Jedenfalls verschickte ich die Einladungen, und nach einigen Tagen hatten alle – ausgenommen Mrs. Cudbird und Sir Hubert Kaul, die beide verreist waren – mit Vergnügen zugesagt.
Am Abend des zweiundzwanzigsten um halb neun war mein großer Salon voller Menschen. Sie standen herum, bewunderten die Bilder, tranken Martini und unterhielten sich mit lauter Stimme. Die Frauen rochen stark nach Parfum, die Männer hatten rosige Gesichter und steckten in stramm sitzenden Smokings. Janet de Pelagia trug dasselbe schwarze Kleid wie auf dem Bild, und sooft mein Blick auf sie fiel, sah ich (wie auf diesen albernen Witzzeichnungen) eine Blase über meinen Kopf schweben und darin Janet in ihrem schwarzen Büstenhalter, der Konstruktion aus rosa Gummigewebe, den Strumpfhaltern und mit den Jockeybeinen.
Ich ging von Gruppe zu Gruppe, plauderte freundlich mit meinen Gästen und fing dabei so manchen Gesprächsfetzen auf. Mrs. Galbally zum Beispiel erzählte Sir Eustace Piegrome und James Pisker von einem Mann, der gestern Abend im Claridge am Nebentisch gesessen hatte und dessen weißer Schnurrbart voll roter Lippenstiftflecke gewesen war. «Über und über beschmiert», wiederholte sie mehrmals. «Und der alte Knabe war mindestens neunzig …» In einer anderen Ecke verbreitete sich Lady Girdlestone über Trüffeln, in Cognac gekocht, und Mrs. Icely flüsterte, wie ich bemerkte, Lord Mulherrin etwas zu, während Seine Lordschaft, einem alten, kraftlosen Metronom nicht unähnlich, den Kopf langsam hin- und herpendeln ließ.
Dann wurde zum Essen gebeten, und wir gingen ins Speisezimmer hinüber.
«Du meine Güte!», riefen sie, als sie eintraten.
«Wie dunkel und unheimlich!»
«Ich kann kaum etwas sehen!»
«Was für entzückende kleine Kerzen!»
«O Lionel, wie romantisch!»
In der Mitte der langen Tafel brannten Kerzen, sechs dünne Kerzen, jeweils sechzig Zentimeter voneinander entfernt. Die kleinen Flammen verbreiteten auf dem Tisch ein schwaches Licht, ließen jedoch den übrigen Raum im Dunkeln. Es war ein reizendes Arrangement, und abgesehen von der Tatsache, dass es meinem Vorhaben zustatten kam, stellte es eine nette Abwechslung dar. Die Gäste hatten bald ihre Plätze gefunden, und das Mahl begann.
Alle schienen sich über das Kerzenlicht zu freuen, und die Stimmung war ausgezeichnet. Merkwürdigerweise sprach jeder wegen der Dunkelheit lauter als gewöhnlich. Janet de Pelagias Stimme fiel mir besonders unangenehm auf. Sie saß neben Lord Mulherrin, und ich hörte, wie sie ihm von dem langweiligen Wochenende erzählte, das sie auf Cap Ferrat verbracht hatte. «Nichts als Franzosen», sagte sie immer wieder. «Weit und breit nichts als Franzosen …»
Ich beobachtete die Kerzen. Sie waren sehr dünn, und ich wusste, dass sie schnell herunterbrennen würden. Ich war, wie ich zugeben muss, recht nervös, zugleich aber fast trunken vor Heiterkeit und freudiger Erwartung. Jedes Mal, wenn ich Janets Stimme hörte oder im Kerzenlicht ihr von Schatten überspieltes Gesicht erblickte, zerbarst vor Aufregung ein kleiner Feuerball in meinem Innern, und ich fühlte, wie sich die Glut unter meiner Haut ausbreitete.
Endlich – die Erdbeeren waren gerade serviert worden – hielt ich die Zeit für gekommen. Ich holte tief Luft und sagte mit lauter Stimme: «Leider werden wir jetzt wohl Licht machen müssen. Die Kerzen sind fast abgebrannt. Mary», rief ich dem Dienstmädchen zu. «Ach, Mary, drehen Sie bitte das Licht an, ja?»
In dem Schweigen, das meiner Ankündigung folgte, hörte ich das Mädchen zur Tür gehen. Ein leises Klicken des Schalters, und der Raum war in strahlendes Licht getaucht. Alle schlossen die Augen, öffneten sie wieder und schauten um sich.
