»Schmeichler«, meinte Ailea. »Mit deiner silbernen Zunge wirst du keine Probleme haben, eine Elfenfrau zu finden.«
Tanis wurde rot und beschäftigte sich noch eifriger mit der Falle. Vorsichtig entschärfte er sie und baute sie zur genaueren Untersuchung ab. »Wer diese Falle gebaut hat, wußte, was er tat, Flint. Es ist eine ausgeklügelte Konstruktion, die perfekt gezielt war. Ein Glück, daß der Mechanismus beim zweiten Dolch geklemmt hat. Deshalb hat er zuerst nur einen nach dir geworfen. Ein paar Augenblicke später ist der zweite dann durch die Spannung losgeschnellt.«
Tanis vermied es, die alte Hebamme anzusehen. »Und wenn ich eine Menschenfrau finde, Eld Ailea?« meinte er schließlich mit sorgsam beherrschter Stimme.
Ein Schatten glitt über Aileas katzenartiges Gesicht, als sie Flint wieder die Decke um sein bärtiges Kinn zog. »Das wird dir auf die Dauer hauptsächlich Kummer bereiten, Tanthalas«, sagte sie. »Menschen sind schwach, und selbst wenn du eine Liebste findest, ist es schrecklich zuzusehen, wie sie alt wird, während du jung bleibst. Nur eine starke Liebe kann das verkraften.« Sie hörte sich müde an.
Er blickte von der Falle hoch. Runde braune Augen trafen mandelförmige braune Augen, und ein Funke sprang zwischen den beiden Elfenmischlingen über.
»Versuch, daran zu denken, Tanthalas«, sagte Ailea traurig.
Tanis schluckte. »Ich werde es versuchen.«
»He!« meckerte Flint von seinem Feldbett. »Wird es nicht Zeit für mein Bier?«
Da vergaß Eld Ailea ihren Kummer und klopfte dem Zwerg lachend auf die heile Schulter. »Du tust mir gut, Meister Feuerschmied.« Mit frischer Energie huschte sie zum Tisch, wo Tanis die Tüte mit den Kräutern hingelegt hatte.
»In der Quelle steht ein Eimer Bier«, erklärte Flint hilfsbereit.
Nach kurzem Nachdenken beschloß Eld Ailea, daß Bier dem Zwerg beim Einschlafen helfen könnte – und ihn vor allem ruhig halten würde. Also holte sie den fast leeren Behälter aus der Quelle und goß den Rest in einen Krug. Als sie das Päckchen mit den Kräutern aufmachte, ging ein befremdlicher Ausdruck über ihre klaren Züge. Dann trug ihr Gesicht wieder die übliche Freundlichkeit zur Schau. »Flint, hat Miral dir aus diesen Blättern einen Tee gekocht?« fragte sie beiläufig.
»Ja«, sagte Flint. »Mit Wasser. Schmeckte scheußlich. Mit Bier ist es bestimmt viel besser.« Er grinste zutraulich über seinen weißen Verband hinweg. »Viel Bier.«
Eld Ailea stand einen Augenblick mit dem Päckchen da. Dann machte sie es wieder zu und steckte es in eine Tasche des grauen Mantels, den sie bei ihrer Ankunft über die Bank geworfen hatte. Aus einer anderen Tasche zog sie, ohne daß Tanis und Flint es merkten, ein kleines Säckchen, das mit einem Lederband zugebunden war, und maß einen Teelöffel von dem Pulver darin ab. Während Tanis dann den Rest des Ladens nach weiteren Fallen absuchte, mischte Ailea das Pulver in das Bier und gab es dem Zwerg zu trinken. Er kippte es mit einem Zug herunter.
Was es auch war, es bekam ihm nicht. Flint fiel in einen festen Schlaf, erwachte jedoch bald darauf, um sich in den leeren Biereimer zu übergeben, den Ailea am Bett stehengelassen hatte. Dann fiel der Kopf des Zwergs zurück, und er schlief weiter, wobei sich sein grauschwarzer Bart mit seinen tiefen Atemzügen hob und senkte.
Tanis stellte sich zu Ailea an Flints Bett. Die zarte Elfin sah mit einem leichten Lächeln auf den Zwerg hinunter, das ihre Erschöpfung kaum verbergen konnte.
»Wird er wieder gesund?« flüsterte Tanis.
»Aber sicher«, sagte sie. »Meine Kräuter bringen ihn wieder auf die Beine. Zumindest funktionieren sie bei stillenden Müttern…« Als sie Tanis’ überraschten Blick bemerkte, tätschelte sie seinen Arm. »Nur ein Scherz, Tanis. Flint wird wieder gesund.«
»Soll ich dich nach Hause bringen?« fragte Tanis. »Ich bleibe heute nacht bei ihm. Ich kann ihm Mirals Tee geben, wenn du ihn hier läßt.«
Da hob Eld Aileas den Kopf, und sie sah Tanis tief in die Augen. »Im Moment sollte er lieber überhaupt nicht allein gelassen werden«, sagte sie. »Ich bleibe hier. Wir können abwechselnd Wache halten.«
23
Die Rettung
Er war wieder in seinem Traum. Die rauhen Hände packten Miral, und gerade als die harten Kiefer des Tylors in die Spalte schnappten, rissen ihn starke Arme durch den Riß im Stein nach hinten.
