Epstein zu erkennen.

Die Tür wurde von einem jungen Diener geöffnet, der mich in ein Schlafzimmer im ersten Stock führte. Ihre Ladyschaft, erklärte er, habe sich zu einer Ruhepause zurückgezogen, und die übrigen Gäste seien ihrem Beispiel gefolgt, aber alle würden sich in etwa einer Stunde, zum Dinner gekleidet, im großen Salon einfinden.

Mein Beruf zwingt mich, viele Wochenendbesuche zu machen. Ich verbringe wohl fünfzig Sonnabende und Sonntage im Jahr in den Häusern anderer Leute und habe daher eine feine Witterung für ungewohnte Atmosphären. Schon wenn ich ein Haus betrete, kann ich förmlich riechen, ob alles in Ordnung ist. Das Haus, in dem ich mich jetzt befand, gefiel mir gar nicht, denn in der Luft lag ein Hauch jenes trockenen Geruchs, der nichts Gutes verheißt. Ich spürte ihn sogar, als ich mit Behagen mein warmes Bad in einer riesigen Marmorwanne genoss, und ich konnte nur hoffen, dass bis Montag nichts Unerfreuliches geschehen würde.