Flint war unsicher. Er wußte nichts zu sagen. Nach einer kurzen Weile bat die Stimme den Zwerg zu gehen.
Flint dachte fast gar nicht mehr an seine Entwürfe, als er nachdenklich zu der kleinen Werkstatt mit Laden zurücklief, die ihm die Stimme gegeben hatte. Es war ein leeres Haus im Südosten des Turms, wo er in den letzten Monaten viele Dinge angefertigt hatte: Jadeanhänger an fließenden Silberketten, haarfein geflochtene Ringe aus Gold, Armreifen aus gehämmertem Kupfer und Smaragd.
Die Werkstatt befand sich am Ende einer kleinen Gasse in einem Birnengarten. Um den hölzernen Türrahmen wanden sich Kletterrosen. Weil Flint sich an die Vorliebe seiner Mutter für Winden erinnerte, hatte er diese Blumen neben die Rosen gesetzt, so daß die rosa, blauen und weißen Blüten sich jetzt mit den weißen, gelben und rosa Rosen mischten.
Man hatte Flint das Haus beliebig lange zur Verfügung gestellt, doch wie lange das sein würde, wußte der Zwerg selbst nicht. Bestimmt würde er bis zum Ende des Frühjahrs bleiben, hatte er sich zuerst gesagt; wozu war er schließlich so weit gereist? Nur um gleich wieder nach Hause zu rennen? Doch sein warmes Haus im fernen Solace – und ein schäumender Krug Bier – kamen ihm oft in den Sinn. Elfenbier hatte sich als armseliger Abklatsch von echtem Bier erwiesen, zumindest für den Zwerg, auch wenn es Meilen besser war als Elfenblütenwein.
Da er mit seinen fast täglichen Terminen bei der Stimme und mit mehr Aufträgen ausgelastet war, als sein Hammer bearbeiten konnte, war es wenig überraschend, daß der letzte Frühlingstag fast unbemerkt vorbeiging und die warmen, goldenen Sommertage sich vor dem Zwerg ausdehnten.
Oft sah man das Fenster seines Ladens bis spät in die Nacht so rot wie Lunitari leuchten, und es kam nicht selten vor, daß der erste Elf in Qualinost am nächsten Tag zum Klang eines Hammers erwachte, der auf einen Amboß schlug. Viele bestaunten den Fleiß des Zwerges, und ebenso viele hofften, daß die Stimme sie mit einer von Meister Feuerschmieds Schöpfungen beglücken würde.
An diesem Nachmittag stapfte er in seine heiße Schmiede zurück, ergriff den Eisenhammer und stellte wieder einmal mit Hilfe der sengenden Flammen und der Schläge seines Hammers aus einem leblosen Metallklumpen etwas Schönes her. Er verbrachte mehrere Stunden mit dieser Aufgabe, und jegliches Zeitgefühl ging ihm dabei verloren.
Schließlich seufzte Flint, wischte sich mit einem Taschentuch den Ruß von Händen und Stirn und schöpfte sich eine Kelle Wasser aus dem Eichenfaß am Tor zur Straße. Als er auf die Straße trat, ging ein Lächeln über sein Gesicht, das die Falten glättete, die seine Stirn zerfurchten. Der Weg zum Tor führte durch ein paar Espen. Ihre blassen, schlanken Stämme wiegten sich leise im Wind, als wenn sie sich etwas vor dem Zwerg verneigen wollten, und ihre raschelnden Blätter blinkten mal grün, dann silbern, dann wieder grün. Seine Hand fuhr langsam zur Brust, als ob das einem Herzen helfen könnte, das vor lauter Schönheit schmerzte. Und ein Teil von ihm litt immer noch mit der Trauer der Stimme.
Doch dann bemerkte Flint ein paar goldene Flecken hoch oben in den Bäumen und fühlte ganz tief innen die selbe Rastlosigkeit, die ihn schon sein Leben lang quälte. Morgens war es inzwischen wieder frischer als in der sanften Kühle der Sommernächte. Und nun auch die Bäume.
Alles kündete vom Herbst und ließ seine Gedanken nach Solace wandern, zu den Häusern, die hoch oben in den Vallenholzbäumen hingen. Die Blätter der riesigen Bäume würden an den geriffelten Rändern gerade in den verschiedensten Farben anlaufen, überlegte er und seufzte wieder. Herbst war die rechte Zeit zum Reisen. Er sollte nach Hause gehen, wo er hingehörte.
