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Ihr kennt alle die Geschichte über den Fall von der Gnade. Die Menschen von Solamnia entschieden natürlich, daß die Ritter die Umwälzung schon jahrelang vorhergesehen hatten, ohne jedoch willens oder fähig zu sein, die anderen zu warnen. Diese Einstellung wurde zur Entschuldigung, um jedem Ritter aufzulauern, der durch ihren Teil des Landes zog.

Dennoch hätte es für unsere Familie während all des Lärms und der Verfolgungen schlimmer sein können. Zunächst einmal hatten wir nie direkt in Solamnia gelebt, wo es den meisten Ärger gab. Wir waren etwas westwärts in Küstenlund, wo wir durch unsere Abgeschiedenheit geschützt und, wie sich herausstellte, vom ›Wächtersumpf‹ umzingelt waren. Obwohl viele Männer darauf aus waren, sich mit Rittern zu schlagen, wollten nur wenige von ihrer Straße weg oder gefährliches Terrain durchqueren, um sich dort Beulen zu holen. So war der Sumpf unser Glück gewesen – das meiner Familie und meines.

Was nicht heißen soll, daß man mich je in der Nähe dieses gräßlichen Ortes hätte finden können, wo es Schlangen und Krokodile gab, und außerdem Banditen, die nur um weniges warmblütiger und menschlicher waren als die Reptilien. Bis jetzt hatte ich mich immer bemüht, diese Gegend zu meiden.

Ich erwachte auf dem Rücken eines Pferdes, jedenfalls kam es mir so vor. Denn ich war wie eine schmutzige Decke oder ein Sattel mit dem Gesicht nach unten über einen breiten, gefleckten Rücken gebunden, der nach Schweiß und Pferd roch. Der Boden raste unter mir vorbei, und der feuchte Nachmittagswind peitschte mir ins Gesicht.

Ich verlagerte mein Gewicht, um mich in den Sattel zu setzen. Aber da war kein Sattel zum Aufsetzen. Statt dessen ging ein Seil fest um meine Handgelenke, und eine starke Hand zog an meinen Haaren, um mich zurückzuhalten. Ich wand mich und trat nach dem, der mich festhielt – gegen die Hand zumindest –, aber da, wo ich ihn rechtmäßigerweise erwartet hatte, war kein Reiter.

Dann erinnerte ich mich an die Pferdemänner, die durch Busch und Unterholz auf uns zugeprescht waren. Ich hob den Kopf so hoch wie möglich und sah genau auf den breiten Rücken und die Schultern eines dieser Wesen.

Ich lag anscheinend auf einem Zentauren, der auf die Sümpfe zu und höchstwahrscheinlich zur Folterbank eilte.

Wo war Bayard?

Hatten sie ihn gefangen genommen? Oder war er womöglich einfach davongerannt und hatte mich ihnen überlassen, während ich ohnmächtig unter dem Vallenholzbaum lag? Quer über dem Rücken meines Fängers liegend, schmollte ich bitter vor mich hin und erwartete das Zertrampeln, das gewiß folgen würde. Ich stellte mir vor, wie die Pferdemenschen sich hoch aufbäumten, ihre Waffen schwangen und mich zu Futter verarbeiteten.

Der, der mich trug, hatte einen leichten Tritt. Für ein so großes Wesen bewegte er sich geschickt – sogar geschmeidiger als ein Pferd, vielleicht weil all diese Muskeln, die Geschwindigkeit und der Gleichgewichtsinn von einer Intelligenz gelenkt wurden, die der menschlichen ebenbürtig war. Es war eine Kombination von natürlicher Anmut und offensichtlicher Kenntnis des Geländes, denn wir kamen unserem Ziel mit beeindruckendem Tempo näher.

Was das auch für ein Ziel war. Es wurde langweilig, nie zu wissen, wo es hingeht.

Aber das Wo war möglicherweise meine geringste Sorge. Schon wenige Minuten nach meinem Erwachen blieb mein Fänger auf einer Erhebung im Sumpf mitten zwischen Zedern, Wacholder, Ewigkeitsbäumen und anderen immergrünen Gewächsen, die ich nicht benennen konnte, plötzlich stehen. Er verharrte, schnaufte leicht und wartete scheinbar auf jemanden, während ich versuchte, eine bequemere Position einzunehmen.

