Bayard gab uns ein Zeichen, daß wir still sein sollten, darum hatte ich keine Zeit mehr, Brithelm zu sagen, daß die Pfeife nicht von Humas Brust irgendwo jenseits der Sterne, sondern aus meiner Tasche stammte. Es hätte auch keinen Unterschied gemacht.
Aber wir waren ja bei den Satyren. Es waren vier Stück, die auf den Pfad schlichen. Alle hatten Krummsäbel mit gezähnten Klingen. Ich konnte mir keine scheußlichere Waffe vorstellen.
Agion hatte sich für seine Größe schmerzhaft tief geduckt und spähte durch das Gebüsch auf die Ziegenmenschen. Dann drehte er sich zu Bayard um und flüsterte (viel zu laut, fand ich): »Ich glaube, wir können mit den vieren fertig werden, Sir Bayard, selbst wenn der Heilige keine Waffe trägt und nicht kämpft.«
»Es geht nicht um Kämpfen, Agion«, zischte Bayard. »Zumindest nicht, bis wir versucht haben, Frieden zu schließen, wie ich es Archala versprochen habe. Es geht darum, wie wir es schaffen, daß die Satyre nicht auf der Stelle angreifen, wenn sie uns zu Gesicht bekommen. Wir dürfen nicht kämpfen, wenn wir die Lage so ruhig halten wollen, daß wir reden können.«
»Warum zeigt Ihr ihnen nicht Eure Rüstung, Sir?« flüsterte ich und zupfte Bayard am Ärmel. »Ihr könnt ihnen sagen, daß Ihr ein einfacher Ritter seid und das mit Solamnia weglassen, dann führen sie uns vielleicht weiter.«
»Das wäre eine prima Idee, Galen, mit zwei kleinen Problemen. Zum einen galoppiert die Rüstung wahrscheinlich immer noch auf dem Rücken unseres Packpferds durch den Sumpf.«
Das hatte ich vergessen.
»Zum anderen könnte ich unabhängig von der Rüstung sowieso keine Lüge vorbringen, und genau das schlägst du vor. Es ist eine solamnische Rüstung, die in Humas Namen geschmiedet wurde. Ich würde sie entehren, wenn ich zu Falschheit griffe, denn jede Falschheit befleckt den Orden.«
»Aber Sir Bayard…«, setzte ich an.
»Es geht überhaupt nicht ums Kämpfen«, unterbrach Brithelm. »Auch nicht um Betrug«, verkündete er mit lauter, fröhlicher Stimme. »Denn ihr täuscht euch. Das hier sind unschuldige, völlig harmlose und zutrauliche Tiere.« Er stand auf und marschierte mit ausgestreckten Armen auf die Satyre zu.
Wir anderen sprangen auf. Agion und Bayard folgten meinem großmütigen Bruder, Sichel und Schwert erhoben. Ich wollte ihnen folgen und zog widerstrebend mein eigenes, kleines Schwert.
Da spürte ich es, den eisigen Griff in meinem Blut, der meine Füße festhielt und mich hinunterzog wie Treibsand, der den unvorsichtigen Reisenden packt, der in ihn hineintritt.
Auf meiner Schulter fühlte ich stechende Krallen. Ich fühlte die leise Berührung von Federn, roch einen undeutlichen Verwesungsgeruch und hörte wieder die Stimme, die sich seit der Nacht in der Bibliothek nicht verändert hatte.
»Folge mir, Kleiner«, flüsterte sie. »Die erste Rate deiner Schuld wird fällig.« Die Flügel flatterten an meinem Ohr, und das Gewicht verschwand von meiner Schulter.
Ganz plötzlich schien es keine Wahl zu geben. Wie befohlen, drehte ich mich um und ging direkt ins knietiefe Wasser, das meinen Rückzug von den Verhandlungen hinter mir verlangsamte. Ich folgte dem unsteten Flug des Raben durch die Äste über mir.
Jetzt gab es nur noch falsche Wege und Verstecke zwischen den Blättern. Das und den Schlamm und die hereinbrechende Nacht. Und natürlich die Krokodile.
Der Vogel war verschwunden. Nachdem er in ein Gewirr großblättriger Pflanzen getaucht war, kreuzte er anscheinend nicht wieder auf, und ich war allein. Licht gab es auch praktisch keins mehr im Sumpf.
Ich setzte mich auf eine Zypresse auf einer weiteren großen Lichtung, von der ein Dutzend Pfade wie Speichen von einer Radnabe abgingen. Ich hatte keine Ahnung, wie weit ich gelaufen war, aber ich war ganz sicher außer Hörweite von meinen Gefährten.
