Solostaran nickte. Das war eine kluge Idee. »Was ist mit Koralle und Malachit?« fragte er. »Wie passen die hinein?«
»Wird alles eingelassen«, erläuterte Flint. »Wenn ich die beiden Seiten verbunden habe, setze ich den Umriß der Bäume ein – grünen Malachit für die Blätter und Zweige und braunes Horn für den Stamm. Der Weg wird aus Horn und Stahl. Ein Mond, Lunitari, ist aus roter Koralle. Der andere, Solinari, soll aus Silber sein.«
Aber die Stimme zweifelte noch. »Das ist schön, doch sehr kompliziert. Bist du sicher, daß du das in zwei Wochen fertig hast?«
Flint nahm sich augenzwinkernd eine Handvoll getrockneter Feigen und kandierter Mandeln aus der Silberschale auf dem Tisch. Irgendwie war die Schale immer voll, wenn der Zwerg kam, doch Flint hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht. Er gratulierte sich nur für sein Glück, einen Freund zu haben, der die gleichen Süßigkeiten liebte wie er. »Das Schwierigste ist die Idee«, sagte der Zwerg. »Der Rest kommt dann leicht. Ist der Entwurf so gut?«
Flint wartete zuversichtlich, denn er wußte, daß die Stimme zufrieden sein würde, doch er wollte es einmal hören. »Er ist perfekt«, sagte Solostaran.
Ein Lächeln machte sich auf dem Gesicht des Zwergs breit. »Gut. Dann gehe ich gleich an die Arbeit.« Er griff nach seiner Skizze.
Solostarans Stimme hielt ihn zurück. »Meister Feuerschmied. Flint.«
Der Zwerg sah seinen Freund an.
»Was reden die Leute noch so über Lord Xenoths Tod?« fragte die Stimme ruhig.
Flints Hand schwebte über dem Pergament. Dann rollte er es langsam zusammen. »Nun, du weißt, daß ich mit vielen Höflingen jetzt kaum etwas zu tun habe.« Besonders seit er nach der Tylorjagd für Tanis Partei ergriffen hatte, hätte er hinzufügen können.
»Was sagen denn die einfachen Leute?« Flint band eine Schnur um die Pergamentrolle und seufzte. »Lord Xenoth war bei vielen unbeliebt, besonders bei denen, die er als… Unterklasse ansah«, sagte er vorsichtig. »Aber vielen Elfen gefiel seine Meinung darüber, daß Qualinesti vom Rest von Krynn getrennt bleiben sollte.« Er entschied sich, direkter zu werden. »Dieselben Elfen halten nichts davon, daß ich hier bin, und sie sind auch nicht besonders begeistert davon, daß Halbelfen in der Stadt leben dürfen.«
»Fanatiker gibt es in jedem Bereich«, murmelte die Stimme. »Die Frage ist nur, wie zahlreich sie sind.«
»Das weiß ich nicht, Sir.« Solostaran lächelte schwach. »Sag ›Stimme‹ zu mir«, mahnte er. »Weißt du noch, wie ich das am Tag deiner Ankunft in Qualinost zu dir sagte?«
»Ob ich das noch weiß?« grinste der Zwerg. »Wie könnte ich das vergessen? Wem erteilt schon die Stimme der Sonne persönlich Lektionen in Hofetikette?«
Solostaran schwieg. Irgendwann ließen sein Lächeln und Flints Grinsen nach. »Viele Höflinge sind nicht glücklich, Flint. Sie sagen… sie sagen, ich würde Tanthalas schützen, weil er mein Mündel ist. Sie sagen, ich sollte ihn verbannen.«
Tanis verbannen? »Das ist absurd«, sagte Flint. »Er hat Xenoth nicht getötet. Hat Miral nicht erklärt, daß der magische Knall den zweiten Pfeil eventuell abgelenkt hat?«
»Flint«, sagte Solostaran, »ich habe in den letzten Wochen mit einer ganzen Reihe Zauberkundiger gesprochen, und alle sind der gleichen Meinung. Die Umstände, die Miral beschreibt, sind extrem unwahrscheinlich. Seine Erklärung würde heißen, daß die mächtige Magie von einem schwachen Zauberer wie Miral ›abgeprallt‹ ist und irgendwie einen kleinen Pfeil von der Bahn abgelenkt hat, der dann in der Brust eines Elfen landete. Sie sagen, daß es nicht unmöglich, aber auch nicht wahrscheinlich ist. Vor allem hätte so einen Vorfall wahrscheinlich nur ein mächtiger Zauberer überlebt. In den letzten paar Wochen bin ich von einem Kundigen zum anderen gelaufen, in der Hoffnung, ich würde einen finden, der mir bestätigt: ›Ja, so war es wahrscheinlich.‹«
Solostaran schob seinen Lederstuhl von dem massiven Tisch zurück und drehte sich zu den großen Fenstern um. »Es geht nicht, Flint. Keiner, der etwas von Zauberei versteht, würde das behaupten.« Trotz der drückenden Hitze da draußen blieb das Gebäude aus Marmor und Quarz innen kühl. Flint fröstelte.
