»Allerdings, Sir Andreas. Ist der von Valorus nicht ein bißchen zu fest?«
»Das glaube ich nicht, Sir Bayard. Und mit dem Schwert…«
»Am besten prügel ich ihn auch da. Sind die Steigbügel hoch genug?«
Und so weiter. Vater fielen eine Menge Dinge ein, die ich nicht beherrschte, deshalb hätte er noch mindestens eine Stunde weiterreden können, bis Bayards Höflichkeit ihre absolute Grenze erreichen würde und er fragen würde, wo denn sein Knappe und seine Rüstung hingekommen waren.
Ich warf einen Blick auf Bruder Brithelm, der über seiner dünnen Seegrasmatratze schwebte. Ich griff unter ihn und steckte meine Sachen ein. Dann ging ich zur Tür und wollte die Rüstung nehmen, drehte mich jedoch noch einmal um.
Ich legte Brithelm die Pfeife in die Hand – als Andenken, als Mysterium, über das er vielleicht lange nachdenken würde, wenn er in die Realität zurückkehrte. Es war einfach ein frecher Streich, denn ich wußte, daß der zerstreute Brithelm zweifellos stundenlang versuchen würde, die Bedeutung dieser Hundepfeife herauszufinden, die sich in seiner Hand materialisiert hatte. Erst spielte ich mit dem Gedanken, ihm die Opale zu geben, aber beim Gedanken an die Straße und deren Benutzer konnte ich mir vorstellen, daß ich sie nötiger brauchte. Woher sollte ich wissen, daß die Hundepfeife in anderen Händen und auf andere Weise ihre Geschichte der Unterbrechungen fortsetzen würde?
Auch die Pferde rebellierten gegen das frühe Aufstehen. Der Hof war voller Gehuste, Geschnaube und anderen, weniger höflichen Geräuschen. Hysterisch bellende Hunde fegten zwischen ihren Beinen durch, aufgeregt wegen der Kälte und der unüblichen Unruhe bei Mensch und Tier am frühen Morgen. Von den Körpern der Pferde stieg Dampf auf. Auch Bayards und Vaters Atem war zu sehen, eine Folge des geheimnisvollen Winters, der unseren Teil des Landes so früh heimsuchte.
Mit Bayards Hilfe schaffte ich es, die Rüstung einem Packpferd über den Rücken zu werfen. Ich deckte sie mit einer leichten Segeltuchdecke zu, legte mein eigenes Schwert um – das mir jetzt als armselig kleine Waffe erschien –, und hievte mich unter Bayards erneuter Hilfe auf den Rücken eines anderen Pferdes. Zu meiner Schande bekam ich den alten Molasses, ein Pferd, das wir nur noch zu dem Zweck durchfütterten, daß wir kleine Kinder von Besuchern mit kurzen Ritten um den Hof unterhalten konnten.
Vater hatte keine hohe Meinung von meinen Reitkünsten.
Die letzten Minuten in der Wasserburg verbrachte ich damit, Ratschläge entgegenzunehmen.
»Du mußt Bayard ein guter Knappe sein, Junge. Das heißt, keine Lügen und kein Stehlen. Ich weiß, daß ich dir damit ein grundlegend neues Verhalten abverlange, aber trotzdem bitte ich – nein, verlange ich es von dir.
Laß die Rüstung nicht schmutzig werden. Pfleg die Waffen gut – sie könnten dir ganz unvorhergesehen die Haut retten.«
Ganz unvorhergesehen. Das gefiel mir. Der alte Herr redete richtig ritterlich. Doch das ganze Ritual von Ratschlägen war ermüdend. Ich spähte in meine Satteltaschen.
»Hör mir zu, wenn ich mit dir rede! Merk dir jedes Wort. Reib die Pferde ab, wenn Bayard es dir sagt, und untersuche ihre Hufe nach Steinen und Verletzungen. Moos wächst an der Nordseite der Bäume – nur für den Fall, daß du dich verirrst. Wenn du etwas Böses triffst, dann tritt ihm tapfer entgegen – wie der Orden sagt: ›Ohne Rücksicht auf persönliches Leiden‹.
Leben ist wertvoll, das heiligste Geschenk von Paladin, der uns Atem schenkt, für den wir kämpfen und mit dem wir träumen, daß alles besser wird. Gib acht, daß niemals ein Leben vergeblich genommen oder geopfert wird.«
Ein kalter Windstoß fegte über die Mauern in den Hof, und Molasses erschauerte.
»Wir sollen jetzt aufbrechen, Sir Andreas«, kündigte Sir Bayard an, wobei er sich in Valorus’ Sattel schwang.