Ich beeilte mich, von meinem Stuhl aufzustehen und das Zimmer unauffällig zu verlassen; aber als ich hinausging, wurde mir ein Anblick zuteil, den ich mein Leben lang nicht vergessen werde: Janet, die mit erhobenen Händen wie gelähmt dasaß, mitten in der Bewegung erstarrt, in einer Geste, die vermutlich jemandem auf der anderen Tischseite gegolten hatte. Ihr Mund war weit geöffnet, und sie hatte den überraschten, verständnislosen Blick eines Menschen, der vor genau einer Sekunde von einer Kugel ins Herz getroffen wurde.
In der Diele blieb ich stehen und lauschte. Drinnen brach jetzt der Tumult los: schrille Schreie der Damen, empörte, ungläubige Ausrufe der Männer. Alle redeten durcheinander, sodass die Stimmen zu einem lauten Summen verschmolzen. Dann – und das war für mich der schönste Augenblick – hörte ich Lord Mulherrin über den Lärm hinweg brüllen: «Hierher! Schnell, schnell! Geben Sie ihr rasch etwas Wasser!»
Draußen auf der Straße half mir der Chauffeur in den Wagen. Bald waren wir aus London heraus und rollten fröhlich über die Great North Road zu diesem, meinem anderen Haus, das nur hundertfünfzig Kilometer von der Stadt entfernt liegt.
Die nächsten beiden Tage standen im Zeichen der Schadenfreude. Ich ging wie im Traum umher, verzückt, in Selbstgefälligkeit schwelgend und von einem so starken Glücksempfinden erfüllt, dass ich es bis in die Zehen hinein spürte. Erst heute Morgen, als Gladys Ponsonby anrief, kam ich plötzlich zu mir und erkannte, dass ich kein Held, sondern ein Ausgestoßener bin. Sie teilte mir mit – nicht ohne Behagen, wie mir schien –, dass jeder über mich aufgebracht sei, dass alle meine lieben alten Freunde die schrecklichsten Dinge über mich sagten und geschworen hätten, nie mehr ein Wort mit mir zu sprechen. Ausgenommen natürlich sie selbst, wie sie immer wieder betonte. Alle, nur sie, Gladys Ponsonby, nicht. Und sie fragte, ob ich nicht glaubte, dass es sehr nett werden könnte, wenn sie ein paar Tage zu mir käme, um mich aufzumuntern.
Leider hatte sie mich inzwischen so aus der Fassung gebracht, dass ich nicht einmal imstande war, ihr höflich zu antworten. Ich legte auf und ging fort, um zu weinen.
Und heute Mittag kam der letzte, vernichtende Schlag. Die Post brachte mir einen Brief – ich schäme mich so, dass ich mich kaum überwinden kann, es niederzuschreiben –, einen unvorstellbar reizenden, zärtlichen kleinen Brief, und von wem? Von niemand anderem als Janet de Pelagia. Sie verzeihe mir alles, was ich ihr angetan hätte, schrieb sie. Es sei ja nur ein Scherz gewesen, das wisse sie, und ich solle mir nichts daraus machen, dass die anderen Leute so schlecht über mich redeten. Sie liebe mich wie eh und je, und sie werde mich bis an ihr Lebensende lieben.
Ach, wie gemein, wie viehisch kam ich mir vor, als ich das las! Umso mehr, als ich entdeckte, dass sie mir mit gleicher Post als zusätzliches Zeichen ihrer Liebe ein kleines Geschenk übersandt hatte – ein Halbpfundglas mit frischem Kaviar, meinem Lieblingsgericht.
Ich habe eine Schwäche für guten Kaviar, eine so große Schwäche, dass ich ihm einfach nicht widerstehen kann. Natürlich hatte ich heute Abend überhaupt keinen Appetit, aber selbst das hinderte mich nicht, ein paar Löffel davon zu essen – ein kleiner Trost in meinem Elend. Es ist sogar möglich, dass ich ein bisschen zu viel gegessen habe, denn seit ungefähr einer Stunde fühle ich mich nicht allzu gut. Vielleicht sollte ich aufstehen und mir etwas Natron holen. Ich kann ja später weiterschreiben, wenn ich in einer besseren Verfassung bin.
Wissen Sie – ich merke gerade, dass ich mich wirklich sehr schlecht fühle.
Der große automatische Grammatisator
«Ach, da sind Sie ja, Knipe, mein Junge. Jetzt, wo wir’s geschafft haben, wollte ich Ihnen doch sagen, wie sehr ich mit Ihrer Arbeit zufrieden bin.» Adolph Knipe stand vor Mr. Bohlens Schreibtisch. Nach seiner unbewegten Miene zu urteilen, war er keineswegs begeistert.
«Freuen Sie sich denn nicht?»
«O doch, Mr. Bohlen.»
«Wissen Sie schon, was die Morgenzeitungen darüber geschrieben haben?»