Ich erschauerte. Das Licht auf dieser Lichtung zeigte unendlich viele Grüntöne. Und es wirkte bedrohlich. Mit all den Zedern drumherum roch es wie ein guter Platz, um zu sterben. Der Gestank des Sumpfes, der schwache Schweißgeruch und der stärkere Pferdegeruch wichen dem sauberen Duft der Nadelbäume, wie wenn man gebrauchte Kleider in einer Zedernholztruhe zurücklegt, damit sie den Gestank verlieren und man sie nicht waschen muß. Alter Bubentrick, der einen gewöhnlich auch vor dem Baden bewahrt.

Nach einem kurzen Blick in die Lichtung setzte sich mein Fänger und ließ mich von seinem Rücken auf den bemoosten Boden gleiten. Das Moos war dick und weich, aber dennoch tat der Fall mir weh, und ich lag einen Moment mit dem Gesicht nach unten, bis ich meine Sinne so weit beisammen hatte, daß ich aufstehen konnte.

Der Zentaur stand in dem flimmernden grünen Licht über mir und hielt eine Sense in der Hand, die mindestens sieben Fuß lang und so dick wie eins meiner Beine war. Flucht kam nicht in Frage.

»Wir warten, bis Sein Herr sich zu uns gesellt, Kleiner«, knurrte der Pferdemensch. Er bot keinen Angriffspunkt, nichts, wo man eine Diskussion ansetzen konnte.

»Seid Ihr ein Zentaur?« fragte ich schließlich, nachdem ich wieder normal atmen konnte und mir die Tannennadeln vom Gesicht gewischt hatte.

»Das ist der Name, den Sein Volk benutzt«, erwiderte der Zentaur abgelenkt, wobei er einen breiten Weg mit abgeknickten Ästen und zertrampeltem Unterholz entlang starrte, da er anscheinend noch jemand erwartete. Ich folgte kurz seinem Blick und sah, wie der Pfad sich selbst wieder schloß. Sah, wie das Gebüsch sich zurückbog, das Wasser wieder über den Pfad sickerte und wie –

Die Schlingpflanzen nachwuchsen? Schilf aus dem Wasser wuchs?

Ich schrieb es dem täuschenden Licht auf der Lichtung und dem Schlag zu, den ich beim Absteigen abbekommen hatte. Der Zentaur sah mich jetzt wieder direkt an. Flucht kam immer noch nicht in Frage.

Seine Augenbrauen, die wie sein Rücken braunweiß gesprenkelt waren, zogen sich zusammen. Er war jung – nur ein oder zwei Jahre älter als ich, falls Zentauren ähnlich alterten wie wir. »Ich dachte, ihr wärt Fabelwesen«, murmelte ich und sah mich auf dem Hügel um. Ich hielt Ausschau nach kleinen, engen Pfaden in den Sumpf und… in die Sicherheit? Bei Krokodilen, Treibsand und Krankheiten?

Vielleicht sollte ich mein Glück bei dem großen getupften Kerl da vor mir versuchen. Schließlich klingt jemand, der so förmlich redet, für mich nicht wie ein typischer Mörder. Wenn er jung war, dann war er vielleicht dumm und leicht zu beeinflussen.

Das ist eine ziemlich sichere Regel, und Agion war da keine Ausnahme.

So hieß er nämlich, auch wenn mir das zu diesem Zeitpunkt herzlich egal war. Als er sicher war, daß wir eine Weile allein sein würden, wurde mein neuer Gefährte gesprächig, ja fast unbedarft. Rasch erfuhr ich seine Lebensgeschichte: Er war unter den Zentauren kein großes Tier, sondern war noch jung und galt bei seinem Volk als etwas langsam und tölpelhaft. »Dich zu bewachen, ist die erste richtige Aufgabe, die die Ältesten mir in diesem Krieg hier gegeben haben«, erklärte er stolz.

»Krieg? Warte mal, Agion. Was soll das heißen, Krieg?«

Der große Kerl hielt inne und wurde rot.

»Ich habe vielleicht schon zuviel gesagt. Meine Gefährten werden Ihm erzählen, was Er wissen muß, wenn es soweit ist.« Er trottete zu einer Ecke der Lichtung und spähte in die Blätter und den Matsch zurück. Hinter ihm wuchs das Moos und das Gras, das seine Hufe zertrampelten, sofort auf unnatürliche Weise nach. Ich konnte mich nicht daran gewöhnen.