Ich streckte die Hand nach dem Feuerzeug aus, aber er stand auf, kam zu mir und zündete es für mich an.
«Danke», sagte ich, und er ging zu seinem Stuhl zurück.
«Gefällt es Ihnen hier?», fragte ich.
«Prima», antwortete er. «Sehr schöne Gegend.»
Dann trat Schweigen ein. Ich merkte, dass es dem kleinen Mann gelungen war, den anderen mit seinem unsinnigen Vorschlag durcheinanderzubringen. Der Junge saß sehr still da, und ich spürte, wie sich eine kleine Spannung in ihm entwickelte. Nach einer Weile fing er an, unruhig zu werden. Er rutschte in seinem Stuhl hin und her, rieb sich die Brust, massierte sein Genick, legte schließlich die Hände auf die Knie und klopfte mit den Fingern gegen die Kniescheibe. Bald darauf klopfte er auch mit den Füßen auf den Boden.
«Lassen Sie mich die ganze Geschichte nochmal zusammenfassen», begann er plötzlich zu sprechen. «Sie sagten, wir gehen in Ihr Zimmer, und wenn dieses Feuerzeug zehnmal nacheinander zündet, gewinne ich einen Cadillac. Versagt es auch nur ein einziges Mal, dann verliere ich den kleinen Finger meiner linken Hand. Ist das richtig?»
«Ganz richtig. Genauso ist Wette. Ich glaube aber, Sie haben Angst.»
«Wie wird das, wenn ich verliere? Muss ich meinen Finger ausstrecken, damit Sie ihn abhacken können?»
«O nein! Das ist nicht gut. Wer weiß, vielleicht Sie kommen in Versuchung, ihn nicht auszustrecken. Ich mache so: Zuerst ich binde Ihre linke Hand an Tisch, und dann wir fangen an. Ich stehe bereit mit Messer, und ich hacke zu die Moment, wo Ihre Feuerzeug versagt.»
«Welches Baujahr ist Ihr Cadillac?», fragte der Junge.
«Bittäh Entschuldigung. Wie meinen?»
«Welches Baujahr – wie alt ist der Cadillac?»
«Ah! Wie alt? Ja. Ist von letzte Jahr. Ganz neu. Aber ich sehe, Sie haben keine Mut zu wetten. Amerikaner nie haben Mut.»
Der Junge zögerte kurz. Er sah erst das englische Mädchen, dann mich an, bevor er in scharfem Ton sagte: «Einverstanden. Die Wette gilt.»
«Gut!» Der kleine Mann klatschte in die Hände, nur einmal und sehr leise. «Schön, wir machen es gleich. Und Sie, Sir –» und damit war ich gemeint –, «würden Sie vielleicht haben die Güte, zu – wie nennen Sie das? – zu schiedsrichtern.» Er hatte blasse, fast farblose Augen mit winzigen schwarzen Pupillen.
«Wissen Sie», sagte ich, «das ist eine blödsinnige Wette. Mir gefällt sie gar nicht.»
«Mir auch nicht», ließ sich das englische Mädchen vernehmen. Es waren die ersten Worte, die sie sprach. «Ich finde, es ist eine absolut idiotische Wette.»
«Ist das Ihr Ernst, dass Sie ihm den Finger abhacken wollen, wenn er verliert?», fragte ich.
«Natürlich. Und auch, dass ich ihm Cadillac geben will, wenn er gewinnt. Kommen Sie jetzt. Wir gehen in meine Zimmer.»
Er stand auf. «Sie möchten vielleicht etwas anziehen?», erkundigte er sich.
«Nein», antwortete der Junge. «Ist nicht nötig.» Dann wandte er sich an mich. «Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie als Schiedsrichter mitkämen.»
«Meinetwegen», stimmte ich zu. «Aber ich kann nicht behaupten, dass mir die Wette gefällt.»
«Du kommst auch mit», sagte er zu dem Mädchen. «Du kommst mit und siehst zu.»
Der kleine Mann ging mit uns durch den Garten zum Hotel. Er war freudig erregt, und seine gehobene Stimmung schien zu bewirken, dass er mehr denn je auf den Zehen federte.
«Ich wohne in Nebengebäude», erklärte er. «Sie wollen erst Wagen sehen? Ist gerade hier.»
Er führte uns zur Vorderseite des Hotels und deutete auf einen schnittigen hellgrünen Cadillac, der dort parkte.
«Das ist er. Der grüne. Sie mögen?»
«Donnerwetter, das ist aber ein schicker Wagen», rief der Junge.
«Gut. Nun gehen wir zu mir und sehen, ob Sie ihn können gewinnen.»
