Jetzt sprang ich vom Vallenholzbaum, rollte mich kurz im Dreck, damit ich etwas mitgenommener aussah, biß mir auf die Lippe – nicht schlimm, aber fest genug, um etwas Blut hervortreten zu lassen – und kam dann auf die Beine.
»Laßt euch das eine Lehre sein, daß ihr nicht wieder einen tapferen Ritter von Solamnia angreift!« rief ich.
Bayard wandte sich zu mir um – dieses Mal langsam – und betrachtete mich mit prüfendem Blick. »Kümmer dich um dein Pferd«, befahl er kalt.
Wie zu erwarten, war da nicht mehr viel zu kümmern. Wir sagten Molasses Ade und luden dann meine Sachen auf das Packpferd, das ob dieser zusätzlichen Last nicht sehr dankbar wirkte. Ich wollte noch nicht hören, wie wir den Rest des Weges nach Kastell di Caela zurücklegen würden, und beschloß, diese Frage zu verschieben, damit sich Sir Bayards Zorn in der Zwischenzeit abkühlen konnte.
Die Stimmung war niedergeschlagen, und unsere Kleider waren beträchtlich feuchter geworden. Bayard kehrte zum Feuer zurück, wobei er leise darauf beharrte, daß wir genau hier essen würden, wenn wir überhaupt aßen.
Wir aßen sehr schnell. Bayard zog Trockenfleisch und Trockenfrüchte aus einer der unzähligen Taschen und Pakete der Stute. Das Feuer war leider zum Wärmen gedacht, nicht zum Kochen. Es war ein trockenes, armseliges Mahl, das wir da an der Straße unter den Vallenholzbäumen verzehrten, während neben uns Pferd und Stute zitterten und der Regen stetig strömte.
Ich warf zum Trost die Calantina und erhielt Zwei zu Acht, das Zeichen des Pferdes. Als ich über die Bedeutung nachsann und mich an die Verse zu erinnern versuchte, die zu dem Zeichen gehörten, sah mir Bayard über die Schulter und fragte: »Und was ist das?«
»Zeichen des Pferdes«, erwiderte ich kurz. Ich hatte keine Lust, mit meinem Richter, Geschworenen und Henker Nettigkeiten auszutauschen.
»Ich meine…«
»Die Calantina. Weissagewürfel aus Estwilde.« Vielleicht würde er das als Antwort schlucken, zum Feuer zurückkehren und etwas durchaus Eßbares in dünnen Streifen trocknen, bis es nicht mehr von den Satteltaschen zu unterscheiden war, in denen man es mitnahm. Schließlich konnte es sein, daß wir bis zum Schloß noch einmal unseren Appetit abtöten mußten.
»Müll ist es«, sagte Bayard leise, zog sein Messer und ging zu Valorus.
»Wahrscheinlich«, stimmte ich gedankenverloren zu.
»Warum machst du es dann?« fuhr er mich an, während er unter Valorus kroch und das Vorderbein des Hengstes anhob.
»Was mache ich?«
»Die Calantina natürlich. Salonspiel in Estwilde. Das heißt, wo sie Salons haben. Sie haben es erfunden und nehmen es nicht ernst. Warum solltest du das tun?« schnaubte er.
»Die Calantina verhilft mir in verschiedenen Situationen zur Einsicht, Sir Bayard. Was meine Zukunft angeht, meine Position im ständigen Zusammenspiel der Dinge. Wie ich mich verhalten sollte.«
»Müll«, spuckte er wieder, während er dem Hengst die Hufe auskratzte.
»Müll?«
»Müll, Galen.« Er lächelte. »Du weißt schon. Abfall. Mist. Unrat.«
Dann drehte er sich zu mir, ohne weiter zu lächeln.
»Es gibt viele Sorten Magie auf der Welt, Junge. Das hier ist keine davon.«
»Wie könnt Ihr da so sicher sein?« fragte ich, während ich mich wieder an den Vallenholzbaum anlehnte. Meine Hand steckte immer noch in der Tasche und umklammerte fest die Würfel.
»Na schön«, sagte Bayard gelassen, während er unter Valorus nach dem anderen Vorderhuf des Pferdes griff. »Na schön. Was für ein Zeichen hattest du noch geworfen?«
»Zeichen des Pferdes«, murmelte ich und schaute von Bayard zu dem Tannenwäldchen, weil ich mir immer noch vorstellte, daß die Miliz jeden Moment zurückkehren und angreifen könnte.
»Und was bedeutet das?« fragte mein Herr, der jetzt den Huf säuberte.
»Könnte unsere Reise sein. Könnte das bedeuten, was mit dem armen Molasses geschehen ist.«
»Nicht besonders eindeutig, was?« fragte Bayard siegessicher und ging grinsend zu Valorus’ Hinterbeinen.
»Könnte vieles heißen, wenn man es auf eine Weise auslegt, die wir noch nicht durchschaut haben.« Ich wußte, daß das schwach war, aber ich dachte, dagegen könnte er nichts sagen. Ich täuschte mich.
»Nachträgliche Einsicht, Galen. Ich könnte dir im nachhinein die ganze Straße mit Omen spicken. Zauberei ist auf dieser Straße so selten wie ein Kampf zwischen ehrlichen Männern.«
»Aber ich habe Zauberei gesehen, Sir Bayard«, platzte ich heraus, weil ich an Brithelm dachte.
