Der Markt, der schon sonst ein Gewirr von Farben und Geräuschen darstellte, war heute noch bunter. Das Fest für Porthios war der erste Anlaß, bei dem er so bunt gekleidete Elfen sah. Gewöhnlich trugen sie gedeckte erdfarbene Töne; heute nachmittag schwirrten die verschiedensten Rottöne an seinen Augen vorbei, und mehr als ein Elf trug eine Maske, die das Gesicht eines Tiers oder eines Vogels zeigte. Zur allgemeinen Erheiterung tanzte ein Elf sogar als Baum verkleidet herum – er steckte ganz in dunkelbraunem Leder, hatte einen braunen Sack mit zwei Löchern für die Augen über dem Kopf und hielt Espenzweige in den ausgestreckten Armen. Eine andere Elfin hatte weiße Federn an Kopf und Armen befestigt und trug eine weiße Maske mit einem Eulengesicht. Eine dritte Elfin schoß in einem dunkelgrünen Drachenkostüm über Kith-Kanans Mosaik – was ihr viel Spott von ihren Begleitern einbrachte, weil man seit Tausenden von Jahren keine Drachen mehr auf Krynn gesehen hatte, falls sie überhaupt je existiert hatten.
Porthios’ Übergang von der Kindheit in die Erwachsenenwelt schien den Qualinesti einen Anlaß zu liefern, sich wie Kinder zu benehmen, und sie gaben sich alle Mühe.
Ausnahmsweise hatten die Qualinesti einen Teil ihrer Reserviertheit abgelegt, allerdings würden sie wohl nie an das Spektakel bei einem zwergischen Vollbarttag herankommen.
Wie Ailea dieses Fest gefallen hätte, dachte Flint traurig. Dann zwang er sich, seine Gedanken wieder auf jene eine Frage zu richten: »Wem hätte Ailea von ihrer Entdeckung erzählen können?« murmelte er, während er über seine Nachforschungen am Morgen nachdachte. »Die Nachbarin sagt, sie wäre den ganzen Morgen zu Hause gewesen, und die Frau hat niemanden außer mir und Tanis eintreten sehen. Aber Ailea muß mit jemandem gesprochen haben«, stellte er fest.
Der Geruch von Würstchen und heißem Quith-Pa stieg ihm in die Nase, und er stellte sich hinter vier Elfen an, die an einem Stand warteten. Der Zwerg murmelte weiter vor sich hin, was die Elfen nicht zu befremden schien.
Wenn sie nun etwas über Tyresian erfahren hatte – etwas, das Xenoth auch gewußt hatte? Der betagte Elfenlord war seit Hunderten von Jahren am Hof gewesen und hatte gewiß Zugang zu geheimem Wissen gehabt. »Tyresian hätte denselben Grund gehabt, Ailea zu töten, den er bei Lord Xenoth hatte«, murmelte er. Er wünschte, er könnte mit Tanis reden, doch der Halbelf war im Palast eingesperrt.
Er war an der Reihe, zahlte und ging fort, wobei er ein saftiges Stück von dem Wurstbrot abbiß. Aber der Appetit verging ihm, als ihm klar wurde, daß er jetzt zu Eld Aileas Haus zurückkehren und nach Spuren suchen mußte.
Minuten später stand er vor dem Haus der Hebamme. Die singenden, kostümierten Elfen, die um ihn herumhüpften, nahm er nicht mehr wahr. Eine Palastwache in schwarzer Uniform, die aussah, als wäre sie trotz ihrer ernsten Pflicht von der Karnevalsatmosphäre angesteckt, lehnte am Rahmen der Haustür. Der Elf blickte Flint scharf an, als der Zwerg den kleinen Weg verließ und zu dem Beet mit weißen Petunien ging, die die Hebamme vor das verschlossene Fenster zur Straße gepflanzt hatte. Keine der Pflanzen war zertreten, und als Flint die weißen Blüten beiseite bog, sah er auch keine Fußabdrücke in der schweren Erde. Das andere Fenster auf der Vorderseite gehörte zum ersten Stock. Um es zu erreichen, hätte ein Elf auf den Schultern eines anderen stehen müssen.
Plötzlich fiel Flint auf, wie absurd seine Suche war. »Als wenn jemand am hellichten Tag durchs Fenster steigen würde, wenn es direkt daneben eine offene Tür gibt«, sagte er gedämpft. »Flint, du Türknauf!«
Er stand auf und wischte zerdrückte Grashalme von seinen Knien. Die Wache, ein junger Mann mit scharfen Gesichtszügen, der nur wenig älter sein konnte als Gilthanas, beobachtete ihn immer noch. Flint fiel auf, daß die Wache ihn nicht angesprochen hatte. »War seit dem Mord irgend jemand in diesem Haus?« erkundigte sich der Zwerg.
