»Ich war immer der Begabtere, Solostaran«, schrie Arelas. »Ich hätte die Stimme sein sollen. Ich werde die Stimme sein! Und ich werde Qualinesti für die reinen Elfen bewahren. Jetzt, wo ich die Macht des Grau – «
Ein Teil einer Marmorsäule, die den ersten Balkon trug, zerbarst, weil Arelas’ Zauber sie geschwächt hatte. Die Steinsplitter schossen in den Saal, wo die Adligen auseinander stoben. Arelas verzog das Gesicht, warf die Hände hoch und schickte einen Blitz zum Podium. Flint warf sich gegen Solostaran und stieß die Stimme vom Podium. Tyresian warf sich über Laurana, die dadurch in den relativ sicheren Bereich unter dem Balkon rollte. Ein Marmorblock krachte auf den Elfenlord herab, und Laurana schrie auf.
Porthios brach aus dem Yathen-Ilara.
»Arelas!« schrie Tanis wieder und erhob sein Schwert.
Aber der Magier lachte. »Daraus wird nichts, Tanthalas! Gegen mich hat dein Schwert keine Macht.« Er breitete die Arme aus und tanzte höhnisch ein paar Schritte. »Ich habe es nämlich verzaubert, zur selben Zeit, wo ich jene Pfeilspitzen verzaubert habe, die du so trefflich gegen den Tylor und Lord Xenoth verwendet hast.« Das Lachen wurde zu einem hustenden Spruch, und Tanis sah seine Chance. Er sprang zu Arelas hin und schlug zu.
Doch sein Schwert prallte von etwas in der Luft ab und fuhr einfach über den Kopf des Magiers hinweg. Arelas nahm die Arme hoch, kehrte dem Elfen betont den Rücken zu und sang weiter. Ein weiteres Stück Mosaik fiel herab.
Arelas lehnte sich über den Balkon. Einen Arm streckte er nach hinten aus, als wenn er einen weiteren magischen Feuerstuhl auf die Zuschauer schleudern wollte.
Tanis versuchte es erneut. »Miral! Arelas! Gilthanas lebt.«
Tanis sah, wie Porthios’ Kopf herumfuhr. Das Gesicht seines Cousins leuchtete auf vor Hoffnung, als er hörte, daß sein kleiner Bruder nicht tot war. Arelas drehte sich mit schrecklicher Miene um. Aus seinen Augen war jede Farbe gewichen.
»Er lebt?« fragte der Zauberer nach.
Obwohl sein Schwert gegen Arelas anscheinend nutzlos war, hielt Tanis es weiter vor sich. »Gilthanas steht in der Erbfolge über dir, Arelas«, schrie der Halbelf. »Du wirst nicht Stimme, egal, was du heute hier machst.«
Arelas bebte, als ob er am Rande des Abgrunds taumelte. Dann schoß ein Arm nach vorn, und ein Blitz ging gegen den Halbelfen los.
Rein instinktiv erhob Tanis das Schwert. Der Blitz des Magiers traf Elansas Anhänger, der zu flüssigem Stahl zerschmolz. Da zuckte ein zweiter Blitz vom Schwert zum Magier zurück, welcher getroffen aufschrie und vom Balkon stürzte.
Sein Körper ging in Flammen auf, noch bevor er den Boden des Turms erreichte.
Epilog
»Aber woher hatte er die Kraft?« fragte Tanis wieder.
Flint schüttelte den Kopf. Es gab natürlich Gerüchte, Legenden von einer enormen Quelle chaotischer Macht, die tief in den Höhlen unter Qualinost verborgen sein sollte, doch der Zwerg war nicht dazu aufgelegt, Legenden zu rezitieren.
Er bestellte Bier für sie beide. Der Wirt vom Wirtshaus »Zur Letzten Bleibe« brachte ihnen die schäumenden Krüge an den Tisch, und Flint seufzte. »Ach, Junge, danach habe ich mich gesehnt. Ein richtiger Tisch in der Ecke von einem gemütlichen Wirtshaus. Richtiges Bier, das so wirkt wie ein Tritt von Windsbraut.«
Aber Tanis blieb beim Thema. Sie hatten es in den letzten drei Wochen bis zum Erbrechen durchgekaut, verstanden hatten sie aber immer noch nicht richtig, was geschehen war.
»Miral – Arelas – hat so viele Leute umgebracht, bloß weil man ihn als Kind aus Qualinost weggeschickt hat? Flint, das ist kein Grund.« Der Halbelf spielte mit seinem Krug und betrachtete den nassen Kreis auf dem Holztisch.
Der Zwerg nickte. »Ich weiß, Junge. Hinter dem Ganzen steckt eine Macht, eine, über die wir nichts wissen. Aber es gibt Geschichten, die es erklären könnten.«
»Der Graustein? Das ist doch ein Mythos, Flint«, sagte der Halbelf mit ausdrucksloser Stimme. Er war nicht so leicht zu überzeugen.
Flint schüttelte den Kopf und erhob seinen Krug. Dann schnalzte er mit der Zunge. Fünf Tage in Solace, und immer noch war ein Krug gutes Bier wirklich etwas Feines.
»Flint.«
»Was jetzt?« knurrte der Zwerg.
Tanis drängelte. »Das Amulett hat mir das Leben gerettet. Warum hat es meine Mutter nicht gerettet? Es hat doch ihr gehört.«
Auch das hatten sie in den letzten Wochen oft genug unterwegs besprochen, während Flint auf Windsbraut dahinschaukelte und Tanis weich auf Belthar thronte. »Ich glaube nicht, daß es schon verzaubert war, als Elansa es noch hatte, Tanis. Ich glaube, da hatte Ailea ihre Hand im Spiel.«
Bei der Erwähnung von Ailea wurden die Freunde bedrückt.
»Aber ich dachte, sie könnte nur ein paar Illusionen, Zaubertricks für Kinder«, widersprach Tanis. »Und ein paar Sprüche, die bei Geburten nützlich sind. Nichts Großartiges.«
»Wir dachten auch, Miral wäre nur ein kleiner Zauberer.«
Tanis nickte und schwieg eine Weile. Dann kam ihm ein neuer Gedanke. »Der Zauberer hat sie alle getötet – Kethrenan, Elansa, Xenoth, Ailea. Auch Tyresian, der Laurana vor dem Marmorblock gerettet hat. Und wozu? Damit Arelas alle Erben zwischen sich und dem Amt der Stimme ausschalten konnte. Hat er denn geglaubt, er könnte aus den Trümmern des Turms spazieren und verkünden, er sei in Wirklichkeit Arelas und deshalb mußten sie ihn zur Stimme machen?«
Flint sah Tanis finster an. »Ich nehme an, er hätte einen Weg gefunden.« Oder vielleicht der Graustein, setzte er für sich selbst hinzu.
»Aber…«
Flint schob dem Halbelfen das Bier hin. »Gib’s auf, Junge. Manche Dinge mußt du einfach hinnehmen. Arelas erschien es machbar.« Als Tanis den Mund aufmachte, hielt Flint eine Hand hoch. »Schluß jetzt damit.«
Sie saßen eine Zeitlang schweigend da. Dann erhob Flint wieder seinen Krug. »Einen Toast«, sagte er.
Einen Toast abzulehnen war eine Beleidigung. Tanis legte seine Hand um den Griff seines Krugs. »Einen Toast«, wiederholte er.
»Auf Ailea.« Sie sahen sich an und stießen die Krüge aneinander. »Und auf neue Freunde«, fügte Flint hinzu.
Tanis lächelte.
»Auf die Freunde«, stimmte der Halbelf zu.