»Und ich habe ehrliche Männer auf dieser Straße kämpfen sehen«, räumte Sir Bayard ruhig ein und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit. »Goad und Karrock und der Rest der Miliz halten uns wirklich für Verbrecher, und der Kerl da im Gefängnis deines Vaters hat nicht wenig dazu beigetragen.«
Er machte eine Pause, sah mir direkt in die Augen und drehte sich dann zu Valorus zurück. Er kratzte den vierten Huf aus, warf den Dolch auf den Boden, wo er stecken blieb, und stand dann auf.
»Alles, was Goad getan hat«, stellte er schlicht fest, »war, sein Dorf vor einem augenscheinlichen Raubritter zu beschützen. Er haßt den Orden, denn er glaubt wahrscheinlich, daß wir alle Schurken und Verräter sind. Er hat noch viel zu lernen. Du hast auch noch viel zu lernen, Galen«, schloß er, während er zum Packpferd ging. »Falls ich lange genug lebe, um es dir beizubringen.«
Ich wollte widersprechen und Bayard mitteilen, daß er mir meiner Ansicht nach nicht allzuviel beibringen konnte, und daß ich mehr als gewillt war, meine Lektionen anderswo zu lernen, wenn er mich wenigstens an einen Ort brachte, wo es weder Regen noch lästige Miliz gab. Das wollte ich ihm sagen, doch er blieb genau zwischen den Pferden wie angewurzelt stehen und starrte wieder zu dem Tannenwäldchen hinüber, das jetzt fast hinter einer Regenwand verschwunden war.
»Da drüben bewegt sich wieder etwas«, flüsterte er und wich zu Valorus zurück, dem er sein Schwert an den Sattel gebunden hatte.
Ich folgte seinem Blick zu der Linie der Nadelbäume, die durch das graue Strömen des Wassers verzerrt wurde. Etwas ging da drüben vor, doch auf diese Entfernung und in dem vom Regen getrübten Licht konnte ich nichts erkennen.
»Was ist das, Sir?«
Bayard blieb ruhig und starrte nach drüben.
»Goad hat etwas über die ›Philosophie der Zahlen‹ erzählt. Meint Ihr, daß es die Miliz ist, die mit mehr Philosophie zurück ist?«
»Wenn ja, Galen, dann kletterst du lieber wieder auf den Vallenholzbaum. Ich nehme an, ich werde einen Ausguck genauso dringend brauchen wie letztes Mal.« Bayard streckte die Hand aus, um sein Pferd durch die Berührung zu beruhigen.
Die Beruhigung half bei Knappen nichts.
»Dieses Mal könntet Ihr doch ein paar von ihnen töten, Sir«, schlug ich vor. »Nur ein paar, damit wir einen philosophischen Vorteil bekommen.«
Jetzt griff Bayard nach seinem Schwert. Ich beobachtete ihn und wartete darauf, daß er die Waffe ergreifen würde, damit ich meinerseits die Flucht auf den Baum ergreifen konnte.
Aber dazu kam es nicht mehr. Denn hinter Bayard und Valorus erblickte ich vier breitschultrige Männer, die bis zur Brust in einem kleinen Hartriegelhain standen. Durch den Regen konnte ich Hufe auf dem Waldboden scharren hören. Sie bemühten sich nicht länger, sich zu verstecken.
Sie waren beritten und wir nicht. Jedenfalls sah es so aus, bis sie durch die Hartriegelzweige auf uns zu stürmten und wir erkennen konnten, daß sie von der Taille abwärts Pferde waren.
Ich dachte an das Zeichen des Pferdes, als ich rückwärts gegen den Stamm des Vallenholzbaumes stolperte und dann nur noch seine Zweige sah. Dann sah ich nichts mehr außer Grau und schwachem Licht. Schließlich sah ich überhaupt nichts mehr.
5
So viel Durcheinander, und ich war noch keine zehn Meilen von zu Hause entfernt.
Kaum zehn Meilen östlich der Wasserburg meiner Familie lag ein Sumpf, der sich in Nord-Süd-Richtung über vierzig oder fünfzig Meilen erstreckte – wie weit, wußte ich nicht genau – und dann einen Bogen zurück bis zur Wasserburg schlug. Fast all unser Land grenzte an Sumpfgebiete. Der Wächtersumpf war ein glücklicher Zufall in der jüngeren Vergangenheit der Pfadwächter. Vor ungefähr hundert Jahren war er plötzlich auf unerklärliche Weise entstanden und nach uns benannt worden, obwohl das Landvolk seinen Namen abkürzte, wie Landvolk eben ist. Wir betrachteten ihn zwar mit Angst und Mißtrauen, weil uns die Gerüchte beschäftigten, daß Dinge darin zu schnell wuchsen und daß in seiner Mitte merkwürdige, halbverfaulte Wesen hausten, doch eigentlich umgab der Sumpf sehr bequem das Land der Pfadwächter und schützte uns vor der Feindseligkeit gegenüber den Rittern von Solamnia, die nach der Umwälzung in Ansalon aufgekommen war.