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Tanis schüttelte den Kopf und erklärte, was zwischen seiner Flucht aus dem Palast und seinem Sturz von der Klippe geschehen war. Er lenkte Gilthanas von seinem Weg zum Pfad ab, indem er erst zu der Felsspalte zurückkehrte, in der Flint verschwunden war. Tanis rief nach dem Zwerg und warf Steinchen in die enge Öffnung, um festzustellen, wie tief sein Freund gefallen sein mochte. Es kam keine Antwort, und Tanis war zu groß für das Loch.

»Wir müssen uns beeilen«, drängte Gilthanas.

Tanis zögerte, weil er nicht sicher war, ob er Flint verlassen durfte. Gilthanas griff schnell zu und zog Tanis das Schwert aus der Scheide. Der Halbelf kam gar nicht auf die Idee, seinen Cousin daran zu hindern, dem er doch vertraute – doch dann sah sich Tanis plötzlich seiner eigenen Klinge gegenüber. Der Anhänger seiner Mutter glänzte hell im Griff. Die Waldvögel zwitscherten weiter um die beiden herum, als wäre nichts geschehen.

»Was tust du?« flüsterte Tanis.

»Du bist mein Gefangener«, sagte Gilthanas förmlich. »Du hast eine Anordnung der Stimme mißachtet. Als Mitglied der Palastgarde ist es meine heilige Pflicht, dich festzunehmen und zur Verurteilung nach Qualinost zu bringen.«

Tanis blickte wieder auf das Schwert, das Flint für ihn gemacht hatte, dann zu Gilthanas. Die ernste Miene seines Cousins erstickte jeden Protest im Keim. Tanis schätzte seine Lage ab. Er war größer und stärker als sein zierlicher Cousin, und er hatte ein Messer. Tanis wußte, daß er Gilthanas überwältigen konnte, selbst wenn der das Schwert des Halbelfen hatte.

Aber was würde er dann tun? Gilthanas fesseln und unbewacht hier lassen? So ein Vorhaben wäre vielleicht näher an Qualinost akzeptabel, wo mehr Leute waren, aber das Gebiet um den Kentommenai-Kath war einsam. Widerstrebend und mit dem stillen Gelöbnis, später zurückzukommen, ließ sich Tanis von Gilthanas von der Spalte wegführen.

Das Loch war ein Luftschacht, entschied Flint. Er konnte etwa fünfundzwanzig Fuß direkt nach oben sehen. Möglichst ohne seine verletzte Schulter zu belasten, schob der Zwerg seinen dicken Körper durch die Öffnung und in den Schacht, der etwa so breit war wie ein Faß Bier – ein Gedanke, der Durst machte und den Flint sogleich verdrängte. Er stand auf einer Schicht aus Erde und alten Pinienzapfen. An der Wand lag ein vertrocknetes Skelett von einem etwa waschbärgroßen Tier. Flint versuchte, nicht an das Tier zu denken, das hier unten verendet war, wenn auch schon vor Jahren.

Oben sah der Zwerg Licht, und darüber wiegten sich Fichtenzweige. Er suchte nach Halt für die Hände, aber vergeblich. Der Schacht wäre breit genug gewesen, um hochzukommen, indem er sich auf der einen Seite mit den Schultern, auf der anderen mit den Füßen abstützte, aber seine Schulter war zu schwach. Bei jedem Versuch landete er nur mit einem »Autsch!« wieder auf dem schwammigen Boden des Schachts.

»Reorx!« sagte er leise. Dann lauter: »Bei Reorx’ Hammer!« Unglücklich setzte er sich auf den Boden. Seine Finger fuhren die Linien nach, die die Steinmetze vor Jahrtausenden in die Wand geschlagen hatten – T-förmige Meißelabdrücke. Die Erbauer des Schachts waren inzwischen längst tot. Wahrscheinlich arbeiteten sie jetzt bei Reorx. Flint untersuchte einen der T-Abdrücke. Genauso ein Zeichen hatte er auf Lord Tyresians Unterarm gesehen. Unvermittelt tauchte vor Flints Augen wieder das Bild der toten Eld Ailea vor ihrem Kamin auf. Das entblößte Bein, der lila Rock, der Ärmel, der bis zum Ellbogen hochgezogen war. »T«, Narbe, Erbe, erinnerte er sich…

In plötzlicher Erkenntnis riß Flint seinen hängenden Kopf so rasch hoch, daß er hinten gegen die Wand schlug.

»Die Narbe, der Tee, der Erbe«, flüsterte er. Er hatte es einfach mißverstanden. Jetzt erinnerte er sich, wie er nach dem Mordanschlag eine Tasse Tee von Miral bekommen hatte, und wie ihm Ailea später einen ihrer eigenen Tränke verabreicht hatte, von dem ihm schlecht geworden war. Dann hatte der Magier Flint ein paar Tage später gefragt, ob sein Heiltee gewirkt hatte – Minuten bevor sie Aileas Nachricht bekommen hatte, daß sie etwas über Lord Xenoths Tod herausgefunden hatte.

