Bayard und Agion liefen eine Weile schweigend weiter, bis ich von der Pause genug hatte.
»Weiter Agion. Was geschah, als ihr versucht habt, euch mit diesen Wesen anzufreunden?«
»Wie Er sieht, kleiner Freund, stand das unter einem schlechten Stern«, fuhr Agion traurig fort. »Zuerst blieben die Satyre auf Distanz. Sie knurrten. Sie schwangen ihre Waffen.«
»Das hätte ich nicht als sehr günstige Voraussetzungen empfunden, Agion«, unterbrach ich ihn trocken. Bayard zischte meinen Namen und warf mir einen bösen Blick zu. Ich grinste ihn frech an und drängte dann den Zentauren leise, fast ernsthaft, weiter zu erzählen.
Was er nach kurzem Schmollen tat.
»Aber wir dachten, sie wären nur vorsichtig, weil sie auf fremdem Boden waren«, sagte er entschuldigend. Sein langer Schwanz klatschte an seinen Rumpf und erschlug irgendein Insekt. Etwas weiter rechts schrie etwas auf, und ich wäre fast von Agions Rücken gesprungen, doch weder der Zentaur noch Bayard wirkten alarmiert. Statt dessen schienen sie beinahe erleichtert, daß etwas die zunehmend lastende Stille des Sumpflands durchbrochen hatte.
Denn auch ihnen war die Stille aufgefallen.
»Wie ich schon sagte, wir dachten, sie wären nur vorsichtig«, wiederholte Agion. »Jedenfalls bis sie zwei aus unserem Volk umbrachten.«
»Das ist der Teil der Geschichte, auf den ich sehnlichst gewartet hatte«, meinte ich. »Denn ich liebe Mordgeschichten, die genau da stattfinden, wo ich bin, wenn diese Geschichten erzählt werden.«
»Möchte Er, daß ich nicht weiter erzähle? Es wird traurig, das ist richtig, aber es wird auch merkwürdig und für den, der zuhören will, eine lohnende Geschichte.«
»Dann erzählt Eure Geschichte, Agion«, drängte Bayard, als wir eine tückische Pfütze mit trübem Wasser erreichten, die mitten im Weg war. Das Wasser blubberte, als Agion und ich darüber stiegen, beruhigte sich dann bis auf ein paar kleine Wellen, um wieder zu blubbern und zu brodeln, als Bayard Valorus herumführte. Dann beruhigte sich das Wasser erneut, als das Packpferd als Schlußlicht unserer kleinen Gruppe es sicher umging.
»Ich war nicht dabei, als das Töten geschah«, sagte der Zentaur, während er mit dem Ende seiner Sichel vorsichtig eine Schlingpflanze berührte, die mitten in den Pfad hing. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß es wirklich eine Pflanze war, schnitt er sie säuberlich von dem Ast ab, von dem sie herunterbaumelte. Dann duckte er sich unter dem Ast hindurch. »Aber ich habe die Geschichte von Archala selbst, der immer richtig sieht und richtig berichtet. So hat er es mir erzählt:
Es waren sechs von uns: Archala und Brachis und Elemon und Stagro der Jüngere und Pendraidos und Kallites. Sechs Offiziere, die im Hochsommer ins Zentrum des Sumpfes aufbrachen, um mit den Neuankömmlingen, den Ziegenmenschen, Frieden und Freundschaft auszuhandeln.«
Auch wenn ich eine gelegentliche Erzählung von Mord oder Krieg oder sonstigem willkürlichen Blutvergießen hinnehmen kann, hasse ich Geschichten über unheimliche Todesfälle, besonders wenn sie mir an einem unheimlichen, einsamen Ort erzählt werden. Agion hingegen erzählte das grausige Ereignis begeistert und genußvoll. Es ist so, daß eine ganze Reihe von Geschichten, die sich die Zentauren merken und weitererzählen, mit dem geheimnisvollen Tod der meisten, wenn nicht aller Beteiligten enden. Damals wußte ich das noch nicht, doch in dieser waren die Verluste auch nicht hoch.
»Es waren sechs von uns«, sang Agion, »doch nur vier Geschichten kehrten auf das Festland zurück.
Die erste war die von Archala, dem Anführer der Soldaten und Ältesten, der sie fallen sah, Kallites und Elemon, der nichts als ihr Fallen sah, nichts als ihre Schreie hörte. Dann sah er den Ritter von Solamnia fortreiten.
Die zweite war die von Pendraidos dem Chirurgen, der sie fallen sah, Kallites und Elemon, der keine Wunde an ihren Körpern fand, bis wir glauben mußten, daß es keine Wunde gegeben hatte, daß nur ihre großen Herzen aufgehört hatten zu schlagen. Auch er sah den Ritter von Solamnia fortreiten.
