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Agion sah mich fragend an. Ich nickte ihm aufmunternd zu. Die Nachricht von einem dritten Spion hatte mich umgehauen, aber ich war fest entschlossen, das nicht zu zeigen.

»Sonst wäre die Rüstung vielleicht gut versteckt geblieben«, sagte er, »denn wir hatten vor, euch nur zu beobachten, bis wir den Solamnier mit der Miliz reden hörten. Dann mußten wir näher kommen, um euch nach dem zu durchsuchen, was wir bei euch vermuteten – und fanden.«

Jetzt war ich sicher, daß uns jemand folgte.

Ich erinnerte mich an die dunklen Ecken in der Bücherei und die Bewegung schwarzer Flügel.

Wer sonst sollte der dritte Mann aus Agions Geschichte sein?

Wenn ich also diesen vierbeinigen Kidnappern entkam, was dann? Wer weiß, was für anderes Unheil mich erwartete?

Wäre in diesem Moment nicht Bayard mit einer Eskorte von einem halben Dutzend Zentauren auf die Lichtung getreten, hätte ich bestimmt versucht, mit Agion zu handeln, hätte ihm Geld, Land und die halbe Wasserburg angeboten, wenn er mich nur sicher zurück zu Vaters Ungnade und einem Ehrenplatz in seinem Kerker brachte – feucht und dunkel und voller mieser Kerle, aber wenigstens sicher vor Skorpionen.

Bayard war anscheinend nicht freiwillig mitgekommen. Einer der Zentauren trug einen Arm in einer Schlinge, ein anderer hatte eine blutige Nase. Bayard selbst sah nicht viel besser aus. Die rechte Seite seines Gesichts war geschwollen und verfärbt, seine linke Hand blutete und umklammerte seine rechte, die auch nichts anderes machen konnte, weil die Zentauren seine Hände gefesselt hatten. Von den straff gezogenen Seilen waren seine Handgelenke aufgescheuert.

Wenig zeremoniell warfen ihn die Zentauren auf der Lichtung auf den Boden und bildeten dann einen Kreis um uns. Bayard lag als geschlagenes Häufchen auf dem Boden, lächelte mich reumütig an und stand taumelnd auf.

»Hier und jetzt wird Er sich für Sein Verhalten verantworten, Solamnier«, verkündete einer der Zentauren, eine vierschrötige Gestalt, deren Haut dunkel und verwittert wie eine Zypresse war. Sein Haar war ebenfalls weiß, aber im Unterschied zu Agions kam das von Alter und Weisheit oder zumindest einer gewissen Bauernschläue. Man könnte auch sagen, Sumpfschläue.

Der Alte war anscheinend der Anführer. Er sah aus, als wäre er es gewohnt, daß man ihm Rede und Antwort stand.

Nur Bayard war vielleicht ein bißchen zu viel herumgeschubst worden. Seine Höflichkeit war nicht mehr die alte, als er sich zu voller Größe aufbaute und den alten Zentauren anstarrte.

»Für mein Verhalten kann ich mich leicht verantworten, mein Herr. Es ist das eines Ritters von Solamnia, wenn er und sein Knappe ohne Vorwarnung – und ich möchte hinzufügen, auch ohne Grund – von sieben Mann angegriffen werden, die angeblich Vertreter des Guten und der Gerechtigkeit sind. Das ist meine Antwort, mein Herr – sehr einfach und direkt, das stimmt, aber als Eure Männer mich überfielen, nahm ich an, daß wir über höfliche Begrüßungen hinaus waren.«

Ich glaube, der alte Zentaur lächelte.

»Er gibt also zu«, sagte der Alte, »daß Er dem solamnischen Orden angehört?«

Trotz meiner warnenden Gesten und meines Räusperns und meines Ellbogens zwischen seinen Rippen antwortete Bayard wie zuvor – völlig aufrichtig.

»Zugeben? Nein, ich bin sogar stolz darauf, mein Herr! Denn trotz allem, was Ihr gehört habt, steht der Orden in solch prinzipienlosen Zeiten immer noch für edle und wahre Grundsätze. Hör auf, mich zu stoßen, Galen!«

»Und die Rüstung?« fragte der alte Zentaur, dessen wilde, grüne Augen mich niederrangen, wobei sie wie Smaragde auf Leder glitzerten.

»Die Rüstung gehört mir«, erklärte Bayard, »auch wenn sie mir vor einigen Tagen für kurze Zeit entwendet wurde und von jemandem getragen wurde, für dessen Verbrechen ich nicht verantwortlich gemacht werden kann.« Er kreuzte seine Arme über der Brust und erwartete die Antwort des Zentauren.

Die so ausfiel, wie ich befürchtet hatte.

