»Für eine Bibliothek ist dieser Raum recht spärlich beleuchtet«, stellte er fest, während er mich über einen breiten Tisch voller Pergament ansah.
»Das liegt an Gileandos…«, wollte ich erklären, aber der Ritter war schon in Fahrt.
»Was vor uns liegt, kann kurz oder lang werden, Galen, ganz wie du willst.«
Sir Bayard hielt inne, blickte auf den Tisch vor sich, schlug ein Manuskript auf und las kurz darin. Er fiel über den ganzen Tisch und verlor sich in der Dunkelheit.
»Es sieht so aus, als wärst du entlastet«, sagte er ruhig und öffnete seine Hand.
Auf seiner Handfläche glitzerte mein Namensring. Ich erkannte die Gravur selbst auf die Entfernung.
Jetzt war es ratsam, still zu sein und zu hören, was er zu sagen hatte.
»Ich habe ihn vor nicht mal einer Stunde auf meinem Kaminsims gefunden. Mein erster Gedanke war, daß ihn vielleicht jemand dahin gelegt hat, der wußte, daß der Ring des Diebs eine Fälschung war, und Mitleid mit dir hatte. Ein Diener vielleicht? Jedenfalls hat er dir etwas Gutes getan. Dieser Ring gleicht fast völlig dem, den der Dieb hatte – ich habe sie in den Gemächern deines Vaters verglichen –, fast. Bis darauf, daß der, den der Dieb hatte, jetzt als Fälschung entlarvt ist.«
»Also hat jemand den Originalring zurückgegeben, um zu zeigen… daß ich ihn nicht dem Dieb gegeben habe! Ich war die ganze Zeit unschuldig!«
»Sieht so aus«, brummte Sir Bayard. »Auch wenn die Frage unbeantwortet bleibt, wie der Dieb deinen Ring nachmachen konnte oder wo er die ganze Zeit gesteckt hat. Unangenehme Fragen, möchte man meinen.«
Mein Herz sank wieder. »Durch Magie? Oder vielleicht Alfrik?« half ich ihm unschuldsvoll auf die Sprünge.
»Vielleicht. Vielleicht«, erwiderte Brithelm abgelenkt und mit unbewegtem Gesicht. Er hustete eindrucksvoll. »Sei es, wie es ist, du bist entlastet, aber ich bin meinem Ziel, einen Knappen zu haben und meine Verabredung im Süden einzuhalten, immer noch nicht näher. Deshalb…« Hier machte er eine Pause, um sich wieder (irgendwie nervös) zu räuspern. »Ich biete diese Stellung dir an.«
»Aber Alfrik…«
»Hatte seine Chance und hat sie nicht besonders gut genutzt. Alfrik steht hier immer noch unter Verdacht, und Sir Andreas will nichts davon hören. Ich habe in der letzten Stunde darüber nachgedacht, Galen. Du hättest dich aus den Anklagen des Diebs herausschwindeln können – dir eine Geschichte ausdenken können, wie er dich so eingeschüchtert hat, daß du ihm den Ring gegeben hast. Oder daß er ihn dir im Kampf abgenommen hat. Aber das hast du nicht. Du hast geschwiegen und warst bereit, lieber eine falsche Anklage hinzunehmen, als dich durch eine Lüge zu retten.«
Seine Version der Tatsachen gefiel mir gut.
»Das ist ein Knappe, wie ein Ritter ihn sucht.«
»A-aber…«
»Und wenn ich mich täusche, Galen, dann wird die Zeit das schon zeigen. Ich brauche jetzt einen Knappen, und von allen verfügbaren scheinst du mir am geeignetsten.«
4
Mir wurde bald klar, daß das Knappendasein keine ruhmreiche Angelegenheit war. Ein Junge kann sich nicht unendlich oft etwas darauf einbilden, wie toll er einen Brustharnisch poliert hat, wenn er dann sein Gesicht darin spiegeln kann. Mir reichte genau einmal.
Ich verabscheute diesen Sir Bayard Blitzklinge bald mehr als jeden Bruder, Lehrer oder Diener, besonders wenn ich seine Rüstung zu wienern hatte.
Sie hatten mich aus der Bibliothek in Brithelms Zimmer umziehen lassen, weil dieser Raum keine Fenster hatte, durch die ich entkommen konnte, und kein bewegliches Mobiliar, aus dem ich Waffen herstellen konnte. Der einzige Komfort waren eine Strohmatratze auf dem Boden, ein begehbarer Schrank, ein Kamin und eine Lampe. Ich hatte wenig Ablenkung und reichlich Rüstungsteile zum Polieren.
An einem kühlen, dunklen Morgen einige Tage später trafen wir die letzten Vorbereitungen, um Bayards hirnrissige Reise anzutreten. Das Wetter sah nach Regen aus – wahrscheinlich einer dieser Vormittage, die ich gewöhnlich vermied, indem ich bis in den Nachmittag schlief. Aber ich machte mich fertig, um nach nur vier Stunden Schlaf in den Regen und den kalten Morgen zu einem Ziel aufzubrechen, das nur die Götter kannten.
