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›Zu mies für einen Knappen.‹ Waren das nicht die Worte von Sir Gareth de Palantha, als du vierzehn warst? Als er herausgefunden hatte, daß du eine Almosenkiste geplündert hattest, um diese magischen Augengläser von einem Händler zu kaufen, durch die du angeblich durch Elspeths Kleid sehen könntest? Sogar ich hätte mit vierzehn Knappe werden können, könnte morgen einer werden, wenn ich wollte. Zumindest in jeder anderen Familie.

Aber Vater muß dich ja als ersten loskriegen, weil du sein Ältester bist. Kannst du dir vorstellen, wie peinlich es ihm ist, wenn andere Ritter des Ordens Söhne in der Ritterschaft und Enkel als Knappen haben, während er einen einundzwanzigjährigen Nichtsnutz versorgen muß, der ums Haus streunt, seinen Rehbraten futtert, seinen Wein säuft und nur davon träumt, Dienstboten zu verprügeln und Pferde zuschanden zu reiten?«

Aus der Finsternis kam ein Schrei. Genüßlich fuhr ich fort.

»Und jetzt sind es bestimmt noch zehn Jahre. Und dann ist es der letzte Versuch, denn selbst einem Idealisten muß es peinlich sein, wenn ihm ein Einunddreißigjähriger die Rüstung schleppt. Dann bleibt dir nur noch ein Leben als Priester, und vielleicht bist du dann sogar dafür zu alt, denn wir wissen beide, daß Brithelm bis dahin auf dem Weg zur spirituellen Reinheit schon weit fortgeschritten sein wird, während du ein grauhaariger Novize bist, dessen ganze Lebenserfahrung sich darauf beläuft…«

Das war das Stichwort, wie in alten Komödien, wo man einen Namen erwähnt und derjenige augenblicklich hereingelaufen kommt. Der Schlüssel rasselte an der Tür, und im Kerzenlicht und mit einem Schwall warmer Luft von den sonnigen Räumen oben betrat mein Bruder Brithelm, der einzige Unschuldige in der Familie, hinter den Wachen die Verschwörerzelle.

Es wurde wirklich voll hier unten. Und es störte mich besonders, weil ich doch gerade dabei war, Alfrik zu ärgern, der an seinen Ketten zerrte.

Aber schließlich war es Brithelm. Und da er der einzige wahrhaft Unschuldige war, hatte er Mitleid mit uns.

»Wie geht es euch, Brüder? Diese bedrückende, feuchte Zelle – die Ratten, die Dunkelheit, der faulige Gestank. Ich hasse es, daß wir euch so lange hier festgehalten haben. Aber ich glaube, es ist fast vorüber.«

»Was ist fast vorüber, Brithelm?« fragte mein ältester Bruder. Seine Stimme klang laut und schrill, denn nach meinen Ausführungen erwartete er zweifellos siedendes Öl, bestenfalls einen dicken, baumelnden Strick.

»Du sollst sofort mitkommen«, fuhr Brithelm fort, hockte sich neben mich und hielt die Kerze vor sich, um besser sehen zu können, wie der Erbe der Familie an der Wand hing. »Zu einer Audienz mit Vater im großen Saal. Bayard ist zurückgekehrt und hat den Dieb seiner Rüstung dabei.«

Der Skorpion! Und das nannte Brithelm eine gute Nachricht.

»Ich nehme an, jetzt kommt die Wahrheit heraus«, fuhr er fort, »und der Name Pfadwächter wird bei euch beiden reingewaschen.«

Ja. Bis ins fünfte Glied.

In den Ecken rauchten Fackeln, die man angesichts der vorgerückten Stunde und der herbeiströmenden Menge eilig angezündet hatte. Denn im großen Saal herrschte ein reges Treiben, und es waren eine Menge Hunde da: Mastiffs, Beagles und Bluthunde umringten den Tisch, kämpften am Kamin, paarten sich hinter den Vorhängen.

In seiner Eile, rasch und gnadenlos Recht zu sprechen, hatte Vater den Saal nicht räumen lassen.

Der Hundeakt ging der eigentlichen Vorstellung voraus, in der wir auftraten.

Vater und Bayard saßen in hochoffizieller Kleidung auf den Ehrenplätzen, um den schwarzgekleideten Gefangenen zu verhören. Die Dienerschaft hatte sich um des Klatschens willen versammelt, und selbst die Pächter waren in der Hoffnung auf fließendes Blut wiedergekehrt.

Doch was mir gerade Sorgen bereitete, war der Gefangene. Seine dünnen, fast skelettartigen Pfeifenputzer ähnelten kaum den starken, drahtigen Beinen des Besuchers, an den ich mich erinnerte. Gut, er war schwarz gekleidet, jedoch mindestens sechzig. Ich wartete darauf, daß seine Stimme meine Hoffnungen bestätigte.

