»Sag bloß«, wunderte sich Flint. Er stand mühsam auf und schob vorsichtig seine Arme in die Ärmel eines blaßgrünen Hemds, das Eld Aileas Nadel erst kürzlich fertiggestellt hatte. Dann zog er das Hemd über dem Verband zurecht. »Und, Junge, was sagt er?«
»Er sagt«, Tanis konzentrierte sich, »er sagt, daß du ein Prinz unter den Zwergen bist.« Der Halbelf konzentrierte sich wieder, wobei er darauf achtete, Flint das Gesicht nicht zuzuwenden.
»Weiter, Junge«, drängte Flint. »Erzähl doch.« In seiner Eile steckte er versehentlich beide Füße in dasselbe Hosenbein und mußte die Hose noch einmal ausziehen.
Tanis warf ihm einen verstohlenen Blick zu. »Er sagt, du bist ein genialer Schmied – nein, ein ›wahrer Künstler‹ deines Fachs.«
Flint war beeindruckt und spähte aus dem Fenster. »Und dabei glaube ich nicht, daß ich den Herrn überhaupt kenne…« Er steckte einen Fuß in den Stiefel, ohne hinzusehen, und hüpfte auf dem anderen Bein herum. Der Elf draußen sang weiter. Er hatte den Kopf zurückgeworfen und die Hände vor der Robe gefaßt. Andere Elfen versammelten sich, um ihm zuzuhören.
»Er sagt auch«, erzählte Tanis, »daß du ein tapferer Kämpfer und ein treuer Kamerad ersten Grades bist.«
»Nun, da hat er jedenfalls recht«, sagte Flint mit dem anderen Stiefel in der Hand. »Was für ein hübsches Lied!«
Tanis kämpfte gegen sein Lächeln. »Und er sagt, du sollst dich fertig anziehen und Tanthalas, dem Halbelfen, zur Kaltatha-Prozession folgen, damit ihr beide nicht zu spät kommt.«
»Er…« Flint hielt inne. »Wie?« Er stand reglos da, hatte eine Augenbraue hochgezogen und einen Fuß über dem Stiefel hängen, bis Tanis seinen Spott nicht mehr verbergen konnte. »Du… du Türknauf!« Der Zwerg warf seinen Stiefel nach dem kichernden Halbelfen, der sich gerade noch rechtzeitig duckte.
Zehn Minuten später tauchten die beiden aus dem Laden in einen Mahlstrom von Farben, Gerüchen und Geräuschen. Nach kurzem Schmollen hatte sich der Zwerg entschlossen, wieder mit Tanis zu reden. »Wo gehen wir denn hin, Junge?« fragte er. Für einen Zwerg, der erst vor wenigen Tagen ein Messer in die Schulter bekommen hatte, sah er erstaunlich gesund aus.
Tanis zeigte zwischen zwei Rosenquarzhäusern hindurch, die im Licht des frühen Morgens pinkfarben leuchteten. »Der Zug wird durch die Straße da drüben gehen. Aber ich finde, wir sollten erst bei einem von den Straßenverkäufern Frühstück besorgen.«
Das hielt auch der Zwerg für eine gute Idee, darum einigten sich die beiden auf einen jungen Elfen, der an seinem Stand saß und geröstetes Brot mit Puderzucker verkaufte. Kauend standen sie dann vor einem Tisch, wo ein Elf phantasievolle Masken der Wesen von Krynn verkaufte: Minotauren, Waldwesen und Gossenzwerge, auch wenn letztere anscheinend nicht so gut liefen. Die Qualinesti hatten keine große Lust, sich als kleine, stinkende Persönchen zu verkleiden und die Nachbildung einer toten Ratte mit sich herumzuschleppen, die das I-Tüpfelchen des Gossenzwergkostüms war. Ein anderer Straßenhändler verkaufte Tanis und Flint kleine Würstchen aus Wildbret auf heißen Brötchen mit leckerer Kruste, und zum Schluß holten sie sich heißen Gewürztee – den der Zwerg fast so gut fand wie Bier. Tanis’ Geldbörse war zwar wesentlich leichter, als sie auf die Straße der Prozession kamen, aber ihre beiden Bäuche dafür erheblich voller.
»Also das war ein Frühstück, das einen Zwerg wirklich wieder auf die Beine bringt«, sagte Flint, der sich die fettigen Finger sorgfältig an seinen dunkelbraunen Hosen abwischte. »Ob sie mittags wohl noch da sind?« fragte er hoffnungsvoll.
»Höchstwahrscheinlich«, sagte Tanis und wollte gerade noch etwas sagen, als neue Aufregung im Norden seine Aufmerksamkeit erregte. Die Menge schien sich um das Zentrum des Lärms zusammenzuballen, und Tanis konnte die schwarzen und silbernen Federn der Prachtuniformen der Palastgarde erspähen. Er zeigte in die Richtung.