Die Wache schüttelte den Kopf. »Die Stimme hat gesagt, daß niemand außer Euch es betreten oder sich nähern dürfte, Meister Feuerschmied.«
Flint dachte voller Wärme an den Elfenlord. »Sind noch andere Wachen da?« fragte er von den Petunien aus.
»An der Tür hinten ist noch eine. Drinnen ist niemand.«
Der Zwerg ging ums Haus herum und sah um die Ecke. Die Wache saß auf der Stufe zur Tür und aß eine Tomate – zweifellos aus Aileas Garten. Als er Flint sah, sprang der Elf auf. Der Zwerg sagte jedoch nichts. Schließlich konnte der Mann die Tür im Sitzen genausogut wie im Stehen bewachen, fand Flint, und Ailea hätte es sicher gefreut, wenn jemand die Früchte aus ihrem Garten aß, die sie selbst nicht mehr ernten konnte.
Flint ging ein paar Schritte zurück. Das Haus hatte nur die Breite eines Zimmers. Unten gab es nur den Empfangsraum und dahinter die Küche, die keine Fenster hatte, nur die kleine Tür zu Aileas Kräutergarten im Hof. Zwischen den beiden unteren Räumen lag der Kamin, den man sowohl von der Küche als auch vom Empfangszimmer aus benutzen konnte. Flint nahm an, daß oben Aileas Privatzimmer sein mußte, auch wenn er es nie gesehen hatte.
Die Wache sagte nichts, als der Zwerg um die Hauswand bog und zur Hoftür ging. Auch die war bestimmt unverschlossen gewesen, wie er Ailea kannte. Der Zwerg holte tief Luft und trat durch die Tür in die Küche.
Aileas Gegenwart war in der Küche immer noch deutlich zu spüren. Tonkrüge mit eingemachtem Gemüse und Trockenfrüchten standen in einem Schränkchen an der einen Seite des niedrigen Raums. Flint erinnerte sich, wie Tanis sich hatte ducken müssen, wenn er die Küche betrat, damit er nicht gegen die Bünde aus Schnittlauch, Salbei und Basilikum stieß, die von den niedrigen Deckenbalken hingen. Der Duft erinnerte den Zwerg sofort an Ailea, und er wurde wütend.
Entschlossen ging er durch die Küche, die ihn an die fröhlichen Mahlzeiten mit Tanis und der Hebamme erinnerte, und betrat das Empfangszimmer.
Das Zimmer war nicht gereinigt worden, nachdem man den Körper der Hebamme fortgebracht hatte. Der Blutfleck zog sich immer noch von der Tür zum Kamin. Überall lagen die Bilder von Babys herum. Der kleine Tisch jedoch war wieder aufgestellt worden, und darauf stand das Bild, das Ailea in der Hand hatte, als Tanis sie fand.
Flint trat über den bräunlichen Fleck und griff nach dem Porträt. Es zeigte zwei Kinder, ein Kleinkind und ein älteres, beide blond mit grünen Augen. Die Augen des älteren Kindes waren jedoch ernst und tiefliegend, während die des Kleinen offen und unternehmungslustig dreinschauten.
»Ich frage mich, wer sie sind«, murmelte Flint. Ailea hatte ihre Porträts nie beschriftet, weil sie auswendig wußte, wen sie zeigten, auch wenn Hunderte in dem Zimmer herumstanden. Er stellte das Bild wieder auf den Tisch.
Flint vermutete, daß er eine Spur auch dann nicht wahrnehmen würde, wenn sie ihm entgegenspringen und ihn mit dem Schwert angreifen würde. Sein Blick ging von Bild zu Bild durch den ganzen Raum. Er erinnerte sich, wie es hier ausgesehen hatte, als Ailea noch lebte, und suchte nach etwas, das nicht zu dem behaglichen Zimmer paßte. Schließlich schüttelte er müde den Kopf und ging die Steinstufen zum Obergeschoß hoch.
Wie bei den meisten Leuten war Aileas Schlafzimmer persönlicher eingerichtet als das Besucherzimmer. Es roch nach Lavendel, denn auf dem Frisiertisch der Hebamme, neben der Schildpattbürste und den silberverzierten Kämmen, die ihren Zopf bei besonderen Gelegenheiten gehalten hatten, lagen duftende Lavendelbüschel, die von grauen Bändchen zusammengehalten wurden. Schwarze Eisenhaken, ein Geschenk von Flint, hielten die angekrausten Röcke in Lila, Rot, Grün und Hellgelb, von denen sie zahlreiche besessen hatte. Auf einem Tisch daneben lag ein neues, beigefarbenes Hemd, das dem grünen und dem blauen ähnelte, die sie bereits für Flint genäht hatte. Neben dem neuen Kleidungsstück lagen ein Strang braunes Stickgarn und eine Nadel.