»Einen Augenblick noch, Sir Bayard. Geh immer erst eine Stunde nach dem Essen ins Wasser, und geh nie ins Wasser, wenn ein Sturm aufzieht, denn Flüsse und Teiche ziehen Blitze an wie die blauen Zweige des Ewigkeitsbaums.«
Bayard murmelte etwas und schnalzte mit den Zügeln seines Pferdes. Der große, kastanienbraune Hengst setzte sich in Bewegung, woraufhin ihm das Packpferd und Molasses instinktiv folgten. Vater lief neben mir her, weil er noch nicht fertig war.
»Übermäßiges Trinken vor dem zwanzigsten Lebensjahr macht Jungen blind. Ebenso wie Glücksspiele aller Art oder ungehobelte Sprache. Die meisten Frauen, die du triffst, haben Messer.«
Trotz meiner Furcht vor dem, was vor mir lag, vor der unbekannten Straße, die hinter der Wasserburg in die entlegensten Regionen auf Krynn führte, wo auf Bayard und mich ein Abenteuer wartete – in dem Lärm, dem Kläffen der Hunde und den Anweisungen erschien mir alles, was am Ende der Straße wartete, jetzt weniger bedrohlich. Erschien mir sozusagen wie eine Erlösung.
Eine Erlösung, ja, aber nur bis die Wasserburg schweigend hinter uns in der Dunkelheit verschwand. Sie tauchte im Morgennebel unter, als würde sie langsam und ohne Flammen in einem mitternächtlichen Ozean verbrennen. Als die Mauern schließlich kaum mehr auszumachen waren, erschien die winzige Gestalt eines Mannes auf den Zinnen.
Ich sah einen Moment hin, so wie auch er uns sicher beobachtete, während wir von der Wasserburg und meinem Zuhause fortzogen.
Vater vielleicht?
Dann ging die Gestalt in orangerotem Feuer auf – eine Kerze in den Fenstern des Hauses.
»Gileandos«, kicherte ich, als es mir einfiel.
Eine kleine Rache zum Abschied für seine Lektionen im Kerker. Alle möglichen Chemikalien können in die Tasche einer Robe geraten, wenn man ein Wiesel in die Bibliothek läßt.
Die Nachtvögel wurden langsam still, und das bißchen Sonne, das zu sehen war, tauchte die grünen Wipfel der Vallenholzbäume in ein fast schon gelbes Hellgrün. Gelegentlich hörte ich einen Eichelhäher über uns schimpfen, dazu kamen Lieder von Vögeln, die ich schon früher gehört hatte, ohne je darüber nachzudenken. Dennoch waren die Lieder vertraut, es mußte angenehm sein in den oberen Zweigen. Unter dem Licht und dem Gesang lag vor uns jedoch ein stiller, dunkler Weg. Es war kalt. Nieselregen hatte eingesetzt, und die Straße wirkte trüb und unfreundlich.
Die Pferde liefen jetzt in einer Reihe hintereinander. Bayard ritt auf seinem Hengst Valorus vorweg, gefolgt von dem Packpferd. Ich machte mit meinem Alibipferd die Nachhut. Die Entfernung zwischen uns vergrößerte sich den Tag über immer mehr, weil Molasses müde wurde. Ich wünschte mir einen Maulesel, aber noch mehr wünschte ich mir, daß Bayard redete. Er sollte einfach irgend etwas sagen, nachdem meine diversen Versuche, eine Unterhaltung zu beginnen, mir nur knappe Antworten eingebracht hatten.
Zweifellos war er mit seinen Gedanken bereits im Süden und bereitete sich auf dieses überaus wichtige Turnier vor, das er so unbedingt gewinnen wollte.
Die Straße war so still wie ein Gefängnis. Auch genauso langweilig wie ein Gefängnis: Das Trappeln der Pferdehufe über den regendurchnäßten Boden war so regelmäßig wie das Tropfen von Wasser in einer Zelle, die Luft genauso kalt und feucht und unangenehm, die Gesellschaft genauso still und teilnahmslos.
»Also…«, setzte ich an, und mein Gefährte lehnte sich im Sattel vor, sah mir in die Augen und redete zum erstenmal seit fast einer Stunde.
»Kastell di Caela.«
»Was?«
»Du wolltest doch fragen, wo das Turnier stattfindet, oder?«
»Es stimmt mich zuversichtlich, wenn ich so etwas weiß, Sir Bayard.«
Er sah zurück über die Straße, dann wieder mich an.
»Kastell di Caela. Vierzehn Tage von hier. In Südwestsolamnia, ungefähr auf halbem Weg zwischen Solanthus und Burg Vingaard. Wenn wir gut vorankommen, haben wir immer noch drei Tage Zeit, bis das Turnier beginnt. Du kannst unser Zelt aufstellen, Robert di Caela meine Grüße überbringen und mich für das Turnier eintragen.«