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»Hörst du nicht zu, Kindchen?« Die Stimme wurde noch leiser, fast ein Flüstern, und die Luft wurde noch kälter. Draußen hörten die Nachtigallen auf zu singen, als ob die Wasserburg und alles drumherum schwiege, um das Gemurmel des Besuchers zu vernehmen. »Bist du so verliebt in deine eigene Stimme? Ich versichere dir, daß ich keinem ans Leben will.«

Ich stützte mich auf die Ellenbogen, wobei ich eine Staubwolke unter dem Bett aufwirbelte, von der ich zutiefst hoffte, daß sie meine Gedanken und mein Zittern ebenso verbergen würde wie meine genaue Lage.

Leise begann der Herr in Schwarz zu erklären, während das Feuer im Kamin immer weiter herunterbrannte.

»Heute nacht will ich kein Leben. Heute nicht, o nein. Es ist nur die Rüstung, die ich will, Kleiner, die berühmte Rüstung von Sir Bayard von Vingaard, dem verdienten solamnischen Ritter des Schwerts, der heute abend in diesem Hause abgestiegen ist, soweit ich weiß. Oh ja, nur die Rüstung, ein kleiner Preis, nicht wahr, für die zukünftige Sicherheit derer, die du so innig liebst?«

Nun, um ehrlich zu sein, die, die ich so innig liebte, waren größtenteils unter dem Bett. Und wenn ich vorher vor Angst geheult hatte, weinte ich jetzt da mitten im Dreck vor Freude und Erleichterung. Denn mein Besucher war nur ein kleiner Dieb – ein Einbrecher. Ein Bruder im Geiste.

Ich wäre unter dem Bett hervorgekrochen, um diese silbernen Skorpione und das schwarze Schuhblatt zu küssen, wenn ich geglaubt hätte, daß ich durch Bewunderung und Huldigung dieses Diebs weitergekommen wäre. Aber ich befürchtete, daß eine plötzliche Bewegung noch immer unklug wäre. Statt dessen lag ich da und überlegte, was er wohl mit Sir Bayards Rüstung wollte.

Es dauerte nicht lange, bis er mein Schweigen durchschaut hatte. Er setzte sich um. Das Zimmer wurde noch kälter.

»Wie gesagt, es ist nur die Rüstung, die mich interessiert, kleiner Galen. Du solltest dir keine Gedanken darüber machen, was ich damit will.« Ich dachte an den schönen solamnischen Brustharnisch, die Beinschienen und den Helm, die – von meinem ältesten Bruder schlecht poliert – in dem gewaltigen Mahagonischrank im Gästezimmer standen. Sollte der Eindringling sie doch nehmen. Ich hatte andere Sorgen.

»Woher wißt Ihr meinen Namen?«

»Oh… das braucht dich auch nicht zu kümmern. Ich will dir nichts Böses.«

Die ganze Zeit lauschte ich auf Schritte auf der Treppe oder im Gang.

»Also, wenn Ihr hinter der Rüstung her seid, die könnt Ihr gerne haben. Die ist in dem großen Mahagonischrank im Gästezimmer. Bedient Euch.«

»Ah!« sagte die Stimme.

»Das Problem ist nur, daß das Gästezimmer abgeschlossen ist – dreifach verschlossen. Drei Riegel. Und die Schlüssel hat mein Bruder Alfrik. Ich vermute, Ihr werdet die Tür einschlagen oder die ganzen Schlösser knacken müssen, aber letzteres würde zu lange dauern, und ersteres würde das ganze Haus alarmieren…«

»Aber, mein kleiner Freund, ich habe noch eine Alternative«, bemerkte er melodiös, wobei die abgelaufenen Hacken seiner Stiefel in mein Blickfeld gerieten, weil er sich weiter zurücklehnte. In der kalten Luft hing der Geruch von Rauch und Schweiß und altem Blut. »Ich liebe Alternativen.«

Etwas verriet mir, daß das hier kein gewöhnlicher Einbrecher war. Ich steckte bis zum Hals in der Tinte.

Dann eine Bewegung – leise und schnell wie von einer zuschnappenden Viper –, und ein kleiner Lederbeutel flog durch die Luft und landete neben mir. Ich rutschte unruhig herum und zupfte an dem Bändchen. Im Dämmerlicht kullerten ein halbes Dutzend schimmernde Steine heraus, Onyxe vielleicht oder schwarze Opale. Vielleicht dunkle Jade. Im Schatten unter dem Bett war das schwer zu sagen. Sie lagen kühl und glatt in meiner Handfläche, klickten verführerisch aneinander und gegen meinen Namensring.

»Für deine Umstände, kleiner Galen«, flötete die Stimme. Etwas in ihr ließ mich erschauern. Der Eindringling fuhr fort.