Überrascht bemerkte Flint, daß er sich fragte, ob es wirklich Solace war, wo er hingehörte. Er hatte sich dort vor Jahren angesiedelt, hauptsächlich weil er das Herumwandern satt hatte, damals, nachdem er sein verarmtes Dorf verlassen hatte, um in der Welt sein Glück zu suchen. Und war das Leben unter Elfen für einen einfachen Zwerg aus Hügelheim denn wirklich anders als unter Menschen? In beiden Fällen war er ein Fremder, er konnte keinen großen Unterschied erkennen. Außerdem, dachte er, während er in tiefen Zügen die kalte Luft einatmete, herrschte hier ein Friede, den er noch nirgendwo sonst gefunden hatte.
Flint zuckte mit den Schultern und ging zurück in seinen Laden. Er wischte sich wieder über die Stirn. Bald tönte wieder sein Hämmern durch die Luft.
Mehrere Stunden später sah Flint von seiner Arbeit auf und merkte, daß die Uhr – die er aus Eiche gemacht und mit Gewichten aus zwei Granitstücken versehen hatte – die Zeit zum Abendessen anzeigte. Seine Gedanken jedoch drehten sich nicht um Essen oder um die silberne Rose, die er im Auftrag von Lady Selena anfertigte. Lady Selena gehörte zu dem Kreis um Porthios und hatte ihre Abneigung gegenüber Zwergen vor kurzem überwunden, nachdem sie gemerkt hatte, daß »ein echter Flint« unter Höflingen der letzte Schrei war.
»Es ist Zeit!« rief er aus, legte den Hammer hin und schob die Kohlen zusammen. Alle paar Wochen folgte er demselben Ritual. Er tauchte Gesicht und Arme in ein Wasserbecken, um den Schweiß und Schmutz der Schmiede abzuwaschen. Dann schnappte er sich einen Sack, öffnete einen Wandschrank, der in die Steinwände eingelassen war, und fing an, seine Tasche mit interessanten Dingen zu füllen. Alle waren aus Holz, und Flint strich liebevoll hier eine Kante glatt oder polierte dort noch eine Rundung. Plötzlich sah er aus dem Augenwinkel einen Schatten vor dem Fenster. Er richtete sich auf und wartete. Ein neuer Auftrag? Er wußte, daß die Elfenkinder ihn schon seit Tagen belauerten. Sie hielten nach dem Zwerg Ausschau, der etwa alle zwei Wochen auf der Straße auftauchte und jedem Kind in Sicht ein handgearbeitetes Spielzeug schenkte. Er hoffte, daß ihn jetzt keiner aufhalten würde.
Flint glaubte, draußen Füße scharren zu hören, und stapfte zum Eingang. Aber dort sah und hörte er niemanden.
»Feuerschmied, du wirst alt. Jetzt hast du schon Halluzinationen«, grummelte er, während er zu seinem Sack zurückging.
Als er die einzelnen Holzspielsachen berührte, wurde ihm warm ums Herz. Metall war gut zu formen; es gab einem ein Gefühl von Macht, wenn das kalte Material sich dem Hammer beugte und durch die Willenskraft des Schmieds Gestalt annahm. Aber Holz war anders, fand er, als er eine Holzpfeife streichelte. Holz konnte man nicht in eine Gestalt zwingen, sagte sich der Zwerg; man mußte die Form finden, die darin verborgen lag. Flint kannte keinen größeren Frieden, als mit dem Schnitzmesser in der einen Hand und einem Stück Holz in der anderen dazusitzen und sich zu fragen, was für ein Schatz hier verborgen liegen mochte.
»Das ist wie mit den Leuten, wie meine Mutter immer sagte«, erklärte er dem Laden, der ihm inzwischen so vertraut war wie ein guter Freund. »Manche Leute sind wie dieses Metall, hat sie gesagt«, und er zeigte dem leeren Raum eine metallene Blumenbrosche. »Man kann sie zurechtbiegen. Sie passen sich an. Andere sind wie dieses Holz«, und er hielt ein kleines Eichhörnchen aus Weichholz hoch. »Wenn man sie zwingt, zerbrechen sie. Man muß langsam und vorsichtig vorgehen, wenn man wissen will, was in ihnen ist.«
»Der Knackpunkt, wie meine Mutter immer sagte«, erläuterte er ernsthaft einer Steinbank an der Tür, »ist zu wissen, wer was ist.«
Flint machte eine Pause, als würde er auf etwas warten. Ihm kam der Gedanke, daß jemand, der mit seinen Möbeln sprach, wahrscheinlich zu wenig Freunde hatte. Mit Ausnahme von der Stimme, Miral und den Stadtkindern behandelten ihn die meisten Elfen mit reservierter Höflichkeit. Aber es gab keinen, dem man auf die Schulter schlagen und auf ein Bier einladen konnte, keinen, dem man Geschichten erzählen konnte, keinen, den er wirklich auf offener Straße als Rückendeckung hätte haben mögen.