»Was willst du tun, Stimme?«
»Was kann ich tun?« fragte Solostaran zurück. Seine verärgerte Bewegung ließ seine Staatsrobe rascheln. »Ich stecke in einer Situation, in der der beste Augenzeuge – und zwar jemand, dem ich absolut vertraue – sagt, Tanis habe nicht schlecht gezielt. Obwohl das die einfachste Erklärung wäre. Die anderen Erklärungen, die mein Mündel entlasten könnten, werden von Elfen, die es wissen sollten, für schlechthin unmöglich gehalten. Damit bleibt mir nur eine Schlußfolgerung: Was Xenoth passiert ist, konnte nicht passieren. Aber offensichtlich ist es trotzdem geschehen.«
Die Stimme lief vor der Fensterwand auf und ab. »Mein Hofstaat meint, ich müßte ›etwas tun‹, aber das, was sie wollen, ist für mich moralisch unvertretbar. Ich kann Tanthalas nicht einfach verbannen, weil ein paar bornierten Mitgliedern des Hofes seine Anwesenheit nicht paßt und sie einen Weg gefunden haben, ihn loszuwerden. Aber dennoch…« Er kehrte zu seinem Stuhl zurück und ließ sich darauf fallen. »Irgendwie komme ich immer auf dieses ›Aber dennoch‹ zurück…«
Flint wollte etwas erwidern, wußte aber nicht, was. Er konnte nur versprechen, daß er darüber nachdenken und die Ohren offenhalten würde, wie die Elfen über diese Sache dachten.
Als Flint kurz darauf aus dem Sonnenturm kam, um dann langsam über die blau und weiß gepflasterten Straßen zu seinem Laden zu spazieren, wartete auf den Stufen des Turms eine vertraute Gestalt. Ein Grüppchen Kinder hatte sich bewundernd um Windsbraut versammelt, die ihre graue Schnauze hob und begeistert wieherte, als Flint näher kam. Ein zerfasertes Stück Seil hing von ihrem Geschirr herunter – sein jüngster Versuch, ihr die Flügel zu stutzen.
»Du Türknopf von einem Maultier!« meuterte der Zwerg. »Nur ein Kender könnte noch lästiger sein.« Er schnappte sich das Ende des durchgekauten Stricks und zerrte das verliebte Tier durch die Straßen.
20
Sommertraum
Das brütendheiße Wetter, das für Qualinost so ungewöhnlich war, brachte selbst ruhigen Schläfern Alpträume. Und Miral war da keine Ausnahme.
Wieder war er in der Höhle. Es tropfte von den Stalaktiten an der Decke, die von innen heraus leuchteten – die einzige Beleuchtung der Höhle. Aus dem feuchten Boden waren Stalagmiten gewachsen. Auf der schlüpfrigen Oberfläche konnte er kaum das Gleichgewicht halten.
Dann sah er nach unten und merkte, daß er die typischen dünnen Ledersandalen der Elfenkinder trug. Sein Spielanzug war von seinen vielen Stürzen dreckig und zerrissen.
Miral wußte nicht, wie lange er schon in der Höhle war. Es kam ihm vor, als wäre es tagelang, aber Zeit war für kleine Kinder etwas Fließendes. Er war nicht hungrig. Während er durch die Höhlen streifte und Tunnel um Tunnel nach der Gegenwart absuchte, die ihn rief, fand er zufällig immer dann etwas zu essen, wenn ihn der Hunger plagte. Wie ein Kind hinterfragte er diese Funde nicht. Er aß einfach, bis er genug hatte, und ging dann weiter.
Er hatte nicht richtig Angst. Wenn er müde war, fand er an der Wand ein warmes Lager mit Daunenkissen und zurückgeschlagener Flanelldecke. Und wenn er aufwachte, erwartete ihn aufgebackenes Quith-Pa mit Zimt und Zucker.
Klein-Miral hatte diese Gaben angenommen, ohne je zu fragen, wo sie herkamen. Wenn man ihn gefragt hätte, hätte er gesagt, daß sie bestimmt von seiner Mama geschickt worden waren, obwohl er die schon eine schiere Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte – seit sie ihn gerufen hatte: »Komm sofort hierher, kleiner Elf«, damals, am Eingang zur Höhle.