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Michael Williams

Unter Dunklen Sternen. Das Siegel des Verräters

Von der Wasserburg in den Wächtersumpf

Das Zeichen des Wiesels ist Tunnel zu Tunnel, Zauber zu Zauber. Unter sich gräbt es, und grabend findet es Wege nur ins Nichts. Vergrabe das Dunkle, bis daß die Dunkelheit sich hebt, Im Dunkeln tanzen die Weisen.
Die Calantina, IX:IX

1

Es begann in der Nacht des Banketts, an dem ich nicht teilnahm.

Während die anderen feierten, putzte ich die Zimmer meines ältesten Bruders Alfrik und fegte sein alltägliches Chaos von schmutziger Wäsche, Knochen und Melonenschalen zusammen. Es war ein richtiger Misthaufen, wie in einer Ogerhöhle. Bestimmt versteckten sich die Dienstboten nur irgendwo in der Wasserburg vor Alfrik und würden bald auftauchen.

Versteht mich nicht falsch. Mein Bruder glich weder damals noch heute einem Oger. Ein Oger ist größer und gefährlicher. Wahrscheinlich auch schlauer.

Aber immerhin war Alfrik schlau genug, mich sein Zimmer fegen und die Fenster putzen zu lassen, während er mit dem Rest der Familie und einem Ehrengast beim Abendessen saß. Seit acht Jahren hatte er mich selbst für die kleinsten Verfehlungen angeschwärzt. So verbrachte ich meine Jugend nicht wie die Söhne anderer solamnischer Ritter mit Reiten und Falkenjagd, sondern eingeschüchtert fegend, und nur weil… nun, die Gründe erzähle ich später.

Damit will ich nur gesagt haben, daß ich mir mit siebzehn zu alt vorkam, um meinem Bruder hinterher zu räumen.

Während ich in seinen Räumen den Staub aufwirbelte, saß Alfrik im großen Saal am Tisch, wo sich Vater mit Sir Bayard Blitzklinge von Vingaard unterhielt, ein solamnischer Ritter, der in einer funkelnden Rüstung – die schon jetzt Thema von Legenden und Liedern war – in unser Heim in der Provinz eingeritten war. Und obendrein war Sir Bayard angeblich auch noch der beste Schwertkämpfer von Nordsolamnia.

Was ich an unserem Besucher besonders aufregend fand, war die Erlösung von Alfrik. Es war nämlich so, daß Bayard Blitzklinge unterwegs war, um bei irgendeinem großartigen Turnier um die Hand der Tochter eines Adligen aus dem Süden anzuhalten, und in unserem armseligen Hinterlandsschlößchen hatte er nur Station gemacht, weil er unserem einst berühmten Vater einen Gefallen tun wollte. Bayard nahm meinen Bruder im fortgeschrittenen Alter von einundzwanzig als Knappen an, nachdem ein halbes Dutzend Ritter dankend abgewinkt hatten. Er würde Alfrik mitnehmen, ihm die Flausen austreiben und ihn als zukünftigen Ritter zurückbringen.

Als Alfrik von dieser Zukunft gehört hatte, hatte er beschlossen zu feiern: Am Morgen lag wieder einmal ein zu Tode gehetztes Pferd im Stall, und wieder einmal hatte unser Lehrer Gileandos in Flammen gestanden. Brandstiftung war ein Hobby von Alfrik und mir, aber wie gewöhnlich bekam ich die Schuld und wurde ohne Abendbrot und ohne Umschweife aus dem Saal geschickt, während eine lebende Legende in unserer Mitte speiste.

Von unten drang Gelächter und Geschirrgeklapper herauf, als ich den Nachttisch meines Bruders abstaubte und über das frisch eingeritzte »Alfrik was here« auf der Tischfläche fuhr. Zweifellos redeten sie da unten bei Wein und Wildbret über mich und hofften, ich würde bald aus dem herauswachsen, woraus ich herauswachsen sollte (was auch immer das war). Brithelm, mein mittlerer, spirituell veranlagter Bruder, hatte sich wieder einmal wegen Gott weiß was für einem uralten, bedeutenden Festtag vom Abendbrot entschuldigen lassen, und Alfrik saß zweifellos zur Rechten meines Vaters und stimmte dem alten Mann zu, der für uns alle sein Bestes gegeben hatte, während Sir Bayard ernst und sehr rittermäßig allem beiwohnte.

Ich regte mich über die Feier unten auf, während ich Zunder, mehr Knochen und mehr Federn zusammenfegte. Aber die Aufregung – ganz zu schweigen von meiner Geschichte – hatte gerade erst begonnen.

