«Lassen Sie mich sehen, Mr. Lampson», sagte er. «Ja, in etwa zwei Stunden könnte ich kommen. Passt es Ihnen dann?»
Das sei mir sehr recht, erwiderte ich, gab ihm meine Adresse und legte auf.
Ich sprang aus dem Bett. Es war erstaunlich, wie frisch und munter ich mich plötzlich fühlte. Eben noch hatte ich mich tief verzweifelt mit Mord- und Selbstmordgedanken herumgeschlagen, und jetzt pfiff ich in der Badewanne eine Arie von Puccini. Immer wieder ertappte ich mich dabei, dass ich mir mit teuflischem Grinsen die Hände rieb, und als ich während der Morgengymnastik bei einer Kniebeuge das Gleichgewicht verlor, blieb ich auf dem Fußboden sitzen und kicherte wie ein Schuljunge.
Zur verabredeten Zeit wurde Mr. Royden in meine Bibliothek geführt. Ich erhob mich, um ihn zu begrüßen. Der Maler war ein zierlicher kleiner Mann mit einem rötlichen Spitzbart. Er trug eine schwarze Samtjacke, eine rostbraune Krawatte, einen roten Pullover und schwarze Wildlederschuhe. Ich schüttelte seine zierliche kleine Hand.
«Nett von Ihnen, dass Sie so schnell gekommen sind, Mr. Royden.»
«Aber ich bitte Sie, Sir.» Seine Lippen – wie die Lippen fast aller bärtigen Männer – schimmerten so rot zwischen all dem Haar, dass sie feucht, nackt und ein bisschen obszön wirkten. Nachdem ich ihm noch einmal versichert hatte, wie sehr ich seine Bilder bewunderte, kam ich zur Sache.
«Mr. Royden», sagte ich, «mein Anliegen an Sie ist etwas ungewöhnlich und durchaus privater Natur.»
«Ja, Mr. Lampson?» Er saß mir gegenüber im Sessel und neigte den Kopf mit einem Ruck zur Seite, flink und keck wie ein Vogel.
«Ich verlasse mich natürlich darauf, dass Sie alles, was ich sage, mit äußerster Diskretion behandeln.»
«Selbstverständlich, Mr. Lampson.»
«Gut. Die Sache ist die: Es gibt hier in London eine Dame, deren Porträt ich gern von Ihnen malen lassen möchte. Ich wünschte nichts sehnlicher, als ein schönes Bild von ihr zu besitzen. Aber das ist etwas schwierig. Aus bestimmten Gründen lege ich nämlich keinen Wert darauf, dass sie erfährt, wer das Bild in Auftrag gegeben hat.»
«Sie meinen …»
«Genau, Mr. Royden. Genau das meine ich. Sie, ein Mann von Welt, werden mich gewiss verstehen.»
Sein falsches kleines Lächeln drang eben noch durch den Bart, als er zustimmend nickte.
«Ist es nicht denkbar», fuhr ich fort, «dass ein Mann – wie soll ich mich ausdrücken? – für eine Dame entflammt ist, jedoch gute Gründe hat, sie das nicht wissen zu lassen?»
«Aber ja, Mr. Lampson.»
«Wer auf Beute ausgeht, muss sich oft langsam heranpirschen und geduldig warten, bis der rechte Augenblick kommt.»
«Sehr richtig, Mr. Lampson.»
«Es gibt bessere Möglichkeiten, einen Vogel zu fangen, als ihn durch die Wälder zu jagen.»
«Allerdings, Mr. Lampson.»
«Beispielsweise indem man ihm Salz auf den Schwanz streut.»
«Haha!»
«Gut, Mr. Royden. Ich denke, wir verstehen uns. Nun – kennen Sie zufällig eine Dame namens Janet de Pelagia?»
«Janet de Pelagia? Warten Sie – ja. Das heißt, ich habe von ihr gehört. Eigentlich kenne ich sie also nicht.»
«Schade. Das erschwert die Sache ein wenig. Glauben Sie, dass Sie ihre Bekanntschaft machen können – vielleicht bei einer Cocktailparty oder so?»
«Das lässt sich bestimmt arrangieren, Mr. Lampson.»
«Gut. Dann schlage ich Ihnen Folgendes vor: Sie erzählen ihr, sie sei genau das Modell, nach dem Sie seit Jahren suchen – das richtige Gesicht, die richtige Figur, die richtige Augenfarbe und so weiter. Daran knüpfen Sie die Frage, ob sie Ihnen unentgeltlich Modell stehen würde. Sagen Sie ihr, Sie wollten ihr Porträt für die nächste Ausstellung der Akademie haben. Ich bin sicher, sie wird Ihnen gern helfen und sich sogar sehr geehrt fühlen. Sie malen also das Bild, stellen es aus, und wenn es von der Akademie zurückkommt, geht es in meinen Besitz über. Außer Ihnen braucht niemand zu erfahren, dass ich es gekauft habe.»