Der Zauberer hatte ihm vergifteten Tee gegeben! Und Ailea hatte das gemerkt. Aber Ailea hatte gründlich über die ganze Sache nachgedacht, bevor sie ihre Anklage erheben wollte. Dann, als sie ganz sicher war, nachdem sie das letzte Puzzleteil eingefügt hatte, hatte sie Flint eine Nachricht geschickt – und der hatte sie sofort an den Mörder weitergegeben!

»Reorx, steh mir bei!« betete der Zwerg, als er den Dreck auf dem Boden des Schachts durchwühlte und Pinienzapfen beiseite warf, während er nach irgend etwas suchte, das ihm weiterhelfen konnte.

Wenn er recht hatte, würden weder Porthios noch die Stimme, noch Gilthanas, noch Laurana den Tag überleben.

Mitten in dieser Suche jedoch – als hätte Reorx seinen Ruf vernommen und den wahrscheinlichsten aller Retter geschickt – hörte Flint ein Maultier schreien. Plötzlich wurde das Licht schwächer, und Flint sah nach oben. Etwas stand über der Schachtöffnung. Anstelle von unscharfen Pinienzweigen sah der Zwerg jetzt eine groteske Schnauze, zwei Ohren, die fast so lang waren wie sein Bein, und ein Paar brauner Augen, die vor Leidenschaft leuchteten.

»Windsbraut!« rief er. »Du wunderbares Tier!« Das Tier klimperte mit den Lidern. »Ich bin immer noch in Qualinesti!«

Er hätte nie gedacht, daß er den Tag erleben würde, an dem ihm der Anblick seines Maultiers die Tränen in die Augen treiben würde. Was ihn jedoch besonders begeisterte, war das zehn Fuß lange, angekaute Seil an ihrem Geschirr. Die Elfen hatten gelacht, als er ein Geschirr für ein Maultier hergestellt hatte; jetzt konnte er über sie lachen. Ein Halfter hätte nie gehalten.

Bis darauf, daß ihm immer noch fünfzehn Fuß zu dem Seil fehlten, das in den Schacht baumelte, während Windsbraut da oben schnaubte.

Flint nahm Bestand auf. Er hatte Flint und Stahl, Hammer, Messer und die Strickleiter. Die Leiter würde wahrscheinlich bis zum Boden des Schachts reichen, aber der Versuch, eine schlaffe Strickleiter von unten nach oben aufzuhängen, schien hoffnungslos.

Windsbraut wieherte wieder. Der Ton hallte in dem Steinschacht so laut nach, daß Flint fast die Ohren platzten.

»Ruhe da oben!« schrie Flint. Als das Maultier vom Loch zurückwich und das Zugseil mitschleifte, rief er: »Nein! Warte! Ich hab’s nicht so gemeint!«

Zögernd spähte Windsbraut wieder über den Rand. Sie war schon in Augenhöhe nicht besonders schön, doch von unten sah sie völlig absurd aus. Außerdem wirkte sie verärgert. Flint kam plötzlich die schreckliche Vorstellung, wie sein Maultier beleidigt davonstapfte. Und wirklich zog es sich wieder vom Rand zurück. Das Seilende zog sich im Kamin höher. »Windsbraut, du – « Er dachte schnell nach und schlug einen schmeichelnden Tonfall an. » – du bezauberndes Geschöpf, bitte komm doch zurück.«

Das Seil hielt inne, wackelte und fiel wieder ein paar Handbreit herunter. Feuchte braune Augen suchten seinen Blick. Ein Ohr knickte ab.

Flint wickelte sich die Strickleiter vom Bauch. Wenn er das Ding irgendwie zu dem Maultier hochbekam… Er schätzte die Entfernung ab und warf die Leiter hoch.

Wie ein Haufen Schlangen fiel das Ding auf ihn herunter, und Windsbraut wieherte.

»Ja, du Mistvieh«, murmelte Flint. »Lach doch.«

Er befreite sich aus den Stricken der Leiter und versuchte es noch einmal mit demselben Erfolg. Beim dritten Versuch schließlich, als seine Schulter von der Anstrengung schon schmerzte, probierte er einen Wurf von unten her, und eine Leitersprosse fiel über den Rand des Schachts, wo sie sich eine kurze Sekunde lang an einem Stein verfing. Windsbraut senkte ihre feuchte Schnauze, beschnüffelte die Leiter und ließ sie wieder auf Flint hinuntertrullern.

»Windsbraut!« schimpfte Flint. Dann wechselte er in die höchste Tonlage, was ihn an ein Elfenmädchen erinnerte, das mit seinen Puppen redete. »Willst du mich etwa hier unten sterben lassen, meine Süße?«