»Wo liegt der Unterschied?« fing ich an. Mein Selbstgespräch war vielleicht etwas laut. »Ich wüßte wirklich gerne den Unterschied, denn mein neuer Herr sitzt mit Vater und Brithelm unten im großen Saal beim Abschiedsfrühstück, während ich hier oben mit ein paar Lumpen am Polieren bin.«
»So wahr ich lebe«, jammerte ich, als ich mit dem Tuch das feingearbeitete Visier des Helms bearbeitete, »ich sehe keinen großen Unterschied zwischen dem hier und dem Putzen von Alfriks Zimmern. Was ist dieser Bayard Blitzklinge eigentlich anderes als ein neuer Kommandeur? Bloß hat der hier vor, mich nach Südsolamnia zu karren, wo er anderen Rittern die Köpfe einschlägt und das Herz der Maid gewinnt, während ich seine Rüstung poliere, die Pferde versorge und kleine Aufträge erledige. Ich habe es jetzt schon satt, das Faktotum eines verdammten südländischen Pinkels zu sein!«
Der letzte Satz gefiel mir so gut, daß ich die Augen zumachte und ihn wiederholte.
Dann begutachtete ich meine Arbeit und bemerkte, daß ich keine Ahnung hatte, wie ich die Rüstung wieder zusammensetzen sollte. Am Kamin lagen die Beinschienen, der Brustharnisch wartete auf der Matratze, wo ich ihn aus Langeweile hingelegt hatte, die Handschuhe waren auf dem einfachen Teppich vor dem Feuer, und den halb polierten Helm hielt ich in der Hand. Überall lagen Lederriemen herum. Dieses Zeug mußte ganz exakt zusammengesetzt werden, aber ich hatte keine Ahnung, wie es funktionierte.
»Die Teile werden nie zusammenpassen«, wimmerte ich. »Da paßt gar nichts, weder an Bayards Rüstung noch an Bayard selbst. Was soll ich dem Skorpion sagen, wenn ich nicht weiß, wonach ich suche, wo der Mann ist, den ich ausspionieren soll?«
Ich ging zum Kamin und wärmte meine Hände an der Glut.
»Erst mal wird er mir nicht glauben, wenn ich seinen Gefangenen als den Skorpion identifiziere. Er war natürlich nicht der Skorpion, aber das kann Sir Bayard ja nicht wissen. Er sagt zwar nichts, aber ich glaube, er glaubt mir nicht, weil er so komische Fragen stellt. So, wo ist jetzt das Wachs?«
Ich griff in die Tasche und zog die schrille Hundepfeife hervor, mit der ich wiederholt den großen Saal aufgestört und Vaters Empfangszimmer in ein Tohuwabohu von Jagdhunden, Terriern und Mastiffs verwandelt hatte. Ich warf sie neben den Brustharnisch auf Brithelms Matratze.
Dann meine wertvolleren Besitztümer. Als erstes die roten Calantina-Würfel, ganz besondere zwölfseitige Würfel aus Estwilde. Einhundertvierundvierzig Zahlen konnte man damit würfeln, und jeder Zahl war traditionell ein Tiersymbol und ein Dreizeiler zugeordnet, der prophetisch sein sollte, meistens aber zu mehrdeutig war, um eine Hilfe darzustellen. Erst im nachhinein konnte man gewöhnlich sagen: »Ach, das war die Bedeutung.«
Sie waren wirklich keine große Hilfe, aber man hatte wenigstens das Gefühl, man würde die Dinge kommen sehen, und dieser Gedanke war seltsam beruhigend.
Nach den Würfeln meine Handschuhe. Ich hatte sie von einem Händler gekauft, der geschworen hatte, daß sie in der Schlacht von Chaktamir die Hände eines Hauptmanns von Solamnia geziert hätten. Bezahlt hatte ich sie mit dem Geld von Dienstboten, die gehört hatten, daß Sir Bayard kam. Er war ein ziemlich berühmter Held, so daß mich die jüngeren Bediensteten in der Spülküche, in der Besenkammer und unten in den Fluren angebettelt und mir ihre Pennys angeboten hatten, damit sie einen kurzen Blick auf die legendäre Rüstung werfen konnten.
Die Pennys waren jetzt weg. Ich hatte sie für das dicke Paar Lederhandschuhe ausgegeben, das ich neben die Würfel auf das Bett schmiß. Ich hatte nicht davon geträumt, sie in der Wasserburg zu tragen, weil sie zu kostbar bestickt waren. Auf den Knöcheln waren sogar die Phasen des roten Mondes aufgemalt. Mich so ausstaffiert vor Vater zu zeigen, hätte nur unangenehme Fragen nach sich gezogen.