Eine Lammkeule.
Nun gut, dann würde es Lamm zum Abendessen geben. Sie umfasste das dünne Knochenende mit beiden Händen und trug die Keule nach oben. Als sie durch das Wohnzimmer ging, sah sie ihn mit dem Rücken zu ihr am Fenster stehen. Sie machte halt.
«Um Gottes willen», sagte er, ohne sich umzudrehen, «koch bloß kein Essen für mich. Ich gehe aus.»
In diesem Augenblick trat Mary Maloney einfach hinter ihn, schwang, ohne sich zu besinnen, die große gefrorene Lammkeule hoch in die Luft und ließ sie mit aller Kraft auf seinen Hinterkopf niedersausen.
Ebenso gut hätte sie mit einer eisernen Keule zuschlagen können.
Sie wich einen Schritt zurück und wartete. Seltsamerweise blieb er noch mindestens vier, fünf Sekunden leicht schwankend stehen. Dann stürzte er auf den Teppich.
Der krachende Aufprall, der Lärm, mit dem der kleine Tisch umfiel – diese Geräusche halfen ihr, den Schock zu überwinden. Sie kehrte langsam in die Wirklichkeit zurück, empfand aber nichts als Kälte und Überraschung, während sie mit zusammengekniffenen Augen den leblosen Körper anstarrte. Ihre Hände umklammerten noch immer die idiotische Fleischkeule.
Na schön, sagte sie sich. Ich habe ihn also getötet.
Erstaunlich, wie klar ihr Gehirn auf einmal arbeitete. Die Gedanken überstürzten sich fast. Als Frau eines Polizeibeamten wusste sie genau, welche Strafe sie erwartete. Gut, in Ordnung. Ihr machte das gar nichts aus. Es würde sogar eine Erlösung sein. Aber das Kind? Wie verfuhr das Gesetz mit Mörderinnen, die ungeborene Kinder trugen? Tötete man beide – Mutter und Kind? Oder wartete man bis nach der Geburt? Was geschah mit den Kindern?
Mary Maloney wusste es nicht. Und sie war keineswegs gewillt, ein Risiko einzugehen.
Sie brachte das Fleisch in die Küche, legte es in eine Bratpfanne und schob es in den eingeschalteten Ofen. Dann wusch sie sich die Hände und lief nach oben ins Schlafzimmer. Sie setzte sich vor den Spiegel, , ordnete ihr Haar und frischte das Make-up auf. Sie versuchte ein Lächeln. Es fiel recht sonderbar aus. Auch der zweite Versuch missglückte.
«Hallo, Sam», sagte sie laut und munter.
Die Stimme klang viel zu gezwungen.
«Ich hätte gern Kartoffeln, Sam. Ja, und vielleicht eine Dose Erbsen.» Das war besser. Sowohl die Stimme als auch das Lächeln wirkten jetzt natürlicher. Sie probierte es wieder und wieder, bis sie zufrieden war. Dann eilte sie nach unten, schlüpfte in ihren Mantel, öffnete die Hintertür und ging durch den Garten auf die Straße.
Es war erst kurz vor sechs, und beim Kaufmann brannte noch Licht.
«Hallo, Sam», sagte sie munter und lächelte dem Mann hinter dem Ladentisch zu.
«Ach, guten Abend, Mrs. Maloney. Wie geht’s denn?»
«Ich hätte gern Kartoffeln, Sam. Ja, und vielleicht eine Dose Erbsen.» Der Kaufmann drehte sich um und nahm eine Büchse vom Regal.
«Patrick ist heute so müde, dass er keine Lust hat, sich ins Restaurant zu setzen», erklärte sie. «Wir essen sonst donnerstags immer auswärts, wissen Sie, und jetzt habe ich kein Gemüse im Haus.»
«Und was ist mit Fleisch, Mrs. Maloney?»
«Fleisch habe ich, danke. Eine schöne Lammkeule aus der Kühltruhe.»
«Aha.»
«Eigentlich lasse ich ja das Fleisch lieber erst auftauen, bevor ich’s brate, aber es wird wohl auch so gehen. Meinen Sie nicht, Sam?»
«Wenn Sie mich fragen», sagte der Gemüsehändler, «ich finde, dass es gar keinen Unterschied macht. Wollen Sie die Idaho-Kartoffeln?»
«O ja, die sind gut: Zwei Tüten bitte.»
«Sonst noch etwas?» Er neigte den Kopf zur Seite und sah sie wohlgefällig an. «Na, und der Nachtisch? Was wollen Sie ihm zum Nachtisch geben?»
«Hm … Wozu würden Sie mir denn raten, Sam?»