»Herr Ritter, wenn Seine Aussage nur gegen das stünde, was ich gehört habe, so wäre ich wahrlich zu Milde geneigt. Aber da ist die Sache mit den Satyren, und in dieser Sache steht das Zeugnis meiner Augen gegen Seins, und auch die Augen meiner Brüder haben Seine Untaten gesehen.«

»Satyre?«

Bayard sah mich verwundert an. Ich zuckte mit den Achseln. Was wußte ich schon von Satyren?

»Die Satyre!« fuhr der alte Zentaur fort. »Die Ziegenmenschen!«

Mehrere seiner Kameraden nickten deutlich zustimmend und schüttelten höchst bedrohlich ihre Mähnen. Bayard wartete einen Augenblick, um dann offen zu reden.

»Ich schwöre Euch, mein Herr, daß ich das nicht kenne, was Ihr ›Satyre‹ nennt. Und ich schwöre, daß ich nie meine Hand gegen Euch oder Euer Volk erhoben habe, bis Ihr vor kurzer Zeit aus dem Hinterhalt auf die Straße gestürmt seid.«

Der alte Zentaur neigte seinen riesigen, zotteligen Kopf und flüsterte dem Hauptmann mit der blutigen Nase rechts von ihm etwas zu. Dann galoppierten die beiden ans andere Ende der Lichtung. Zwei andere schlossen sich ihnen kurz darauf an – zu meiner Erleichterung war der, dessen Arm Bayard gerade ausgekugelt hatte, nicht dabei. Ich war nämlich davon überzeugt, daß bald abgestimmt werden würde, was mit uns zu geschehen hatte. Es begann eine lebhafte Diskussion, doch von meinem Platz aus konnte ich nichts verstehen.

Ich konnte von dort aus auch nichts tun. Also griff ich in die Tasche, hockte mich hin und warf die Calantina. Das Gras war mittlerweile knöchelhoch, und ich mußte es beiseite fegen, um die Zahl erkennen zu können.

Sechs und zwölf: Zeichen der Ziege. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß die Ziege das Talent hatte, praktisch überall und unter allen Umständen zu überleben. Ich hoffte, das galt auch für Sümpfe und Gefangenschaft, denn ich sah uns schon eine Weile hier festsitzen.

»Was sagt dein Kaffeesatz, Galen?« flüsterte Bayard, der sich schmerzverzerrt neben mich setzte.

»Er sagt, daß es manchmal dumm ist, die ganze Wahrheit zu sagen, Sir«, log ich. »Aber Ihr habt mir ja gesagt, daß Ihr sowieso nicht an die Calantina glaubt.«Die Zentauren, die zu unserer Bewachung zurückgeblieben waren, schienen informierter zu sein als wir. Zwei von ihnen betrachteten uns aus der Entfernung, schwangen ihre Keulen und grinsten bösartig. Nur Agion blieb freundlich, doch es war recht deutlich, daß ihm keiner zuhörte.

»Keine Sorge«, ermutigte er mich, als er ein paar kleine, schimmernde Nüsse vom blaunadeligen Zweig eines überhängenden Ewigkeitsbaums pflückte und in den Mund warf. »Archala verhängt niemals ungerechte Strafen.«

Das konnte meine Bedenken natürlich nicht ausräumen. Es wäre viel besser, wenn dieser Archala überhaupt keine Strafe verhängen würde, denn mir war egal, ob diese gerecht oder ungerecht ausfiel. Hauptsache, ich kam heil davon.

Ich überlegte, ob ich Bayard von dem dritten Mann erzählen sollte, den die Zentauren eine Meile oder so hinter uns auf der Straße gesehen hatten. Aber was sollte ich Bayard sagen, wenn er fragte, wer das meiner Meinung nach war? Was sollte ich ihm über den Mann mit der honigsüßen Stimme sagen, der in die Wasserburg eingebrochen war?

Um ehrlich zu sein, hatte ich kein wirkliches Verlangen danach, mein Gewissen zu erleichtern, bevor die Zentauren mich an den Knöcheln packen und wegen Spionage ersäufen würden. Manchmal ist es wirklich dumm, die volle Wahrheit zu erzählen. Deshalb saßen wir schweigend da. Bayard rieb seine Blessuren, und ich dachte mir verzweifelt Möglichkeiten aus, dem Urteil zu entgehen. Jedem Urteil.

Aber da sich niemand bewegte oder scharrte oder Zweige abbrach, vernahm man wieder die Geräusche des Sumpfes – die komischen Lieder unbekannter Vögel, hin und wieder das laute Quaken eines Ochsenfroschs oder Insekten, denn die Tiere waren aus ihren Verstecken gekrochen, als der Regen aufgehört hatte und die Sonne hervorkam. Die Luft um uns herum war wärmer, aber noch immer schrecklich drückend und feucht. Man konnte die Pflanzen zwar nicht wachsen sehen – nicht wirklich –, aber man sah von einer weg, und wenn man ein paar Minuten später wieder hinsah, war sie größer – oder man hielt sie für größer.