Und in Hörweite von anderen Dingen.
Vielleicht sollte ich versuchen umzukehren. Vielleicht würden meine Gefährten glauben, daß ich sie vor möglichen Hinterhalten bewahrt hatte, indem ich die Gegend nach hinten ausgekundschaftet hatte. Unter großem, persönlichen Risiko, könnte ich hinzufügen.
Brithelm würde mir das abkaufen. Schließlich glaubte er auch, daß Huma Hundepfeifen verteilte.
Was meine anderen beiden Gefährten anging, war ich mir nicht so sicher, bis darauf, daß Agion leichter zu überzeugen sein würde als Bayard, weil der Zentaur schon von vorneherein nicht der Hellste war.
Mit Bayard war das schon etwas schwieriger.
Vielleicht konnte ich mich selbst verletzen. Nur ein bißchen natürlich, aber genug, um es vorzuzeigen. Dann konnte ich vielleicht einen schrecklichen Kampf bis aufs Messer mit einem, nein, zwei Satyren erfinden, die uns umgehen und einen weiteren Hinterhalt legen wollten. Zwei kleine Satyre, weil Bayard zuhören würde. Ja, das mochte gehen.
Wenn die Satyre sie nicht besiegt hatten. Sonst würde ich dem Feind in die Hände laufen. Das würde ein völlig neues Lügengebäude erforderlich machen.
Dann war da natürlich noch der Rabe, der so praktisch verschwunden war. Durfte ich mich wirklich davonmachen, falls ich mich entscheiden konnte? Konnte ich dem Skorpion entgehen?
Die Schreie der Vögel und Reptilien um mich herum wirkten jetzt feindseliger, und die Zweige und Äste ragten noch weiter über die unzähligen Pfade, die ins Nichts führten oder – noch schlimmer – in die Gefahr. Und darüber hinaus war ich jetzt im Mondschein unterwegs und konnte kaum drei Meter weit sehen.
Ich probierte einen Pfad, der nicht weit von der Lichtung einfach aufhörte. Der nächste, den ich ausprobierte, endete vor einem großen Teich, in dem der Schlamm blubberte und brodelte wie in dem, den wir erst vor wenigen Stunden gesehen hatten, als wir zum Lager der Satyre aufgebrochen waren.
Also kehrte ich zu der Lichtung zurück, setzte mich wieder auf die Zypresse, versuchte, mich zu beruhigen und meine wachsende Panik zu besänftigen.
Verloren. Verloren. Vom Treibsand verschlungen. Von den Krokodilen gefressen. Auf einem Pfad ins Nichts von einer giftigen Schlange gebissen.
Ganz plötzlich wurde es ganz still auf der Lichtung. Links von mir brach ein Schwarm Wachteln los. Sie stoben zu einem jener kurzen ungelenken Flüge auf, die sie angesichts von Gefahr unternehmen. Ich folgte ihnen mit den Augen und sah zu, wie sie sich auf der anderen Seite der Lichtung wieder niederließen.
Als sie nicht mehr zu sehen waren und ich meine Augen und Gedanken wieder auf die Stelle gerichtet hatte, wo ich saß, war er nur noch wenige Sätze entfernt.
Ich brauchte noch eine Sekunde, um ihn in der Dunkelheit auszumachen. Ich war sowieso baff. Mit offenem Mund kippte ich rückwärts von der Zypresse, bevor ich hilflos wie eine gekenterte Schildkröte auf dem Rücken landete. Bevor die bekannten, starken Hände mich zu würgen begannen. »Alfrik!« schrie ich, als er zudrückte.
7
Alfriks Griff um meinen Hals wurde fester. Er versuchte strampelnd, auf dem nassen Boden festen Halt zu finden, dann kniete er plötzlich auf mir und nagelte mit den Knien meine Arme am Boden fest, so daß sie sich schmerzhaft in den Schlamm bohrten. Für einen Mann, dessen höchstes Ziel die Ritterschaft von Solamnia war, war er verdammt geschickt im unfairen Kampf. So sehr ich mich auch gegen die Stärke und das Gewicht meines Bruders wehrte, alles, was ich bewegen konnte, war Dreck. Meine Arme taten weh, weil etwas Kantiges, Metallenes darauf lag: Alfrik trug allen Ernstes Vaters Rüstung. Da fühlt man sich, als wenn der gesamte Familienstammbaum einen attackiert.
»Diesmal machen wir’s richtig, Wiesel«, flüsterte mein Bruder haßerfüllt. In der Dunkelheit konnte ich nicht erkennen, was er vorhatte, aber ich war mir sicher, daß es mir überhaupt nicht »richtig« vorkommen würde.