Flint kam kurz aus dem Konzept. Dann fuhr er fort: »Was ist mit der Botschaft? Der Tod von Eld Ailea hat vermutlich etwas mit Lord Xenoths Tod zu tun. Die Hebamme hat diese Verbindung herausbekommen und wurde deshalb umgebracht. Warum sollte sie denn die Botschaft an mich und Tanthalas schicken, wenn sie Beweise hätte, die Tanis mit Xenoths Tod in Verbindung bringen?«
Die Stimme wollte den Zwerg anscheinend fortfahren lassen, obwohl das allen Regeln bei Hof widersprach. »Aber die Nachricht ist verschwunden, Meister Feuerschmied«, sagte Solostaran. »Keiner außer Euch hat sie gesehen. Miral, der Zauberer, hat nur gehört, wie Ihr sie vorgelesen habt, das Mädchen Fiona kann noch nicht lesen, und Tanis, der sie angeblich auch gesehen hat, ist der Hauptverdächtige. Außerdem hat man niemanden außer Tanis beim Betreten oder Verlassen des Hauses beobachtet, bevor Ihr und Miral gekommen seid. Und schließlich, warum sollte Aileas Mörder sich mit einer Nachricht auf dem Kaminsims entschuldigen, wenn der Mörder ihr nicht nahegestanden hat?«
»Ich…« Flint brach ab. »Ich gebe zu, daß ich es nicht weiß, Stimme. Ich weiß nur, daß es nicht so gewesen sein kann, wie es aussieht.«
Die Stimme runzelte die Stirn. Das Gesicht des Herrschers der Elfen zeigte Verwirrung – vielleicht ein Hoffnungsschimmer.
»Bei allem Respekt, Stimme, aber das ist absurd«, widersprach Tyresian mit leiser Stimme, aber blitzenden Augen. »Seit wann darf ein einfacher Schmied und noch dazu ein Zwerg, die Weisheit des Gerichts in Frage stellen?«
Die Stimme hob die Hand. »Meister Feuerschmied hat mir gegenüber immer offen reden dürfen«, sagte Solostaran ruhig. In diesem Augenblick bemerkte Flint, wie müde und wie alt der Elf aussah. »Bitte«, sagte die Stimme und wies Flint an fortzufahren.
»Ich will nur sagen, Stimme«, erklärte der Zwerg kurz und bündig, »daß Ihr vielleicht Tanis seine Version der Geschichte erzählen lassen solltet.«
»Wir haben seine Geschichte gehört«, protestierte Tyresian, »und sie ist lächerlich. ›Ich kam an, und sie war tot.‹ Warum war dann ihr frisches Blut an seinen Händen? Warum hat dann kein Nachbar jemand anderen als Tanis hineingehen oder herauskommen sehen? Es gab nur einen Zeitraum von fünf Minuten, in dem die Hebamme gestorben sein kann, und in dieser Zeit war Tanis der einzige, der das Haus betreten hat. Erwartet er etwa, daß wir glauben – «
»Halt!« befahl die Stimme eisern. Tyresians Wortschwall brach abrupt ab. »Ich fürchte, Flint, es ist etwas Wahres an dem, was Lord Tyresian sagt«, sagte Solostaran bedauernd, während er sich wieder an den Zwerg wandte. »Wir haben Tanis’ Geschichte gehört, und sie enthält wenig, was ihn entlasten könnte.«
Aber Flint war noch nicht fertig. »So sicher, wie mein Bart lang ist, gehen hier merkwürdige Dinge vor, Stimme, und ich glaube kaum, daß Ihr das bestreiten könnt. Möglich, daß Tanis, wenn man ihm Zeit läßt, etwas herausbekommt und seine Unschuld beweisen kann. Es sieht so aus, als hätte sich jeder hier seine feste Meinung gebildet. Aber ich finde, er hat eine Chance verdient.«
Flint konnte so unbeweglich sein wie ein Berg, wenn es darauf ankam. Die Stimme betrachtete den Zwerg eine Weile und lächelte dann leise. »Wie gewöhnlich, Meister Feuerschmied, erblaßt die Weisheit des Gerichts vor Eurem unbestechlich logischen Denken. Ich werde Euren Rat beherzigen.«
Tyresian stand die Wut ins Gesicht geschrieben, doch die Stimme ignorierte ihn.
»Tanthalas«, sagte Solostaran wieder mit ganzer Autorität, auch wenn dieses Mal die Kälte fehlte. »Du hast drei Tage Zeit, um zu beweisen, daß nicht du diese dunkle Tat begangen hast. Wenn du den Hof nicht bis Sonnenuntergang des dritten Tages von deiner Unschuld überzeugt hast, wird die von mir verhängte Strafe in Kraft treten, und du wirst für immer aus dem Reich der Qualinesti verbannt.«
Tyresian protestierte: »Der Halbelf ist gefährlich! Die Stadt ist voller Besucher wegen des Kentommen. In drei Tagen findet die Zeremonie statt. Was ist, wenn ein weiterer Mord geschieht? Wie viele Elfen müssen sterben, bevor die Stimme den Tatsachen ins Auge sieht?«
Solostaran sah sich ernst um. Gilthanas, Litanas und Ulthen schienen sich ebenfalls unbehaglich zu fühlen. »Hat noch jemand etwas zu sagen?« fragte die Stimme.
