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Noch ein Tod

In den nächsten paar Tagen blieben Tanis und Eld Ailea abwechselnd bei Flint im Laden. Der Zwerg sagte unzählige Male, sie sollten sich keine Sorgen um ihn machen.

»Ihr habt doch selbst viel zuviel zu tun, als euch um einen lahmen Zwerg zu kümmern!« sagte Flint verdrießlich, doch die Worte an seine Pfleger waren verschwendet. Einmal kam Solostaran zu Besuch und wirkte angesichts von Flints Gereiztheit beruhigt. Miral kam zweimal vorbei, um nach dem Zwerg zu sehen.

Am Mittag des zweiten Tages begann Flint, sichtlich wieder Kraft zu gewinnen, und aus der Zahl seiner Flüche beim Bewegen konnte man schließen, daß die Schmerzen nachließen. Doch Eld Ailea bestand weiterhin darauf, daß der Zwerg nicht allein sein dürfe, und blieb bei Flint, während Tanis zum Palast zurückkehrte, um frische Kleider zu holen.

Immerhin gestattete sie Flint, von seinem Lager aus an Porthios’ Kentommen-Medaille weiterzuarbeiten.

»Schließlich geht das Fest morgen los«, sagte sie unbekümmert, während sie ein Verbandstuch auf dem Tisch ausbreitete und es so faltete, wie es dem untersetzten Zwerg am besten passen würde.

»Morgen?« japste Flint und schoß aus dem Bett hoch. Dann faßte er sich stöhnend an die Schulter. »Ich dachte, ich hätte noch drei Tage Zeit!«

Ailea fing den Zwerg auf dem Weg zur Tür ab – auch wenn unklar war, was er damit erreichen wollte, wenn er ohne Hemd durch Qualinost rannte – und scheuchte ihn mit Schalk in ihren grünbraunen Augen ins Bett zurück. »Ganz ruhig«, sagte sie. »Du hast wirklich noch drei Tage Zeit.«

Sie erklärte ihm die Einzelheiten des Festes, während sie den alten Verband von der Brust des Zwergs abnahm.

»Das Wort ›Kentommen‹ oder ›Erwachsenwerden‹ bezieht sich nur auf den letzten Abschnitt des vierteiligen Festes«, erzählte sie, als sie vorsichtig das Leinen von der Wunde abzog. »Das ist der eindrucksvollste Teil, den die meisten Leute sehen wollen. Viele Elfen sagen aber zu dem ganzen, dreitägigen Fest ›Kentommen‹.«

Die Hebamme berichtete weiter, während sie mit sanften Händen die heilende Wunde wusch: »Der erste Tag ist das Kaltatha, das ›Grauwerden‹. Dieser Teil geht morgen früh los. Im Kaltatha wird der junge Elf – Mann oder Frau, er muß nur dem Adelsstand angehören – von seinen Eltern in den Hain begleitet«, womit sie den alten Wald in der Mitte der Elfenhauptstadt meinte.

Ailea spülte den Lappen in einer Schüssel mit sauberem Wasser aus. »Wenn der junge Mann, der das Kaltatha erlebt, von so hohem Rang ist wie Porthios, nutzen die einfachen Elfen meist die Gelegenheit, um dabei in ihren buntesten Festkleidern oder gar in Kostümen durch die Straßen zu ziehen. Sie tanzen und singen Lieder, die so alt sind wie das Fest selbst«, sagte sie. »Darum achtet der Palast darauf, daß bunte Fahnen genäht werden. Sie sollen den Weg zum Wald markieren.«

»Das würde ich gerne sehen«, meinte Flint.

Eld Ailea untersuchte sorgfältig die Stelle, wo der Dolch in Flints Schulter eingedrungen war. »Du dürftest morgen wieder soweit sein, daß du zu der Prozession gehen kannst, möchte ich meinen.«

Sie reinigte die Wunde ein letztes Mal und kippte die Schüssel dann vor der Hintertür des Ladens aus.

»Was passiert im Hain mit Porthios?« fragte der Zwerg.

»Die Stimme führt Porthios in die Mitte des Waldes, um ihm dann zeremoniell den Rücken zuzukehren«, erklärte die Hebamme. »Porthios bleibt drei Tage im Hain. Solange ißt er nichts und trinkt nur aus der Quelle in der Mitte des Hains. Keiner darf den Hain betreten und ihn stören, und er darf ihn auch nicht verlassen.«

»Klingt, als wenn man Wachen aufstellen müßte«, stellte der Zwerg mürrisch fest, während er sich bemühte, nicht zu zeigen, wie er die sorgenden Hände der Hebamme genoß.

»Oh, das wird auch gemacht«, versicherte ihm Eld Ailea. »Abwechselnd stehen Elfen aus dem Adel Wache, die ihre Zeremonienschwerter tragen – wie das, das Tyresian zum Reparieren gebracht hat.«

»Sind diese Wachen wirklich nötig?« fragte Flint.