Als ich unter das Bett kroch, um fertig zu fegen, und ehe ich mich dem Fenster zuwandte, das ich jeden Tag putzen mußte, hörte ich hinter mir an der Tür ein Geräusch. Mein erster Gedanke war, daß Alfrik mich heute noch nicht genug getriezt hatte und sich höflich vom Tisch zurückgezogen hatte, um nach oben zu rennen und mich nach Herzenslust zu verdreschen – einfach aus Lust am Verdreschen. Zwischen den Scherben, den leeren Weinflaschen, mehreren erloschenen Öllampen und weiteren Knochen hielt ich inne und verkroch mich unter dem Bett.

Eine Stimme wie Honig – tief und melodiös – ertönte von der Schwelle her.

»Wo sind die anderen, du Kleiner unter dem Bett? Du brauchst dich nicht zu verstecken. Ich kann nämlich auch im Dunkeln sehen, durch Zeit, Stein und Metall, und ich weiß, wo du bist. Wo sind die anderen? Ich habe hier zu tun.«

In der Stimme lag neben dem Honig auch Härte und Gefahr. Ich dachte an Assassine, an einen gedungenen Mörder, der mit singender Stimme spricht und sich noch sanft wie ein Cello anhört, wenn er schon den Dolch zieht oder sein Gift ausstreut.

Ich hätte schwören können, daß in Gegenwart des Besuchers das Licht in der Kammer schwächer wurde und daß ein leichter Nebel vom Boden aufstieg. Die Temperatur fiel ab, bis der steigende Nebel mit beißendkaltem Eis überzogen war.

Ich war noch entsetzter, als wenn es nur mein Bruder gewesen wäre, der mich verprügeln wollte, und ich antwortete so, wie ich es für das Sicherste hielt, um dem Wichtigsten so wenig Schaden wie möglich zuzufügen.

»Schaut mal, ich weiß nicht, wer Ihr seid, aber tut mir nichts. Ich steh viel zu weit unten, ich bin noch nicht mal gut genug für eine Entführung. Wenn Ihr Vater sucht, der ist unten beim Bankett, aber Ihr erwischt ihn wahrscheinlich hervorragend, wenn er in den frühen Morgenstunden die Treppe hochkommt. Er hatte übrigens vor einem halben Jahr einen Jagdunfall und schont immer noch sein linkes Bein, also zielt auf das rechte.«

Ich fing an zu weinen und zu stottern und plapperte weiter.

»Oder wenn Ihr hinter meinem Bruder Brithelm her seid, der meditiert wahrscheinlich in seinem Zimmer. Irgend so ein religiöser Feiertag. Den Gang runter, dritte Tür links.«

Brithelm war harmlos, gutmütig und der, den ich von der ganzen Familie und allen Gästen am liebsten mochte. Aber nicht genug, um mich einem möglichen Mörder in den Weg zu stellen. Rasch fuhr ich fort.

»Sonst ist hier oben nur noch unser Lehrer Gileandos, der nichts hören wird, weil er sich von seinen Verbrennungen und inzwischen wahrscheinlich auch vom Brandy erholt.«

Während dieses Verrats blieb ich unterm Bett, von wo aus ich den Eindringling von den Knien abwärts sehen konnte, wie er erst auf der Schwelle stand, dann den Raum betrat und sich auf einen Stuhl am Fenster setzte. Durch das gewölbte Glas der umgeworfenen Lampe wirkten seine Beine riesig, und er trug schwarze Stiefel mit silbernen Skorpionen daran, als wenn schwarze Stiefel an sich nicht schon fies genug ausgesehen hätten. Ich errichtete einen Wall aus Knochen, Tonscherben und Fusseln um mich herum und preßte mich enger und enger an die Wand, an der Alfriks Bett stand.

»Natürlich werdet Ihr wissen, daß ich einen älteren Bruder Alfrik habe. Falls Ihr also seinen gesamten Stundenplan für die nächsten paar Tage und eine Liste seiner Leibspeisen wollt…«

»Aber Kleiner«, unterbrach mich der Fremde, dessen Stimme wie ein einschläferndes Lied war. »Ich habe nicht vor, dir oder deiner Familie ein Leid anzutun. Außer wenn es unbedingt sein muß. Ich suche nämlich jemand anderen…«

»Oh, Ihr meint Sir Bayard. Ja, wenn Ihr hinter dem her seid, solltet Ihr lieber später wiederkommen, wenn alles schläft und wenn auch die Dienstboten im Bett sind. Dann wäre die ganze Sache einfacher, privater sozusagen. Ihr müßtet niemand anderen umbringen, um zu tun, was Ihr vorhabt.«