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Ein Mann hatte sich jetzt zu der Frau im roten Kleid gesellt. Sie standen, etwa einen Meter voneinander entfernt, genau im Mittelpunkt des Gartenpanoramas auf diesem runden Rasenstück, anscheinend in ein Gespräch vertieft. Der Mann hielt irgendetwas Schwarzes in der Hand.

«Wenn es Sie interessiert, zeige ich Ihnen nachher die Rechnungen, die Beaumont dem alten Herzog eingereicht hat.»

«Ja, die würde ich sehr gern sehen. Sicherlich sind sie hochinteressant.»

«Er hat seinen Arbeitern einen Shilling pro Tag gezahlt, und sie arbeiteten zehn Stunden.»

In dem klaren Sonnenlicht war es nicht schwer, die Bewegungen und Gesten der beiden Gestalten auf dem Rasen zu verfolgen. Sie hatten sich jetzt der Skulptur zugewandt, zeigten darauf und lachten. Offenbar machten sie Witze über ihre Form. Ich erkannte, dass es sich um einen Henry Moore handelte, ein in Holz gearbeitetes Werk von einmaliger Schönheit, schlank, glatt, mit zwei oder drei Löchern und einigen seltsamen Vorsprüngen, die an Gliedmaßen erinnerten.

«Als Beaumont die Eiben für die Schachfiguren und die anderen Sachen pflanzte, wusste er, dass mindestens hundert Jahre vergehen würden, bevor sie sich in Form schneiden ließen. So viel Geduld bringen wir bei unseren Planungen nicht mehr auf, was?»

«Nein» «bestätigte ich. «Ganz gewiss nicht.»

Das schwarze Ding in der Hand des Mannes war eine Kamera. Er trat jetzt ein paar Schritte zurück und fotografierte die Frau neben dem Henry Moore. Sie nahm die verschiedensten Posen ein, die alle albern waren und komisch wirken sollten. Einmal legte sie die Arme um einen der Vorsprünge und schmiegte sich an ihn, dann wieder kletterte sie auf die Skulptur, setzte sich im Damensitz darauf und ergriff imaginäre Zügel. Die hohe Eibenhecke hinter den beiden trennte sie von dem Haus und dem vorderen Teil des Gartens. Nur von unserer Anhöhe aus waren sie deutlich zu sehen. Sie hatten allen Grund, sich unbeobachtet zu glauben, und selbst wenn sie zufällig in unsere Richtung geblickt hätten – das heißt gegen die Sonne –, so wären ihnen wohl kaum die beiden kleinen Gestalten aufgefallen, die regungslos auf der Bank am Teich saßen.

«Wissen Sie, ich liebe diese Eiben», sagte Sir Basil. «Ihre Farbe ist gerade in einem Garten so überaus wohltuend für das Auge. Und im Sommer dämpft sie das grelle Sonnenlicht, sodass man die Bäume überhaupt erst richtig bewundern kann. Haben Sie die vielen Schattierungen von Grün an den Flächen und Facetten der gestutzten Bäume bemerkt?»

«Ja, ein herrlicher Anblick, nicht wahr?»

Der Mann schien jetzt der Frau irgendetwas zu erklären. Er deutete auf den Henry Moore, und die Art, wie sie den Kopf zurückwarfen, verriet mir, dass sie wieder lachten. Der Mann stand noch immer mit ausgestrecktem Zeigefinger da, und nun lief die Frau zur Rückseite der Holzskulptur, bückte sich und schob den Kopf durch eines der Löcher. Die Plastik war etwa so groß wie, sagen wir, ein kleines Pferd, aber wesentlich schmaler. Von unserer Bank aus konnte ich beide Seiten sehen – die linke mit dem Körper der Frau, die rechte mit dem durchgesteckten Kopf. Es erinnerte an diese Scherzaufnahmen in Seebädern, wo man den Kopf durch ein Loch im Brett steckt und als dicke Dame fotografiert wird. Der Mann hob jetzt die Kamera ans Auge.

«Und noch etwas gefällt mir an den Eiben», fuhr Sir Basil fort. «Im Frühsommer, wenn die Zweige ausschlagen …»

Hier verstummte er plötzlich, reckte den Oberkörper und beugte sich ein wenig vor. Ich spürte, wie er förmlich erstarrte.

«Ja», sagte ich, «wenn die Zweige ausschlagen …?»