Der Mann schaute sich im Laden um. «Wie wär’s mit einem schönen großen Stück Käsekuchen? Den isst er doch gern, nicht wahr?»
«Ja, , das ist ein guter Gedanke. Auf Käsekuchen ist er ganz versessen.»
Als alles eingewickelt war und sie bezahlt hatte, verabschiedete sie sich mit ihrem freundlichsten Lächeln. «Vielen Dank, Sam. Auf Wiedersehen.»
«Auf Wiedersehen, Mrs. Maloney. Ich habe zu danken.»
Und jetzt, sagte sie sich auf dem Heimweg, jetzt kehrte sie zu ihrem Mann zurück, der auf sein Abendessen wartete. Und sie musste es gut kochen, so schmackhaft wie möglich, denn der arme Kerl war müde. Und wenn sie beim Betreten des Hauses etwas Ungewöhnliches vorfinden sollte, etwas Unheimliches oder Schreckliches, dann würde es natürlich ein Schock für sie sein. Verrückt würde sie werden vor Schmerz und Entsetzen. Wohlgemerkt, sie erwartete nicht, etwas Derartiges vorzufinden. Sie ging nur mit ihren Einkäufen nach Hause. Mrs. Patrick Maloney ging am Donnerstagabend mit ihren Einkäufen nach Hause, um das Abendessen zu kochen.
So ist es recht, ermunterte sie sich. Benimm dich natürlich, genauso wie immer. Lass alles ganz natürlich an dich herankommen, dann brauchst du nicht zu heucheln.
So summte sie denn ein Liedchen vor sich hin und lächelte, als sie durch die Hintertür in die Küche trat.
«Patrick!», rief sie. «Ich bin wieder da, Liebling.»
Sie legte das Paket auf den Tisch und ging ins Wohnzimmer. Und als sie ihn dort sah, auf dem Boden zusammengekrümmt, einen Arm unter dem Körper, da war es wirklich ein Schock. Die Liebe und das Verlangen nach ihm wurden von neuem wach, und sie lief zu ihm hin, kniete neben ihm nieder und weinte bittere Tränen. Es war nicht schwer. Sie brauchte nicht zu heucheln.
Ein paar Minuten später stand sie auf und ging zum Telefon. Die Nummer der Polizeistation wusste sie auswendig. Als sich der Wachtmeister vom Dienst meldete, rief sie: «Schnell! Kommen Sie schnell! Patrick ist tot!»
«Wer spricht denn da?»
«Mrs. Maloney. Mrs. Patrick Maloney.»
«Sie sagen, Patrick Maloney ist tot?»
«Ich glaube, ja», schluchzte sie. «Er liegt auf dem Boden, und ich glaube, er ist tot.»
«Wir kommen sofort», sagte der Mann.
Der Wagen fuhr gleich darauf vor. Sie öffnete die Haustür, und zwei Polizisten traten ein. Beide waren ihr bekannt – wie fast alle Beamten des Reviers –, und sie fiel hysterisch weinend in Jack Noonans Arme. Er setzte sie sanft in einen Sessel und ging dann zu seinem Kollegen O’Malley hinüber, der neben dem Leichnam kniete.
«Ist er tot?», flüsterte sie.
«Ich fürchte, ja. Was ist geschehen?»
Sie erzählte kurz ihre Geschichte – wie sie zum Kaufmann gegangen war und Patrick bei der Rückkehr leblos auf dem Boden gefunden hatte. Während sie sprach, weinte und sprach, entdeckte Noonan etwas geronnenes Blut am Hinterkopf des Toten. Er zeigte es O’Malley, und der stürzte sofort zum Telefon.
Bald erschienen noch mehr Männer. Zuerst ein Arzt, dann zwei Detektive – den einen kannte sie dem Namen nach. Später kam ein Polizeifotograf und machte Aufnahmen; auch ein Experte für Fingerabdrücke traf ein. Es wurde viel geflüstert und gemurmelt neben dem Toten, und die Detektive stellten ihr Fragen über Fragen. Aber sie behandelten sie sehr freundlich. Sie erzählte wieder ihre Geschichte, diesmal von Anfang an: Patrick war nach Hause gekommen, und sie hatte genäht, und er war müde, so müde, dass er nicht zum Abendessen ausgehen wollte. Sie berichtete, wie sie das Fleisch in den Ofen geschoben hatte – «es ist immer noch drin» –, wie sie wegen der Kartoffeln und der Erbsen zum Kaufmann gelaufen war und wie sie Patrick bei der Rückkehr leblos auf dem Boden gefunden hatte.
«Welcher Kaufmann?», fragte einer der Detektive.
Sie sagte es ihm. Er drehte sich schnell um und flüsterte dem anderen Detektiv etwas zu. Der Mann verließ sofort das Haus.