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Er wandte sich an die Horde. »Dann geht doch! Fahrt ruhig los! Lasst euch von sentimentalen Gefühlen wie Loyalität nicht aufhalten. Oder hat irgendjemand genügend Mumm, um hier zu bleiben und seine Arbeit zu Ende zu bringen?« Er schaute von einem zum anderen, aber alle wandten verlegen den Blick ab. Er kannte die Leute kaum mit Namen, auch die Gesichter waren ihm bis vor kurzem fremd gewesen; jedenfalls war keiner von ihnen mit dem Schiff von Yellowstone gekommen; sie kannten nichts anders als Resurgam mit seiner Hand voll menschlicher Siedlungen, die wie Edelsteine in der trostlosen Landschaft verstreut waren. Er musste ihnen vorkommen wie ein Fossil.

»Sir«, sagte einer — möglicherweise der Junge, der ihn zuerst vor dem Sturm gewarnt hatte. »Sir; es ist nicht so, dass wir keinen Respekt vor Ihnen hätten. Aber wir müssen auch an uns denken. Verstehen Sie das denn nicht? Was immer hier vergraben liegt, es lohnt sich nicht, dafür ein solches Risiko einzugehen.«

»Da irren Sie sich«, widersprach Sylveste. »Dafür lohnt sich ein noch viel höheres Risiko, als Sie sich überhaupt vorstellen können. Begreifen Sie denn nicht? Das Ereignis ist den Amarantin nicht widerfahren. Sie haben es ausgelöst. Sie haben es selbst herbeigeführt.«

Sluka schüttelte bedächtig den Kopf. »Sie sollen ihre Sonne hochgejagt haben? Glauben Sie das wirklich?«

»Mit einem Wort: Ja.«

»Dann sind Sie noch viel verrückter, als ich befürchtet hatte.« Sluka wandte ihm den Rücken zu und befahl ihrer Horde: »Lasst die Schlepper an. Wir fahren.«

»Was ist mit den Geräten?«

»Die können meinetwegen hier bleiben und verrotten.« Die Horde zerstreute sich, alle schlenderten auf die massigen Fahrzeuge zu.

»Wartet!«, rief Sylveste. »Hört mich an! Wenn ihr die Geräte zurücklasst, braucht ihr nur einen Schlepper — er bietet Platz genug für alle.«

Sluka wandte sich wieder ihm zu. »Und was ist mit Ihnen?«

»Ich bleibe hier — ich bringe die Arbeit allein zu Ende, oder will noch jemand bleiben?«

Sie schüttelte den Kopf, riss sich die Maske vom Gesicht und spuckte voller Abscheu auf den Boden. Doch als sie ging, holte sie den Rest ihrer Brigade ein und führte sie zu einem der Schlepper. Damit hatte er den zweiten — mit seiner Kabine — für sich allein. Slukas Horde bestieg das Fahrzeug. Einige von den Studenten trugen kleinere Geräte oder Kisten mit Fundstücken und Gebeinen aus der Grabungsstätte. Der Instinkt des Wissenschaftlers siegte selbst über den Zorn des Meuterers. Die Rampen wurden eingeklappt und die Luken geschlossen, dann hob sich der Schlepper auf seine Beine, drehte sich schlurfend um und entfernte sich. Nach kaum einer Minute war er den Blicken entschwunden, und das Tosen des Windes übertönte den Lärm seiner Motoren.

Sylveste drehte sich um und wollte sehen, wer noch geblieben war.

Pascale stand da — aber das war fast unvermeidlich; sie wäre ihm wohl bis ins Grab gefolgt, wenn dabei eine gute Geschichte herausgesprungen wäre. Eine Hand voll Studenten hatte sich Sluka widersetzt; beschämt stellte er fest, dass er sie nicht einmal mit Namen ansprechen konnte. Vielleicht ein halbes Dutzend war noch im Wheeler-Gitter. Wenn er Glück hatte.

Er nahm sich zusammen, wandte sich an zwei der Zurückgebliebenen und schnippte mit den Fingern. »Ihr könnt die Gravitationsscanner abbauen, wir brauchen sie nicht mehr.« Dann nahm er sich das nächste Paar vor. »Ihr beginnt an der Rückseite des Gitters und sammelt alle Werkzeuge ein, die Slukas Deserteure zurückgelassen haben, außerdem die Notizen und alle Kisten mit Fundstücken. Wenn ihr fertig seid, treffen wir uns am Fuß des großen Schachts.«

»Was haben Sie jetzt vor?«, fragte Pascale. Sie schaltete ihre Kamera ab und ließ sie ins Notepad zurückfahren.