»Um Mitternacht komme ich wieder in die Burg, und ich erwarte, daß ich dann ungehindert ins Gästezimmer gelange und daß mich dort die Rüstung erwartet. Von da an sind wir quitt. Solltest du natürlich versäumen, deinen Teil des Geschäfts zu erledigen oder das Schweigen brechen, das ich dir hier und heute auferlege – wenn du irgend jemandem etwas verrätst oder auch nur heute oder später den Wänden deines Schlafzimmers von mir erzählst –, dann habe ich keine andere Wahl, als dir das Fell über die Ohren zu ziehen, Kleiner.«

Anfangs ignorierte ich die Drohung. Schließlich war ich mit den glitzernden Steinchen in meiner Hand beschäftigt und rechnete mir schon aus, wieviel sie mir bei den Händlern im Dorf verschaffen würden, bei denen ich allmählich nicht mehr anschreiben konnte.

Solches Rechnen strafen die Götter mit großem Ärger.

Von der Gier eingelullt, streckte ich nämlich die Hand unter dem Bett hervor, damit die Steine besser beleuchtet waren. Grün und gelb waren sie, mit ein paar Tupfen in Tiefrot… Und schon packte mich der Eindringling mit seinen schwarzen Handschuhen.

Zuerst war ich erschrocken, dann mehr als das, denn der heftige Schmerz seines Griffs schoß wie ein rasch wirkendes Gift im Blut meinen Arm hoch. Es kam mir so vor, als würde sich das Bett über mir drehen, und ich kämpfte benommen um meinen Arm und um mein Gleichgewicht in dem rasch verschwimmenden Zimmer. Sein Griff lockerte sich, und gerade, als ich wieder ruhiger atmen wollte, verschlug mir ein Kitzeln und Kratzen in meiner pochenden Hand erneut den Atem.

Denn auf meiner Handfläche saß mitten zwischen den leuchtenden Edelsteinen ein leibhaftiger, schwarzer Skorpion, der den Schwanz zum Stich erhoben hatte.

Ich wäre fast ohnmächtig geworden, doch die honigsüße Stimme brachte mich wieder zur Besinnung.

»Ich habe den Eindruck, daß du mir nicht richtig… zuhörst, junger Mann. Oh, aber laß mich alle Mißverständnisse deinerseits ausräumen, jede Möglichkeit, daß du mich hier bei unserer ersten Begegnung unterschätzt. Ich will nämlich eine gewisse Ehrlichkeit zwischen uns. Selbst Skorpione halten sich an die Regeln, auch wenn es vielleicht ihre eigenen Regeln sind.«

Das Tier auf meinem Arm verharrte totenstarr wie eine Ebenholzbrosche. Eine Brosche mit einer Giftnadel.

Der Raum, die Stimme, die ganze Welt schien sich auf meine bewegungslose, klamme Hand zu konzentrieren.

»Und die Regeln bei diesem Geschäft sind einfach. Deine bedingungslose Mitarbeit. Dein völliges Stillschweigen. Deine Bereitschaft, zu kommen, wenn ich rufe, und meine Geheimnisse niemals zu hinterfragen. Dafür erhältst du Tag für Tag dein Leben. Wir werden natürlich hin und wieder deine Taten begutachten, um zu überprüfen, ob du die Regeln befolgt oder… versagt hast. Der Tod ist ein gemütliches Nest, Junge. Vielleicht ziehst du ihn sogar irgendwann vor.«

Der Skorpion auf meiner Hand verschwand. Ich schloß sie schnell zur Faust, wobei die Halbedelsteine zu Boden fielen. Als das Klackern verstummt war und der letzte Stein unter dem Stuhl des Eindringlings liegengeblieben war, stand er auf. Seine Stiefel glänzten schwarz im Schein des Feuers.

»Denk dran, Galen Pfadwächter: Der Skorpion kehrt so schnell zurück, wie er verschwindet, und ebenso unerwartet. Aber um Mitternacht werden wir im Gästezimmer der Wasserburg abrechnen. Zu dieser Stunde gehört die Rüstung mir. Oder du.«

Der Eindringling benutzte den Stuhl als Schemel, um auf das Fensterbrett und nach draußen in die Dunkelheit zu steigen – und das im schwindelerregenden dritten Stockwerk! Hinter ihm schwangen quietschend die Fensterflügel hin und her. Ich wußte aus Erfahrung, daß es unter dem Bett immer noch sicherer sein würde. Über mir hörte ich jemanden laufen, ein Knarren, als ein Diener die Stufen zum Glockenturm hochstieg. Bald darauf schlug die Uhr zehnmal.

Dann folgte eine lange Pause, während der sich die Luft in den Zimmern allmählich wieder erwärmte, der Vogel vor dem Fenster sein Lied wieder aufnahm, und ich irgendwann aufhörte zu zittern, ans Licht kroch und kurz auf dem Boden ausgestreckt liegen blieb, um Atem zu holen. Um mich herum lagen dunkle Opale verstreut.