»Da hat Er sich aber einen echten Schlamassel eingebrockt, kleiner Elf«, sagte eine tiefe Stimme über dem Kopf des Jungen.
Miral hob mit tränennassen Augen den Kopf und spähte durch das dämmrige Licht in der Höhle. Dieser Teil schien weniger gut beleuchtet zu sein als die Gänge, durch die er gekommen war. Er schluckte ein Schluchzen herunter und versuchte, seinen Retter zu betrachten.
Es war ein Mann, das sah der Kleine, aber was für einer! Starke Muskeln zuckten auf einer massigen Brust. Er hatte enorme Schultern, über die das weiße Haar von Kopf und Kinn floß. Als der Mann zu ihm nach unten guckte, blickte Miral in tiefblaue Augen, die vor Freundlichkeit glänzten.
»Will meinen, Er ist zu klein, um ohne Seine Stute herumzulaufen, Kleiner«, sagte der Mann.
Da nahm Miral die Hufschläge wahr, die über den feuchten Stein der Gänge trappelten. Der Mann kam an eine Gabelung und ritt nach rechts, ohne langsamer zu werden. Aber wie hatte er seinem Pferd das gezeigt? Der kleine Junge wunderte sich und sah nach unten.
Der Mann war ein Pferd! Oder das Pferd war ein Mann; da konnte sich Miral nicht entscheiden. Mit entzücktem Lächeln sah er wieder hoch.
»Du bist ein Zentaur!« schrie Miral.
»Natürlich«, erwiderte das Wesen, das den Kleinen in seinen starken Armen wiegte.
Der Zentaur mußte von den Hufen bis zu seinem aristokratischen Haupt bestimmt sieben Fuß hoch sein. Behende lief er über die nassen Steine, wobei sein langer Schweif hinter ihm flatterte. Um die Schultern seines Pferdeteils trug der Zentaur einen Lederbeutel. Miral streckte die Händchen aus, um den Beutel zu untersuchen, doch der Zentaur hob ihn höher, so daß er nicht dran kam.
»Er ist neugierig«, murmelte der Zentaur mit tiefer Stimme. »Bestimmt ist Er deshalb so tief in den Höhlen.«
»Jemand hat mich gerufen«, erklärte Miral, weil er unbedingt wollte, daß dieses Wesen ihn gern hatte. »Aus dem Gang.«
Die blassen blauen Augen des Zentauren wurden größer, und er ging etwas langsamer, um dann wieder anzuziehen. »Er hat die Stimme gehört? Dann hat Er wahrhaft Magie in der Seele, kleiner Elf. Nicht jeder hört den Graustein rufen.« Er lief um eine weitere Biegung, dann um noch eine. Bald hatte das Kind keine Ahnung mehr, wo sie hergekommen waren oder wo sie jetzt waren.
Der Tiermensch redete weiter beruhigend auf das Kind ein. »Er ist heiß, Kind. Seine Stute sollte Ihm etwas gegen das Fieber geben. Ich will Ihn direkt nach Hause bringen.«
Miral wurde vom gleichmäßigen Trab des freundlichen Zentauren allmählich müde. »Warum bist du hier?« fragte er schläfrig.
»Oh, der Graustein hat wirklich große Schätze«, sagte der Zentaur. »Und wahr ist, daß der gemeine Stein mir einst großes Unrecht zugefügt hat. Ich habe Rache gelobt. Und das, kleiner Elf, ist alles, was Er wissen muß.«
Der Zentaur legte an Tempo zu, und bald war das Kind in seinen Armen eingedöst. Hin und wieder erwachte es, einmal, als frische Luft durch seine Haare wehte und ihm klar wurde, daß sie außerhalb der Höhlen durch die mondlose Nacht liefen, und einmal, als der Zentaur fast lautlos durch die gepflasterten Straßen von Qualinost eilte.
Schließlich erreichten sie den Palast. Miral wurde wach und bekam mit, wie sie hinten herum durch das Gartentor kamen – wieso merkten die Wachen nichts, fragte er sich – und von dort aus in den Hof. Große Hände legte ihn auf weiches Moos und deckten ihn mit einem Tuch zu.
»Schlaf jetzt, kleiner Elf«, murmelte der Zentaur. »Am Morgen wird Er sich an nichts mehr erinnern.«
Nachdem er ein letztes Mal die Schulter des Kleinen getätschelt hatte, wendete der Zentaur auf dem Hof und war gleich darauf lautlos verschwunden.