Die Aufnahme war fertig, aber die Frau zog den Kopf nicht zurück. Ich sah, wie der Mann beide Hände (mit der Kamera) auf den Rücken legte und auf sie zuging. Dann bückte er sich, brachte sein Gesicht ganz nah an das ihre heran und blieb so stehen. Ich nehme an, dass er ihr ein paar Küsse gab oder dergleichen. In der tiefen Stille glaubte ich das Klingen eines Frauenlachens zu hören, das von weit her durch den sonnenhellen Garten zu uns drang.

«Wollen wir nicht zurückgehen?», fragte ich.

«Zurück?»

«Ja. Wir könnten dann vor dem Essen noch einen Martini trinken.»

«Einen Martini? Ja, das werden wir tun.» Aber er rührte sich nicht. Er saß sehr still, war mir gleichsam entrückt und starrte wie gebannt auf die beiden Gestalten. Ich starrte sie ebenfalls an. Es war mir unmöglich, den Blick abzuwenden; ich musste einfach hinsehen. Das, was sich dort in der Ferne abspielte, schien ein gefährliches kleines Ballett zu sein: Man kannte die Musik und die Tänzer, aber nicht den Handlungsverlauf, nicht die Choreographie. Man wusste nicht, was als Nächstes geschehen würde, man war fasziniert und musste einfach hinsehen.

«Gaudier Breska», sagte ich. «Was glauben Sie, wie weit er es gebracht hätte, wenn er nicht so früh gestorben wäre?»

«Wer?»

«Gaudier Breska.»

«Ja», murmelte er. «Allerdings.»

Plötzlich fiel mir etwas Seltsames auf. Die Frau hatte den Kopf noch immer nicht zurückgezogen, aber sie schob jetzt ihren Körper in langsamen Windungen hin und her. Der Mann stand einen Schritt von ihr entfernt und sah sie an. Er schien irgendwie beunruhigt zu sein; der gesenkte Kopf und die angespannte Körperhaltung deuteten darauf hin, dass er nicht mehr lachte. Nach einer Weile legte er die Kamera auf den Boden, näherte sich der Frau und nahm ihren Kopf in die Hände. Und auf einmal war es eher ein Puppenspiel als ein Ballett – winzige hölzerne Marionetten, die winzige hölzerne Bewegungen machten, verrückt und unwirklich, auf einer weitentfernten, von der Sonne beleuchteten Bühne.

Wir saßen auf der weißen Bank und sahen schweigend zu, wie der Marionettenmann an dem Kopf der Frau herumhantierte. Er tat es sanft, daran war nicht zu zweifeln, sanft und vorsichtig. Von Zeit zu Zeit trat er zurück, um nachzudenken; mehrmals hockte er sich nieder, um die Lage aus einem anderen Blickwinkel zu begutachten. Immer wenn er die Frau allein ließ, begann sie von neuem, sich hin und her zu winden, und zwar auf eine seltsame Art, die mich an einen Hund erinnerte, der zum ersten Mal ein Halsband trägt.

«Sie ist eingeklemmt», sagte Sir Basil.

Nun ging der Mann auf die andere Seite der Holzskulptur, dorthin, wo sich der Körper der Frau befand. Er bückte sich und versuchte, irgendetwas mit ihrem Hals zu machen. Dann, als hätte er plötzlich die Geduld verloren, zerrte er zwei-, dreimal heftig an dem Hals, und diesmal drang die Stimme der Frau, schrill vor Zorn oder Schmerz, klar und deutlich durch das Sonnenlicht zu uns.

Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Sir Basil ruhig nickte. «Als Junge bin ich einmal mit der Hand in einem Glas Konfitüre stecken geblieben», sagte er. «Bekam sie nicht wieder heraus.»

Der Mann war ein paar Schritte zurückgetreten und stand nun da, die Hände in die Hüfte gestemmt, den Kopf hoch erhoben. Ich hatte den Eindruck, dass er ärgerlich und gereizt war. Die Frau schien aus ihrer unbequemen Stellung heraus mit ihm zu sprechen oder ihn vielmehr anzuschreien, und wenn sich auch ihr Körper nur winden konnte, so waren doch die Beine frei, mit denen sie wild auf den Boden stampfte.

«Ich habe das Glas mit dem Hammer zerschlagen und meiner Mutter erzählt, ich hätte es aus Versehen vom Regal gestoßen.» Sir Basil wirkte jetzt völlig entspannt, kein bisschen nervös, obgleich er mit merkwürdig tonloser Stimme sprach. «Vielleicht sollten wir hinuntergehen und sehen, ob wir helfen können.»

«Das wäre wohl das Beste.»

Aber er rührte sich nicht. Er nahm eine Zigarette heraus, zündete sie an und legte das abgebrannte Streichholz sorgfältig in die Schachtel zurück.