Wir folgten ihm in das Nebengebäude. Im ersten Stock schloss er eine Tür auf, und wir traten in ein geräumiges, komfortables Doppelzimmer. über dem Fußende des einen Bettes hing der Morgenrock einer Frau.
«Zuerst», sagte er, «wir wollen uns stärken mit eine kleine Martini.»
Die Getränke standen auf einem Tischchen in der Fensterecke. Auch ein Shaker, ein Behälter mit Eiswürfeln und Gläser waren vorhanden. Bevor er sich mit den Martinis befasste, drückte er auf den Klingelknopf, und nach kurzer Zeit erschien ein farbiges Stubenmädchen.
«Ah!» Er stellte die Ginflasche hin, zog seine Brieftasche heraus und entnahm ihr eine Pfundnote. «Sie werden etwas für mich tun, bittäh», sagte er und gab dem Mädchen das Geld. «Das ist für Sie. Wir wollen jetzt eine Spielchen spielen, und ich möchte, dass Sie mir bringen zwei – nein, drei Sachen. Ich brauche ein paar Nägel; ich brauche eine Hammer, und ich brauche eine Hackbeil, eine Schlachterbeil, die Sie aus Küche leihen können. Das lässt sich machen, ja?»
«Ein Hackbeil!» Das Mädchen starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und faltete unwillkürlich die Hände. «Sie meinen ein richtiges Hackbeil?»
«Gewiss, gewiss. Sie können diese Sachen doch holen für mich?»
«Ja, Sir, ich will’s versuchen. Natürlich versuche ich, sie zu bekommen.» Damit ging sie hinaus.
Der kleine Mann reichte die Drinks herum. Wir standen da und kosteten den Martini – der Junge mit dem langen, sommersprossigen Gesicht und der spitzen Nase, nackt bis auf eine ausgeblichene braune Badehose; die Engländerin, ein grobknochiges blondes Mädchen in einem hellblauen Badeanzug, die den Jungen über den Rand des Glases unverwandt ansah; der kleine Mann in makellosem Weiß, der seinen Martini trank und die blassen Augen auf das Mädchen in dem hellblauen Badeanzug gerichtet hielt. Ich wusste nicht, was ich aus alledem machen sollte. Der Mann schien es mit der Wette ernst zu meinen, und er schien auch die Sache mit dem Finger ernst zu meinen. Aber verflixt, was sollte werden, wenn der Junge verlor? Dann mussten wir ihn so schnell wie möglich in dem Cadillac, den er nicht gewonnen hatte, ins Krankenhaus bringen. Das wäre eine schöne Geschichte. Na, wäre das nicht wirklich eine schöne Geschichte? Jawohl, und noch dazu eine verdammt sinnlose Geschichte.
«Finden Sie diese Wette nicht ziemlich albern?», fragte ich.
«Ich finde die Wette prima», erklärte der Junge. Er hatte seinen Martini bereits ausgetrunken.
«Und ich finde sie ausgesprochen idiotisch», sagte das Mädchen. «Albern und idiotisch. Was geschieht, wenn du verlierst?»
«Das macht gar nichts. Weißt du, ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals im Leben den kleinen Finger meiner linken Hand gebraucht hätte. Hier – «er spreizte den Finger ab und hielt ihn fest – «hier ist er, ein völlig unnützes Ding. Warum sollte ich ihn also nicht verwetten? Ich finde, es ist eine prima Wette.»
Der kleine Mann lächelte, nahm den Shaker und füllte unsere Gläser nach.
«Bevor wir anfangen», sagte er, «will ich dem … dem Schiedsrichter geben Wagenschlüssel.» Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und überreichte ihn mir. «Die Papiere», fügte er hinzu, «die Wagenpapiere und Versicherung sind in Handschuhkasten von Cadillac.»
Das farbige Stubenmädchen kam wieder herein. In der einen Hand trug sie ein kleines Hackbeil, wie es die Fleischer gebrauchen, um Knochen zu zerkleinern, und in der anderen einen Hammer und eine Tüte mit Nägeln.
«Gut! Sie haben alles. Danke, danke. Jetzt Sie können gehen.» Er wartete, bis das Mädchen die Tür geschlossen hatte. Dann legte er das Werkzeug auf eines der Betten und sagte: «Nun wir machen uns fertig, ja?» Und zu dem Jungen: «Helfen Sie mir, bittäh, mit diese Tisch. Wir rücken ihn etwas nach vorn.»
Es war einer der üblichen Hotelschreibtische, ein einfacher rechteckiger Tisch mit einer Unterlage aus Löschpapier, einem Tintenfass, Federhaltern und Briefbogen. Die beiden trugen ihn in die Mitte des Zimmers und nahmen die Schreibsachen fort.