Mr. John Royden hatte den Kopf wieder zur Seite geneigt, und seine kleinen runden Augen beobachteten mich scharf. Er hockte auf dem Rand des Sessels, und in dieser Haltung erinnerte er mich mit seinem roten Pullover an ein Rotkehlchen, das auf einem Zweig sitzt und auf ein verdächtiges Geräusch lauscht.
«Die Sache ist völlig in Ordnung», versicherte ich ihm. «Betrachten Sie das Ganze, wenn Sie wollen, als eine harmlose kleine Verschwörung, angezettelt von einem … nun … von einem recht romantischen alten Mann.»
«Ich weiß, Mr. Lampson, ich weiß …» Er schien noch immer zu zögern, deshalb sagte ich rasch: «Ich zahle Ihnen natürlich das Doppelte von dem, was Sie üblicherweise berechnen.»
Das gab den Ausschlag. Der Mann leckte sich buchstäblich die Lippen. «Wissen Sie, Mr. Lampson, eigentlich lasse ich mich nicht gern auf so etwas ein. Aber es wäre doch wirklich sehr herzlos, wenn ich einen – ja, wie soll ich sagen? – einen so romantischen Auftrag ablehnen wollte.»
«Ich habe an ein Ganzporträt gedacht, Mr. Royden. Und das Format – nun, vielleicht doppelt so groß wie der Manet dort an der Wand.»
«Etwa hundertfünfzig mal neunzig?»
«Ja. Und ich hätte sie gern stehend. Meiner Meinung nach ist das ihre anmutigste Haltung.»
«Ganz wie Sie wünschen, Mr. Lampson. Es wird mir ein Vergnügen sein, eine so reizende Dame zu malen.»
Davon bin ich überzeugt, dachte ich. Bei deiner Methode, mein Junge, wundert mich das kein bisschen. Laut aber sagte ich: «Sehr schön, Mr. Royden. Alles Weitere überlasse ich Ihnen. Und bitte vergessen Sie nicht – dies ist ein kleines Geheimnis zwischen uns beiden.»
Als er gegangen war, zwang ich mich, still sitzen zu bleiben und fünfundzwanzig tiefe Atemzüge zu machen, obgleich ich am liebsten einen Freudentanz aufgeführt und wilde Jubelschreie ausgestoßen hätte. Noch nie in meinem Leben war ich in einer solchen Hochstimmung gewesen. Ich hatte erreicht, was ich wollte! Der schwierigste Teil meines Plans war bereits verwirklicht. Jetzt musste ich erst einmal warten, lange warten. Bei der Malweise dieses Mannes würde es einige Monate dauern, bis er das Bild fertig hatte. Nun, ich brauchte nur Geduld zu haben, das war alles.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, beschloss ich, in der Zwischenzeit zu verreisen. Ich schrieb an Janet (mit der ich, wie Sie sich erinnern werden, an jenem Abend zum Dinner verabredet war), teilte ihr mit, dass ich leider absagen müsse, packte meine Koffer und fuhr schon am nächsten Morgen nach Italien.
Ich verbrachte dort, wie immer, eine herrliche Zeit, und nur meine ständige nervöse Erregung, hervorgerufen durch den Gedanken an das, was mich in London erwartete, beeinträchtigte diesen Genuss.
Vier Monate später, im Juli – tags zuvor war die Ausstellung in der Akademie eröffnet worden –, kehrte ich nach London zurück und hörte zu meiner Erleichterung, dass während meiner Abwesenheit alles planmäßig verlaufen war. Das Porträt von Janet de Pelagia war fertig, hing in der Ausstellung und fand bereits bei der Kritik wie auch beim Publikum großen Anklang. Ich selbst verzichtete darauf, es zu besichtigen. Royden sagte mir am Telefon, er habe mehrere Anfragen von Leuten, die es kaufen wollten, mit dem Hinweis beantwortet, dass es unverkäuflich sei. Als die Ausstellung vorüber war, lieferte Royden das Bild bei mir ab und bekam sein Geld.
Ich ließ das Porträt sofort in mein Arbeitszimmer tragen und machte mich nicht ohne Herzklopfen daran, es genau zu betrachten. Janet stand in einem schwarzen Abendkleid vor einem roten Plüschsofa. Ihre linke Hand ruhte auf der Rückenlehne eines schweren, ebenfalls mit rotem Plüsch bezogenen Sessels, und von der Decke hing ein riesiger Kronleuchter.