Plötzlich schien sich Litanas daran zu erinnern, daß er jetzt Berater der Stimme war. Er trat vor. »Ich stimme zu, daß Tanis Gelegenheit haben sollte, seine Unschuld zu beweisen, aber es scheint gewisse Bedenken unter den Adligen zu geben, ob es ratsam ist, einen des Mordes Angeklagten weiter in den Straßen von Qualinost frei herumlaufen zu lassen.«
Tyresian knurrte: »Gewisse Bedenken? Das ist eine Untertreibung.«
»Mein Berater hat das Wort, Lord Tyresian«, sagte die Stimme. »Fahrt fort, Lord Litanas.«
Litanas richtete sich auf. Seine braunen Augen sahen den Elfenlord direkt an. »Mein Vorschlag wäre: Sperrt Tanthalas für die drei Tage mit einer Wache vor der Tür in seinem Zimmer ein. Erlaubt seinem Freund, Flint Feuerschmied, Beweise für seine Unschuld zu sammeln. Am Ende der drei Tage – unmittelbar nach dem Kentommen – trefft Ihr Euch mit Flint und uns anderen wieder, um die Lage zu besprechen.«
Die Stimme nickte ernst, doch die grünen Augen wirkten erfreut. »Gibt es weitere Vorschläge?« Alles schwieg. »Dann soll es so sein, wie mein Berater, Lord Litanas, vorgeschlagen hat. So habe ich es in Weisheit beschlossen.«
Mit diesen alten Worten wurde der Rat vertagt. Nach einem letzten Blick auf Tanis und Flint verließ die Stimme mit wehender Robe den Saal.
Als Flint auf Tanis zukam, sah er, wie Miral mit dem Halbelfen redete. »Ich hoffe, daß du die Zeit nutzen kannst, die der Zwerg für dich herausgeschlagen hat, Tanis, aber ich befürchte, das wird eine schwierige Sache«, sagte der Zauberer traurig.
»Du glaubst also, daß ich es war?« fragte Tanis ihn.
»Nein. Ich glaube, daß du es nicht warst, Tanis. Aber die Beweise gegen dich sind stark.« Miral schüttelte den Kopf. »Laß es mich wissen, wenn du Hilfe brauchst, Tanis. Ich werde dir so gut ich kann beistehen.« Der Zauberer drehte sich um und verließ geschwind den Saal.
Gilthanas und eine andere Wache traten vor, um Tanis zu seinem Zimmer zu bringen.
Flint sah die beiden finster an, war jedoch überrascht, im Gesicht des jungen Elfenlords nur Traurigkeit zu entdecken.
»Die alte Hebamme hatte diesen Tod nicht verdient«, sagte Gilthanas leise.
»Ich weiß«, sagte Tanis. »Ich habe sie nicht getötet.«
»Sie hat auch mich und Laurana und Porthios entbunden«, meinte Gilthanas, um dann tief durchzuatmen. »Tanis, die Vernunft sagt mir, daß nur du Eld Ailea getötet haben kannst. Aber mein Herz hofft, daß du entlastet wirst, damit meinem Vater nicht das Herz bricht. Ich wäre froh, wenn du deine Unschuld beweisen kannst«, fügte er schlicht hinzu.
Gilthanas strich sich das goldene Haar aus den grünen Augen. In seiner schwarzen Uniform sah er klein aus. »Aber erwarte keine Unterstützung von mir. Ich kann dir nicht helfen. Und solltest du weitere Untaten planen…« Er berührte das silberne Emblem von Baum und Sonne auf seinem schwarzen Wams, das Wappen der Stadt und ihrer Wachen. »Dann werde ich gezwungen sein, dich aufzuhalten.«
Flint schnaubte. Das half ja wirklich viel. Tanis jedoch schien es zu verstehen, denn er nickte. Dann trat die andere Wache auf seine andere Seite. Tanis nahm sein Schwert ab und händigte es Flint aus.
Gilthanas und die andere Wache führten den Freund des Zwergs davon.
25
Auf der Suche nach Indizien
Zwei Tage später wanderte Flint am frühen Nachmittag durch Qualinost. Er war der Verzweiflung nahe, weil er keine Beweise fand. Er fragte sich, wie um alles in der Welt er etwas über Eld Aileas Tod in Erfahrung bringen sollte, wenn er keine Ahnung hatte, warum man sie umgebracht hatte. Er hatte mit jedem gesprochen, der etwas hätte wissen können, von Aileas Nachbarn bis hin zu Frauen, denen sie in letzter Zeit bei der Entbindung beigestanden hatte. Er hatte am Turm haltgemacht, um Porthios’ Medaille abzuliefern, und hatte ein paar Elfen befragt, deren Meinung er noch nicht kannte. »In der Nachricht stand, Ailea hätte gewußt, was mit Xenoth war«, überlegte er und setzte sich am Rand des Großen Markts hin.