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Dann kam ein rauhes, scheußliches Kreischen von irgendwo weit rechts. Mir war, als wäre ein Rabenflügel über mein Gesicht gestrichen und hätte den kalten Hauch von Nacht und Tod gebracht.

Das war kein Ort, um den Einbruch der Dunkelheit abzuwarten. Ich stand auf und lief los, wanderte in einem alptraumhaften Bogen durch die bestimmt längsten Minuten meines Lebens. Dann brach ich aus dem Unterholz auf den Pfad, wo ich hinkniete und im Überschwang den Boden küßte.

Ich ging in die Richtung los, die Bayard eingeschlagen hatte – oder zumindest meiner Meinung nach eingeschlagen hatte. Langsam kamen wieder bekanntere Geräusche auf, als das Grün der Blätter mit einbrechender Dämmerung dunkler wurde. Irgendwo hinter mir quakte eine Horde Frösche. Eine Eule erwachte. Es wurde laut im Sumpf, fast lebhaft. Ich hätte gern den Pfad verlassen und mir ein Versteck gesucht, solange noch genug Licht da war.

Aber während ich darüber nachdachte und so weit wie möglich nach rechts in den Sumpf blickte, hörten links von mir alle Geräusche auf. Ich nahm mein Schwert zur Hand und sah zu, wie Schilf und Efeu sich an einer Stelle teilten. Ich wartete darauf, daß wieder alles raschelte, blubberte und brodelte wie direkt vor dem Hinterhalt, und war erleichtert, als das nicht geschah.

Agion glaubte, daß wir – Bayard und ich – zu dritt gewesen waren. Es war noch jemand in dieses Schlammloch eingedrungen.

Ich dachte an den Skorpion, und wie still und abgelegen der Ort hier war.

Oder vielleicht hatte Archala seine Meinung geändert. Vielleicht waren wir jetzt doch als Spione überführt. Vielleicht waren wir schon verurteilt.

Von allen, die ich möglicherweise erwartet hatte, war Brithelm der letzte.

Doch es war tatsächlich mein älterer Bruder. Bayard, der auf einer Matratze in der Luft saß. Seine Augen waren geschlossen, und in der Hand hielt er eine Hundepfeife. Sein Gesicht leuchtete auf, als er mich sah. »Galen!« rief er, so daß man ihn durch den ganzen Sumpf und womöglich bis hin zur Wasserburg hören konnte. Gewiß erreichte sein Ruf die Ohren der Satyre, die nicht weit weg waren und zweifellos nach mir suchten.

Brithelm kam auf mich zu, ohne auf Satyre und Hinterhalte zu achten. Er wußte auch nichts von schlimmeren Gefahren und von dem traurigen Schicksal, das Kallites und Elemon widerfahren war. Von jenseits des Pfades hörte ich Bayard aus der sicheren Deckung schreien: »Runter!« Es war peinlich nah. Und bei diesem Ruf strahlte Brithelm noch mehr.

»Mein kleiner Bruder. Glücklich im Dienst von Sir Bayard von Vingaard. Erlaube mir, erst den Ritter zu begrüßen, wie es Brauch und Sitte ist.« Ich wollte ihm nachrennen und ihn runter reißen, doch als ich rechts im Unterholz eine Bewegung hörte, überlegte ich es mir anders und sprang schnell beiseite.

Das rettete mir wahrscheinlich das Leben.

Zwei Satyre mit kleinen, aber gemeinen Tomahawks brachen aus dem Unterholz und schlugen auf Brithelm ein.

Der sie nicht gesehen hatte. Der immer noch ungerührt über den Pfad lief.

Ich war wie gelähmt, als ob ich eine dieser großen, hypnotisierenden, giftstrotzenden Schlangen beobachtete, die die Männer aus Neraka einander bei politischen Unruhen in Körben zuschicken. Ich sah eine Bewegung vor mir, sah eine Sekunde lang Bayard, der aufspringen wollte, um meinen Bruder zu retten, sah einen starken Arm – wahrscheinlich Agions –, der ihn zurückzog.

Sah Brithelm mitten durch die Satyre gehen, ohne verletzt zu werden. Sah, wie die Waffen nutzlos durch die Luft sausten. Sah, wie die Satyre so schnell wieder in ihren Verstecken verschwanden, als ob sie sich in Luft aufgelöst hätten.

Brithelm hatte nichts bemerkt.

Er ging weiter den Pfad entlang, bis er sich zur Seite drehte, mit seinen Armen das Schilf zerteilte und dem wie vom Donner gerührten Bayard die Hand schüttelte. Dann dem wie vom Donner gerührten Agion. Dann trat Bayard, gefolgt von dem Zentauren, ins Freie, wobei keiner von beiden die Blicke von meinem Bruder losbekam.