»Ich dachte, das liegt auf der Hand«, sagte Sylveste. »Ich will mir ansehen, was auf diesem Obelisken steht.«

Chasm City, Yellowstone,

Epsilon Eridani-System

2524

Ana Khouri war beim Zähneputzen, als das Kontrollpult ihrer Suite anschlug. Sie kam mit Schaum vor dem Mund aus dem Bad.

»Morgen, Kiste.«

Der Hermetiker glitt in die Wohnung. Seine Reisesänfte, auch Palankin genannt, war mit kunstvollen Schnitzereien verziert und hatte vorne ein schwarzes Fensterchen. Bei passender Beleuchtung konnte man hinter dem zolldicken, grünen Glas K. C. Ngs totenbleiches Gesicht auf und ab hüpfen sehen.

»He, du siehst gut aus«, sagte er. Seine Stimme drang krächzend durch das Sprechgitter des Kastens. »Wo kriegt man das, was dich so munter macht?«

»Es nennt sich Kaffee, Kiste. Und ich trinke viel zu viel von dem verdammten Zeug.«

»War nur ein Witz«, sagte Ng. »Du siehst aus wie aufgewärmte Scheiße.«

Sie wischte sich mit der Hand den Schaum vom Mund. »Ich bin eben erst aufgewacht, du Arschloch.«

»Verzeihung.« Das klang so, als sei der Akt des Aufwachens eine physische Schwäche von vorgestern, die Ng längst abgelegt hatte. Ähnlich wie ein Blinddarm. Vielleicht stimmte das ja auch: Khouri hatte den Mann im Kasten noch nie genau gesehen. Die Hermetiker gehörten zu den sonderbarsten Gruppierungen, die in den Jahren nach der Seuche entstanden waren. Einerseits wollten sie nicht auf Implantate verzichten, auch wenn sie womöglich von der Seuche verdorben waren, andererseits waren sie überzeugt, dass selbst die vergleichsweise saubere Welt des Baldachins von Erregern nicht völlig frei war. Also verließen sie ihre Sänften nur innerhalb einer hermetisch abgedichteten Umgebung und konnten sich lediglich in einigen wenigen Orbitalkarussellen frei bewegen.

Wieder krächzte die Stimme: »Entschuldige, aber wenn ich mich nicht irre, haben wir heute Morgen einen Auftrag zu erledigen. Erinnerst du dich an diesen Taraschi, hinter dem wir seit zwei Monaten her sind? Kommt dir der Name irgendwie bekannt vor? Es wäre nicht ganz unwichtig, denn schließlich bist du diejenige, die ihn von seinem Elend erlösen soll.«

»Geh von meinem Nacken runter, Kiste.«

»Selbst wenn ich mich dort niederlassen wollte, liebe Khouri, gäbe das anatomische Probleme. Aber im Ernst, wir haben einen Ort und einen Zeitpunkt für den Abschuss festgelegt, einen geschätzten Todeszeitpunkt. Hast du alle deine Sinne beisammen?«

Khouri schenkte sich einen letzten Schluck Kaffee ein, den Rest ließ sie auf dem Herd stehen. Sie würde ihn trinken, wenn sie zurückkam. Kaffee war ihr einziges Laster, seit ihrer Dienstzeit als Soldat auf Sky’s Edge war sie ihm verfallen. Wichtig war, gerade so viel zu trinken, dass man hellwach war, aber sich nicht so aufzuputschen, dass man keine Waffe halten konnte, ohne zu zittern.

»Ich glaube, ich habe den Blutanteil in meinem Koffeinkreislauf auf ein erträgliches Niveau reduziert, wenn du das meinst.«

»Dann können wir uns über die letzten Dinge unterhalten, jedenfalls so weit es Taraschi betrifft.«

Ng feuerte eine Salve von Anweisungen für die Schlussphase des Abschusses ab. Das meiste stand bereits im Plan, manches konnte sie sich aus ihren Erfahrungen aus früheren Aufträgen auch selbst zusammenreimen. Taraschi war ihr fünftes Mordopfer in Folge, so dass sie allmählich auch die größeren Zusammenhänge sah. Es war ein Spiel mit eigenen Regeln, auch wenn das nicht auf den ersten Blick erkennbar sein mochte, und diese Regeln kehrten mit leichten Abwandlungen bei der Planung jedes neuen Abschusses wieder. Inzwischen waren sogar die Medien auf sie aufmerksam geworden, ihr Name wurde häufiger genannt, und Kiste war offenbar schon dabei, ihr für die nächsten Aufträge besonders pikante und renommierte Ziele zuzuschanzen. Sie war auf dem besten Weg, in die Gruppe der hundert fähigsten Meuchelmörder des Planeten aufgenommen zu werden; eine wahrhaft erlesene Gesellschaft.