Bestimmt hatte Bayard den Falschen gebracht.

Was mir recht sein konnte. Viel lieber einen Sündenbock als den Richtigen – den Skorpion, der mich in einem Gewebe von Verfehlungen verstricken konnte, die die Familie bis ins fünfte Glied heimsuchen würden.

Mit Alfrik und den Wachen ging ich in die Mitte des Saals. Brithelm nahm neben Vaters Stuhl Platz.

Bayard betrachtete uns eindringlich. Sein Bein baumelte über die Stuhllehne, die Finger waren verschränkt, die grauen Augen fixierten unsere Mienen und Gesten. Ich schätze, daß ihm dieselbe Idee gekommen war: daß der Mann in Schwarz kaum von der wilden Sorte war. Er war Alfrik nicht gewachsen und schon gar nicht einem Burschen wie Jaffa. Diese arme Seele hatte wahrscheinlich schon bei Bayards Anblick die Waffen gestreckt. Ich war fast in Versuchung, das arme Schwein da als den Skorpion zu identifizieren, wenn uns das aus dem Kerker holen würde. Aber ich hielt meine Zunge im Zaum, weil ich wußte, daß eine solche Identifikation häßliche Fragen nach sich ziehen würde, wie genau ich den Einbrecher damals gesehen hätte.

Das arme Schwein vor uns hatte keine solchen Hemmungen.

»Das ist er. Der hat mir geholfen«, sagte er mit einer Stimme, so hart und brüchig wie altes Papier. Er kroch vor Vater hin und zeigte mit seinem knochigen Finger auf mich.

»Ihr müßt Alfrik meinen«, rief ich verzweifelt aus. »Ich habe Euch noch nie zuvor gesehen.«

Bayard erhob sich von seinem Stuhl und beobachtete mich noch eingehender. Er räusperte sich und redete ruhig mit dem Gefangenen, wobei seine Augen – und Vaters – auf mich gerichtet blieben.

»Weißt du, wen du da beschuldigst, Mann? Diebstahl ist eine schwere Beschuldigung…« Bayard machte eine Pause, sah zum Feuer hin und richtete seine unbewegten, grauen Augen dann wieder auf mich. »Diebstahl ist ein Kapitalverbrechen, kein einfaches Versäumnis wie… wie bei der Wache einzuschlafen. Es könnte ein Leben auf dem Spiel stehen, Kerl.«

Ich entwickelte allmählich eine Abneigung gegen Sir Bayard Blitzklinge, in dessen Gegenwart ich mich unbehaglich fühlte. Darum meldete ich mich zu Wort.

»Nein, Sir, ich habe den Schuldigen niemals richtig zu Gesicht bekommen, wie ich schon sagte, und würde mich niemals an Eurem Eigentum oder Eurer Person vergreifen. Ihr könnt mir glauben oder diesem widerspenstigen Halunken, den Ihr auf frischer Tat ertappt habt.« Mit dramatischer Geste zeigte ich auf den Gefangenen.

Alle Blicke lagen auf dem Mann in Schwarz, der in Handschellen zu Füßen meines Vaters zitterte. Alle Blicke außer dem meines Vaters, der sich in dieser Sache an Bayard hielt, dessen graue Augen mich weiterhin durchdringend musterten.

»Wenn das meine Wahl ist, glaube ich dir, junger Mann«, entgegnete Bayard und drehte mir den Rücken zu. Er trat gewandt über einen zurückweichenden Hund und ging zum Sims über dem Kamin, wo er bei seiner wiedergewonnenen Rüstung stehenblieb, die als glitzernder Haufen dort lag.

»Aber das ist der, der mir geholfen hat, und das kann ich beweisen«, beharrte der Gefangene.

Er war kein besonderer Redner, aber seine Worte erregten Aufmerksamkeit. Jetzt sprang auch Vater auf, denn er hörte, was er meiner Meinung nach die ganze Zeit hatte hören wollen – daß sein kostbarer Ältester, der arme Alfrik, wirklich unschuldig war. Er war einfach nur etwas dumm und am falschen Ort gewesen. Bayard regte sich nicht, sondern starrte abgewandt lange unschlüssig ins Feuer, bevor er forderte:

»Laß uns noch einmal deine Version von den Geschehnissen in jener Nacht hören, Alfrik.«

Umständlich fing mein Bruder an, während seine Augen hin und her gingen – erst Vater, dann Bayard um Zustimmung anflehten. Ich hatte diesen Blick schon früher gesehen. Er versuchte herauszufinden, ob er lügen mußte, um sich keine Schwierigkeiten einzubrocken.