Die dritte war die von Stagro dem Jüngeren, dem Bogenschützen, der sie fallen sah, Kallites und Elemon, und der doch keinen Feind sah, der seine Freunde schreien hörte, der die spöttischen Rufe der Satyre hörte, der einen Schrei über allen vernahm. Und dieser eine Schrei schwoll an zu einem lauten und perlenden und honigsüßen Lachen, als Kallites und Elemon sich im Schilf des Sumpfes vor Schmerzen wanden. Dann hörte er, Stagro der Bogenschütze, seine Freunde ein letztes Mal in Schmerz und Todesqual aufschreien. Und sah den Ritter von Solamnia davonreiten.«
Bayard runzelte die Stirn. Er senkte den Kopf, um jede Einzelheit mitzubekommen. Das mit dem honigsüßen Lachen ließ mir den Atem stocken. Ich dachte an den Skorpion.
»Die vierte war die von Brachis dem Jäger, der die Hunde von Archala hielt, der keinen fallen sah, jedoch…«Es geschah alles sehr schnell. Und zwar so schnell, daß ich kaum Zeit hatte, voller Panik die Flucht zu ergreifen.
Valorus schnaubte und scheute vor ein paar Binsen links von uns, die sich plötzlich wie die Wasserlachen, an denen wir am Rand der Lichtung vorbeigekommen waren, wild bewegten. Es sah aus, als würden die Binsen zerkaut und von etwas Enormem, Unsichtbarem zerkleinert.
Agion erhob seine Sense und drehte sich abrupt um. Viel zu abrupt allerdings, denn die schnelle Bewegung warf mich von seinem Rücken ins Gras und in ein Fuß tiefes Wasser.
Bayard war fast über seine eigenen Füße gestolpert, als Valorus’ kräftiger Ruck an den Zügeln ihn fortriß. Fluchend ließ er den Hengst los, der an die Seite sprang und stehenblieb, weil er die Bewegung im Unterholz sah. Dann riß der Zügel, an dem Bayard das Packpferd geführt hatte, mitten entzwei, als die Stute voller Panik daran zerrte. Sie wieherte laut, keilte wild nach etwas aus, das ich nicht sehen konnte, und stürzte sich dann Hals über Kopf in den Sumpf – wahrscheinlich auf und davon.
Nicht daß ich Zeit gehabt hätte, mir über den Verbleib der Stute Gedanken zu machen. Denn ein Kampf begann, jedenfalls sah es so aus. Bayard und Agion schlugen mit ihren Waffen durch die Luft, die um ihre Klingen herum schimmerte und tanzte, als wenn sie durch Wasser schnitten. Aber das war auch alles, was ich vom Feind sah, dieses ungewöhnliche Schimmern in der Luft. Das heißt, bis ich mich aufgerappelt hatte und wieder auf dem Weg stand.
Vier Satyre waren auf dem Weg in einen tödlichen Nahkampf mit meinen beiden Begleitern verstrickt. Ich zwinkerte rasch und wich zurück, weil ich immer noch nicht begriff, wie diese Wesen aus den Luftwirbeln gekommen waren.
Es waren kräftige Kerle, diese Satyre, und noch häßlicher, als man sich aufgrund der Beschreibung »Ziegenmenschen« hatte vorstellen können. Ja, sie waren gehörnt, und ihr Unterkörper war mit schmutziger, fleckiger Haut bedeckt. Ja, sie hatten kurze, strähnige Schwänze und Hufe an den Füßen. Ja, ich konnte sie schon von weitem riechen. Aber darüber hinaus waren ihre Gesichter nur Haut und Knochen, und ihre Züge waren nicht sehr ziegenartig – Ziegen können sehr edel aussehen, auch wenn sie nicht besonders schön sind –, sondern ähnelten denen von Riesen oder grauenhaft verzerrten Menschen. Und zudem trugen alle vier Messer und kurze Speere, mit denen sie unsere Gruppe angriffen.
Mir kam es so vor, als wären wir zahlenmäßig unterlegen.
Wenn ein Strammer junger Bursche wie Agion und ein erfahrener, geübter Kämpfer wie Bayard schon kaum Chancen hatten, das zu besiegen, was sie angriff, dann wußte ich nicht, was passieren würde, wenn sich ihnen ein magerer Junge mit spitzem Gesicht anschloß, der ein ruhmreiches, langes Messer trug.
Also kauerte ich mich an den Wegrand, während meine Kameraden sich auf den Feind stürzten. Bayard wich dem Speerstoß des vordersten Satyrs aus und versetzte dem Kerl einen kräftigen Tritt ins Hinterteil. Der Satyr kullerte in das hohe Gras am Wegrand, aber zuvor war Bayards Fuß – anscheinend – bis zum Knöchel in seinen Rücken gedrungen.