»Wahrscheinlich nicht«, räumte die schlanke Elfin ein.

»Wer im Kaltatha – oder in jedem anderen Teil des Kentommen – versagt, wird für immer als Kind angesehen werden, egal wie alt er wird.«

Flint wirkte beeindruckt.

Ailea fuhr fort: »Im Hain wird sich Porthios reinigen. Er soll alle Schichten der Kindheit abwerfen. Am letzten Morgen badet er in der Quelle, und wenn er heraussteigt, sind Körper und Seele rein. An diesem dritten Morgen bringt man ihm eine graue Robe, die sein noch ungelebtes Potential symbolisiert, und führt ihn aus dem Wald«, endete sie. »Dabei gibt es kein Straßenfest. Statt dessen achten alle gewöhnlichen Elfen darauf, den jungen Kentommen-Elfen überhaupt nicht anzusehen, während man ihn in seiner grauen Robe durch die Stadt führt.«

»Warum nicht?« wollte der Zwerg wissen.

»Weil er weder Kind noch Erwachsener ist. Im Prinzip existiert er gar nicht. Ein Elf würde sich lächerlich machen, wenn er jemanden ansieht, den es gar nicht gibt.«

Flint schnaubte, was aber nicht verächtlich klang. »Das ist ja ganz etwas anderes als mein Vollbarttag. Da gab es hauptsächlich einen Haufen Geschenke und große Krüge voll Bier.« Er sah nachdenklich aus. »Wenn ich’s mir überlege, ziehe ich das drei Tagen ohne Essen und Bier vor.«

Leise lachend legte Ailea den sauberen Verband an. Dann brachte sie Flint alles, was er für seine Arbeit an der Medaille brauchte.

Tanis kam an diesem Abend früh vom Palast zurück und hatte alles für die Nacht dabei. Er bereitete ein einfaches Abendbrot für sich, die Hebamme und den Zwerg zu: ein Laib braunes Brot, ein halber Käse, die letzten süßen Äpfel vom vergangenen Herbst und einen kleinen Krug Bier. Schließlich ging die Sonne hinter den Espen unter. Die letzten Lichtstrahlen leuchteten durch das Grün der gefiederten Blätter, und Schatten krochen aus den dunklen Hainen, um sich über die Straßen der Elfenstadt zu schieben. Der Halbelf überzeugte Eld Ailea, daß sie Flint ruhig mal eine Weile verlassen konnte, und sie gab zu, daß sie noch etliche andere Dinge zu erledigen hätte.

»Aber laß niemanden ein, nur mich oder die Stimme«, warnte sie Tanis.

»Warum?«

Eld Ailea schien mit etwas herausrücken zu wollen, doch in letzter Sekunde beherrschte sie sich. »Flint sollte am besten eine Weile ruhen. Du weißt, wie Besuch ihn aufregt.« Dann versprach sie Tanis, am Morgen zurückzukommen, lief geschwind den Weg hinunter, schlüpfte dann zwischen zwei baumartigen Häusern durch und verschwand.

»Flint? Aufgeregt wegen Besuch?« fragte der Halbelf sich leise. Er schüttelte den Kopf.

Als Flint am anderen Morgen die Augen aufschlug, herrschte ein Höllenlärm. »Reorx in der Schmiede! Was ist das für ein Aufruhr?« wollte er wissen. Aus den weichen Schatten im Laden zu schließen, war die Sonne gerade erst aufgegangen.

Tanis drehte sich auf der Schlafstatt um, die er sich auf einem dicken Teppich neben Flints Tisch gebaut hatte, stand auf und öffnete die Fensterläden. Flint stützte sich auf einen Ellbogen und schaute in ein Farbenmeer. Dutzende von Elfen strömten an seinem Laden vorbei und sangen mit lauter Stimme ein wildes Lied in fremder Sprache. Er erkannte nur wenige Elfenwörter, und selbst die klangen seltsam.

»Die alte Sprache«, erklärte Tanis, »aus der Zeit von Kith-Kanan, auch wenn manche Lieder jünger sind. Sie preisen Elfensiege seit den Sippenmord-Kriegen und loben die verschiedenen Altersstufen, vom Baby bis zum Greis. Es geht auch um Leute, die in ihrem Leben große Dinge vollbracht haben.« Er hörte auf zu sprechen und lauschte mit abwesendem Gesichtsausdruck. Plötzlich blieb ein Elf in kräftig pinkfarbener Robe vor dem Laden stehen und begann ein neues Lied. »Aber Flint!« rief Tanis aus, wobei er den Zwerg nicht ansah. »Das ist ja über dich! Und auch in Altelfisch!«