Da die Satyre vorläufig verschwunden waren, trat auch ich heraus.

Wir standen sprachlos um Brithelm herum. Der sah lächelnd und nickend von einem zum anderen – ich haßte es richtig, ihm mitteilen zu müssen, daß er angegriffen worden war.

Schließlich brach ich das Schweigen, indem ich meinen Herrn ansprach, der bei dieser völlig aus der Hand gelaufenen Unternehmung ja wohl der Schlauste war.

»Macht Ihr das, Sir.«

»Als erstes sollten wir mal vom Pfad runter«, drängte Bayard. »Die Satyre könnten jeden Augenblick zurückkommen.«

»Wenn sie das tun, könnten wir uns doch hinter Brithelm verstecken«, schlug ich vor.

Bayard warf mir einen wütenden Blick zu, als er uns zu der Stelle führte, wo er und Agion sich versteckt hatten – eine kleine Lichtung, die größer geworden war, weil sich das hohe Gras und Schilf dem Gewicht eines Zentauren nur schwer widersetzen konnte. Dennoch richtete sich das Blattwerk bereits wieder auf, so daß wir brusthoch in den Binsen standen. Nun ja, Agion bis zur Flanke und die beiden anderen bis zum Bauch. Agion befreite die Stelle von Schilf und Schlingpflanzen, indem er seine Sense schwang, die er von der Straße zurückgeholt hatte, wo die Satyre sie nicht angerührt hatten.

Es gab mir eine gewisse Sicherheit, daß Brithelms Bericht, wie und warum er hergekommen war, bekannt und sogar beruhigend war.

Mein Bruder war genauso hirnverbrannt wie eh und je.

Am Morgen meiner Abreise war Brithelm anscheinend aus einer Trance erwacht und hatte entdeckt, daß ich fort war. Er gab zu, daß er das erwartet hatte – daß sein jüngerer Bruder seiner »Berufung zum Ritter« folgen würde, wie Brithelm es so großzügig ausdrückte. Bayard war so großzügig, nicht zu lachen.

»Aber beim Erwachen gab es auch etwas Unerwartetes, kleiner Bruder, unerwarteter, als du dir je hättest träumen lassen. Denn ich bin es zwar gewohnt, Zeichen und Visionen zu empfangen, aber noch nie habe ich etwas so… Wirkliches, so Faßbares wie das hier erhalten.«

Brithelm suchte in den Taschen seiner Robe herum und zog die Hundepfeife heraus.

»Das ist eine Hundepfeife, Galen«, erklärte er ernsthaft, »man benutzt sie, um – «

»Um Hunde zu rufen. Doch, Brithelm, ich weiß, was das für ein Ding ist und wie es da hin kam.«

»So wie ich, mein Bruder, so wie ich«, rief Brithelm glückselig aus. »Es ist ein Zeichen von Huma. Ein Zeichen von Huma, das mich drängt, Einsiedler zu werden.«

Bayard lächelte breit und nickte meinem armen, verwirrten Bruder ermutigend zu.

»Denn siehst du«, fuhr Brithelm ernsthaft fort, »ich hatte darüber meditiert, ob ich mich wieder in die Einsiedelei zurückziehen sollte, nachdem die Bienen mich von dort vertrieben hatten.«

Ich erinnerte mich daran. Mein Bruder hatte wochenlang ausgesehen, als hätte man ihn verprügelt. Agion nickte mitleidig.

»Kann Er im Stehen schlafen?« fragte er meinen Bruder, der lächelnd nickte, obwohl mir nicht klar war, wie er verstanden haben sollte, was Agion zu ihm gesagt hatte.

»Diese Pfeife ist das Zeichen«, fuhr Brithelm fort, »ich werde die Tiere rufen und alles aus der Natur, und sie werden antworten und zu mir kommen. Werden sich versammeln.«

Es gab ein Geräusch auf dem Pfad, das aus der Mitte des Sumpfes kam und sich langsam näherte. Schilfgeraschel und Platschen. Ich konnte mir vorstellen, daß Brithelm schon stundenlang fröhlich in unsere Richtung unterwegs gewesen war, diese Pfeife geblasen hatte und den ganzen Sumpf auf sich aufmerksam gemacht hatte. Es bestand die Chance, daß die lastende Stille um uns herum auf die Pfeife zurückging. Es bestand die noch größere Chance, daß wir jetzt, mit Bayard in unserer Mitte, noch viel wahrscheinlicher auf die Satyre treffen würden.