»Da kommen Porthios und die Stimme«, rief er Flint durch den wachsenden Lärm hin zu. Der nickte.
Die Begleiter von Porthios und Solostaran gingen an den vier Ecken eines breiten Quadrats, während die Stimme und ihr Ältester majestätisch im Zentrum des Gefolges einherschritten. Als die Gruppe wortlos vorbeikam, ohne nach rechts oder links zu sehen, teilte sich die Menge.
Flint sprang hoch und runter, wobei er mit der linken Hand seine rechte Schulter hielt. »Ich sehe nichts!« beklagte er sich. Die Menge um ihn und Tanis wurde noch während seines Murrens dichter, und bald wurden die zwei im Gedränge getrennt.
»Flint!« rief Tanis. »Ich treff dich hinterher im Laden!«
Aber der Zwerg war mit der Menge weggerissen worden.
Trotz all des Lärms beim Nahen der Elfengruppe wurde die Menge still, als Porthios und sein Gefolge vorbeizogen. »Das ist etwas, woran du dich dein Leben lang erinnern wirst!« hörte Tanis einen Elfenvater zu seiner kleinen Tochter sagen, die anscheinend mehr an dem Stück Röstbrot mit Zucker interessiert war, das sie gerade aß, als an den geschichtlichen Ereignissen, die sich vor ihr abspielten.
Tanis hielt den Atem angesichts der Haltung und Ausstrahlung der Stimme an. Das Gesicht war entschlossen, die Schultern straff, und die goldene Robe blitzte, ebenso der goldene Reif auf seiner Stirn. Porthios in seiner einfachen, dunkelgrünen Robe ging mit gleichem Stolz neben ihm her und paßte perfekt zu Solostaran.
Als die Stimme und Porthios vorbeikamen, stand der Halbelf stocksteif da. Stolz und Neid kämpften in ihm. Er fragte sich, wer seine Eltern vertreten würde, wenn es Zeit für sein eigenes Kentommen war, oder ob sein Menschenblut ihm dieses Recht nehmen würde.
Die Menge zog hinter der Stimme her, doch Tanis blieb, wo er war. Dann ging er in die entgegengesetzte Richtung davon.
Flint fluchte, hielt sich die Schulter und wünschte sich, dieser Türknauf von einem Halbelfen würde ihn finden, während er dauernd gegen Elfen stieß. Er war höchstens halb so groß wie sie und wurde wie ein Blatt im angeschwollenen Fluß mitgerissen.
Irgendwann erblickte er durch die Leiber hindurch jemanden, den er kannte. Er stand etwa dreißig Fuß entfernt in einem Eingang. Flint stemmte die Füße auf und schrie: »Miral!« Der Magier sah sich überrascht nach ihm um und winkte den Zwerg zu sich herüber, doch Flint zuckte nur hilflos mit den Schultern. Wäre er dazu fähig gewesen, sich durch eine solche Masse zu kämpfen, wäre es ihm auch gelungen, bei Tanis zu bleiben.
Dem großen Magier gelang es besser, das Elfenmeer zu durchteilen, und bald erreichte der verhüllte Miral den Zwerg und zog ihn in einen anderen Hauseingang. »Es ist leichter, sich an etwas Festes zu halten, und die Menge um sich herum fließen zu lassen«, sagte der Zauberer mit trockenem Lächeln. Sie sahen schweigend zu, wie die Elfen als singende Flut in Rot, Grün, Gelb und Blau vorbeiströmten.
»Was passiert jetzt?« fragte Flint.
Der Magier war überrascht. »Mit wem?« fragte er.
»Mit Porthios.« Flint zeigte auf die davonziehende Prozession, von der nur noch die Federn der Wachen aus der Masse herausragten. »Wenn er seine Wache im Hain beendet hat.«
»Besuchst du Qualinesti seit zwei Jahrzehnten und weißt noch nicht, wie das Kentommen abläuft?« fragte Miral ungläubig.
Der Zwerg war beleidigt. »Ich habe kleine Feste gesehen, aber nichts, was wirklich beachtenswert war.«
»Aha.« Der Magier nickte weise, trat aus dem Eingang und schlug den Weg zu Flints Laden ein. »Also, nach dem Kaltatha, das ist die dreitägige Wache, die heute beginnt, führen drei Adlige Porthios aus dem Hain. Ihre Identität wird hinter schwarzen Roben, Handschuhen und Masken verborgen sein. Die Stimme wird nicht dabei sein, weil sie sich am Vortag zum Meditieren und Beten zurückzieht.
Porthios trägt dann die graue Robe, ebenso wie Gilthanas, der dann von seiner Nachtwache am Kentommenai-Kath zurückkehrt, wo er auf den Fluß der Hoffnung hinausblickt.« Miral brach seinen Bericht ab. »Bist du da schon gewesen?«